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09.04.05 / "Eine Lanze für meinen Urgroßvater ..." / Ferdinand Fürst

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. April 2005

"Eine Lanze für meinen Urgroßvater ..."
Ferdinand Fürst von Bismarck zum 190. Geburtstag des Reichskanzlers Otto von Bismarck

Mein Urgroßvater war kein Nationalist, obwohl er später von vielen Stammtischrunden, aber auch von manchen Historikern dahin interpretiert wurde. Im Dritten Reich wurde die Kausalkette von Friedrich dem Großen über Bismarck zu Hitler strapaziert, der eine jeweils als Erfüllungsgehilfe seines Vorgängers.

Auch in dem Manifest "Weil das Land sich ändern muß" (verfaßt unter anderem von Marion Gräfin Dönhoff, Edzard Reuter, Wilhelm Nölling und Wolfgang Thierse) werden Kaiser Wilhelm II., Bismarck und Hitler in einem Atemzug genannt. Deren Fehler und Verbrechen solle man nicht wiederholen. Golo Mann, Rudolf Augstein und Johannes Willms - sie alle sehen im ersten deutschen Reichskanzler einen machtbesessenen, raffgierigen Machiavellisten, der kriegslüstern alle moralischen Hemmungen über Bord warf.

Ähnlich die Darstellung in einer vierteiligen Fernsehserie: Ein schamloser, neurotischer Wüterich stellt die Weichen für Deutschlands Katastrophe. Und auch die Bismarck-Ausstellung in Berlin konnte sich von diesem geschichtlichen Zeitgeist nicht befreien: In ihrem Mittelpunkt hing nicht das großartige Gemälde der Reichsproklamation von Anton von Werner, sondern das Schreckensbild eines vergifteten Soldaten mit Gasmaske im Ersten Weltkrieg (!). Selbst jetzt, zu seinem 100. Todestag, wurde im Spiegel ein Foto des toten Reichskanzlers auf seinem Sterbelager gezeigt, das in seiner Würdelosigkeit an das Bild Barschels in der Badewanne erinnert.

Ich fühle mich berechtigt und verpflichtet, für meinen Urgroßvater eine Lanze zu brechen.

Bismarcks Geburt fiel in das Jahr der Schlacht von Waterloo (1815), das die Epoche Napoleons beendete, in der Frankreich über 20 Jahre in deutschen Landen gekämpft und Preußen erniedrigt hatte.

Durch das gemeinsame Niederringen Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig sowie vor Waterloo entstand erstmalig ein gemeinsames deutsches Bewußtsein.

Als Bismarck im Jahre 1862 zum Ministerpräsidenten Preußens berufen wurde, sah er zunächst die Stärkung Preußens als sein wichtigstes Anliegen. Sie war jedoch nur Mittel zum Zweck, um das Ziel der deutschen Einheit zu verwirklichen. In drei begrenzt geführten Kriegen gelang es ihm, innerhalb eines Jahrzehnts die deutschen Fürsten und Städte zunächst im Norddeutschen Bund und am 18. Januar 1871 im Deutschen Reich zu vereinigen. Er sah im Krieg gegen Österreich die einzige Möglichkeit, die von ihm anvisierte "kleindeutsche" Lösung durchzusetzen, ohne Österreich. Durch sein diplomatisches Geschick verstand er es, die umliegenden Großmächte aus dem Konflikt herauszuhalten und Österreich durch Verzicht auf territoriale Ansprüche und triumphalen Einmarsch in Wien später als zuverlässigen Bundesgenossen zu gewinnen.

Auch den durch Napoleon III. geführten Krieg gegen Preußen konnte er erfolgreich zu Ende bringen, ohne daß andere Großmächte eingriffen.

Die mittelalterliche Reichsidee hat Bismarck wieder aufgegriffen, indem er nach dem Sieg den preußischen König zum erblichen deutschen Kaiser ausrufen ließ. Dem demokratischen Gedanken kam er entgegen, indem er zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ein aus freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenes Parlament, den Reichstag, ins Leben rief. Träger der Reichsexekutive war jedoch der Bundesrat, in dem die souveränen deutschen Fürsten sowie die freien Städte vertreten waren und dessen Vorsitz Preußen zustand.

Die Reichsidee fand Ausdruck in der Proklamation König Wilhelms I. am 18. Januar 1871 in Versailles. Auszug: "Wir übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reichs und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren und die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft des Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem Deutschen Volke vergönnt sein wird, den Lohn seiner heißen opfermütigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem Vaterland die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe gewähren. Uns aber und unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung."

In diesen Sätzen manifestiert sich das Bismarck-Reich. Hier wird das Bekenntnis zum Frieden - dieses Wort fällt gleich dreimal -, zur Freiheit und zur Gesittung abgegeben. Damit kündigt sich die zweite Epoche Bismarcks politischer Aktivitäten an, nämlich seine Friedenspolitik.

Bis zu seiner Entlassung (1890) hat er alles in seiner Macht Stehende getan, um den Frieden zu bewahren, wobei er immer wieder betonte, daß Deutschland für ihn als saturiert gelte, daß er also keine weiteren Gebietsansprüche hatte. Das galt im Osten wie im Westen.

Das Vertrauen zu Bismarck war langsam, aber ständig gewachsen, besonders nachdem er auf dem Berliner Kongreß (1878) sowie bei der Berliner Kongo-Konferenz (1884) erfolgreich zwischen den Großmächten schlichten konnte und eine Bündnispolitik entwickelte, die auf einer neuen "balance of power" beruhte, die jeden Konflikt zwischen den fünf Großmächten ausschließen sollte.

So berichtete zum Beispiel der englische Botschafter in Berlin 1880 nach London: "In St. Petersburg ist sein Wort Evangelium wie auch in Paris und Rom, wo seine Aussprüche Respekt einflößen und sein Schweigen Besorgnis."

Und der französische Botschafter in London erklärte: "Meine feste Überzeugung ist, daß, solange Bismarck am Ruder bleibt, wir uns unbedingt auf die Loyalität Deutschlands verlassen können. Wenn der Kanzler aber einst sein Amt niederlegt, so werden stürmische Zeiten für Europa kommen."

Aus innenpolitischen Gründen mußte Bismarck zwar für das Deutsche Reich Kolonien erwerben. Seine Grundeinstellung zur Kolonialpolitik manifestierte sich jedoch in einer Äußerung, die er gegenüber dem Afrika-Forscher Eugen Wolf machte, als dieser ihm eine Karte von Afrika vorlegte: "Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Hier liegt Rußland und hier liegt Frankreich, und wir sind in der Mitte; das ist meine Karte von Afrika!" Mit diesem genial einfachen Bild umriß er zugleich seine ablehnende Stellung zu der neu einsetzenden Ausdehnungspolitik des Imperialismus, die nach seinem Abgang in Deutschland als Weltpolitik proklamiert und später von Wilhelm II. gegen Bismarcks kategorischen Willen weiterbetrieben wurde.

Bismarck war, wie er von sich selbst behauptet, Realpolitiker. "Politik ist die Kunst des Möglichen" ist eine seiner bekanntesten Formulierungen. Sicherlich war er auch Machtpolitiker, aber man tut ihm Unrecht, ihn als einen Machiavellisten zu bezeichnen, dafür war seine christliche Komponente und seine Demut vor Gott und der Natur zu stark ausgeprägt.

Wenn der Historiker Paul Kennedy sein Buch "Aufstieg und Fall der großen Mächte" mit dem Bismarck-Zitat beendet, "wonach alle Mächte dahinfahren im Strom der Zeit, den sie weder schaffen noch lenken können, auf dem sie aber mit mehr oder weniger Erfahrung und Geschick steuern können", so beleuchtet dieses Zitat seine Einstellung, wie wenig der Mensch letztendlich Einfluß nehmen kann auf den Ablauf der Geschichte. Eine große Bescheidenheit spricht aus dieser Formulierung.

Vor allem aber war Bismarck kein Rassist: Eine Verfolgung der Juden wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Im Gegenteil: Viele seiner politischen Freunde wie etwa sein Privat- und Staatsbankier Bleichröder waren seine Berater und ihm eng verbunden. Anläßlich eines Gesprächs, das er im Jahre 1870 einmal führte, erörterte er die Frage, ob nicht das Wesen des Junkers sich durch jüdisches Blut auflockern ließe: "Eine solche Verbindung ergäbe keine üble Rasse. Ich weiß nicht, was ich meinen Söhnen einmal raten werde." (Werner Richter: Bismarck, S. 303).

Hätte Wilhelm II. sich an die Kriterien Bismarckscher Politik gehalten, das heißt das Gleichgewicht der Kräfte fortgeführt, das englische Bündnisangebot von 1901 nicht ausgeschlagen, keine antibritische Flottenpolitik betrieben und sich nicht hineinziehen lassen in die Balkanaffäre Österreich-Ungarns, wäre er bescheiden geblieben wie sein Großvater ohne protziges imperialistisches Gehabe, so hätte er möglicherweise Reich und Thron erhalten können. Denn kein Element Bismarckscher Politik mußte unmittelbar und kausal zum Ersten Weltkrieg führen.

Deshalb irrt die heutige Geschichtsschreibung, wenn sie im Reichskanzler Bismarck den Wegbereiter des Reichskanzlers Hitler sieht.

Bismarck sah sein Reich als saturiert an, während Hitler die These vom "Volk ohne Raum" vertrat. Deshalb mußte er zwangsläufig Eroberungskriege führen, um diesen Raum zu schaffen. Hitler hatte auch keinen moralischen oder christlichen Halt, an dem er sich orientieren konnte. Deshalb waren Verrat und Völkermord die Konsequenzen seiner politischen Einstellung.

Gustav Stresemann hat gesagt: "Es wäre gut, einmal ein Buch über den mißverstandenen Bismarck zu schreiben, in dem dargestellt wird, wie er in der Fülle der Macht der Vorsichtigste im Gebrauch der Macht gewesen ist, wie er sich 1866 und 1870 denen gegenüber durchgesetzt hat, die nicht genug bekommen konnten. Er wollte Europa den Frieden erhalten. Das wäre ein besseres Bild von ihm als das, das die Legende von ihm macht, wenn sie ihn als den Mann mit Kürassierstiefeln darstellt."

Es wäre auch ein korrekteres Bild für jene, die heute noch Bismarck die Schuld daran zuschieben möchten, daß 1933 die zwölfjährige Tragödie begann.

Bismarck als Erfüllungsgehilfe Hitlers? Die neudeutsche Geschichtsdeutung stellt den Reichskanzler immer wieder als aggressiven Militär dar statt als Realpolitiker, der er war. Foto: pa


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