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23.04.05 / Der deutsche Papst / Joseph Kardinal Ratzinger ist Benedikt XVI. / Ein Porträt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 23. April 2005

Der deutsche Papst
Joseph Kardinal Ratzinger ist Benedikt XVI.
Ein Porträt von Jürgen Liminski

Nichts als die Wahrheit. Wenn Joseph Kardinal Ratzinger mit seiner Predigt in der Auftaktmesse zum Konklave den einen oder anderen Kollegen abschrecken wollte, ihn zu wählen, dann durfte er so nicht reden. Der Zusammenhang zwischen Wahrheit und Liebe gehört zur Kernsubstanz der katholischen Kirche. Wahrheit ohne Liebe mache blind, sagte der Kardinal und geißelte die gesamten Ideologien und "ismen" der letzten Jahrhunderte, insbesondere den Relativismus. Das war Ratzinger pur, der Hüter des Glaubens, der Wächter der Dogmen. Die Kardinäle wollten mehrheitlich einen Treuhänder der katholischen Wahrheit, daher haben sie ihn gewählt.

Hat er nicht einmal in einem Fernsehinterview - also nachprüfbar - gesagt: "Der Papst ist kein absoluter Monarch, sondern ein Gehorchender", ein "Sachwalter der Wahrheit"? Sie haben, als er vielleicht zögerte, ihn genau an diesem Portepee gerfaßt. Und hat er nicht auch als kleiner Knirps im bayerischen Tittmoning, beim Anblick des in der schwarzen Limousine vorbeirauschenden Kardinals Faulhaber, gesagt: "Wenn ich groß bin, werde ich Kardinal"? Nun, wer jung Kardinal wird, geht das Risiko ein, auch zum Papst gewählt zu werden.

Ratzinger kam in relativ jungen Jahren ins Kardinalskollegium, er war gerade mal 50 Jahre alt. Paul VI. hatte den damals schon weit über Deutschland hinaus bekannten Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie ein paar Monate zuvor zum Erzbischof von München und Freising ernannt. Kennengelernt hatte der Papst ihn beim Zweiten Vatikanischen Konzil, der Kölner Kardinal Frings hatte den jungen Professor als Berater nach Rom mitgenommen. Ratzinger blieb nicht lange in München. Vier Jahre später, 1981, rief ihn Johannes Paul II. nach Rom, er wurde Präfekt der Glaubenskongregation, der Nachfolgeinstitution der Inquisition, wie die Gegner des Kardinals gerne sagen, um anzudeuten, daß Kardinal Ratzinger mit allen Mitteln an der unverfälschten Lehre festhalten wolle.

Aber die Gegner sind mit den Jahren weniger geworden. Entweder hat der Kardinal sie mit den besseren Argumenten überzeugt oder mit dem längeren institutionellen Atem an den Rand gedrängt. Auch sein leiser, intellektueller Charme mag dazu beigetragen haben. Jedenfalls scheut er die Debatte nicht, auch nicht mit "kritischen" Geistern wie Jürgen Habermas. Solche Debatten und auch seine Bücher und Schriften haben ihn über die katholische Welt hinaus bekannt gemacht. Er steht, vor allem seit den Studentenunruhen Ende der 80er Jahre - der deklarierte Wille zur Abschaffung von Glaube, Moral und Werten hat ihn nachhaltig erschüttert -, für Worte wie: Die Kirche dürfe keinen Ausverkauf der Wahrheit betreiben, sie müsse "den moralischen Grundwasserspiegel der Menschheit halten", nicht die Mehrheit habe die Wahrheit erfunden, sondern diese "kommt von Gott her, und deshalb steht sie nicht zur Disposition". Weltweite Achtung hat er sich erworben mit seinen scharfsinnigen Analysen zu den Folgen des Relativismus, jener Geistesströmung, die alle Werte für gleichrangig ansieht.

All das sind Gedanken, die sich auch bei Johannes Paul II. finden, zum Beispiel in der Enzyklika Veritatis Splendor. Ratzinger hatte an solchen Lehrschreiben keinen geringen Anteil. Auch bei den Dokumenten über die Befreiungstheologie oder über die Abtreibungsfrage. Der unbestrittenen intellektuellen Brillanz steht allerdings, wie man nicht nur im Vatikan hören kann, eine gewisse Schwäche bei Regierungsfragen entgegen. Dafür brauche er als Ergänzung an der Spitze des Verwaltungsapparats einen entscheidungs- freudigen Kardinalsstaatssekretär.

Ratzinger hatte Angst vor dem Amt des Steuermanns. Im kleinen Kreis gab er das auch einmal unumwunden zu. Schon vor drei Jahren wollte er vom Amt als Präfekt der Glaubenskongregation entbunden werden, wie das so üblich ist bei Kardinälen mit 75. Sein Geburtstag ist der 16. April 1927. Er wollte sich dann in sein geliebtes Häuslein in Pentling bei Regensburg zurückziehen, wohin er drei-, viermal im Jahr ging, seit er in Rom ist, er wollte Bücher schreiben, beten, in den Pausen mit vertrauten Personen wie seinem drei Jahre älteren Bruder Georg sich unterhalten, vielleicht auch noch den einen oder anderen Vortrag halten. Jeden Sonntag telefonierte er mit Georg, der am selben Tag, in der gleichen Messe wie er zum Priester geweiht wurde. Prälat Georg rief meistens vom Haus des Bruders aus an, vermittelte etwas Heimatflair. Nun wird Joseph Ratzinger auf vieles verzichten müssen. Ein Stück Heimat hat er sich bewahrt - neben der sprachlichen Klangfarbe, die in den Sprachen, die er tadellos beherrscht, immer noch durchschimmert. Dieses Stück ist die Haferschleimsuppe, die er schon als Junge so gern gegessen hatte. Viel Gelegenheit wird er dafür allerdings nicht haben. Der Papst hat meistens Gäste, vielfach hochrangige Staatsgäste. Die kann man mit einer Haferschleimsuppe nicht abspeisen.


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