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30.04.05 / Leben bereichert / Hugenotten in Berlin und Brandenburg

© Preußische Allgemeine Zeitung / 30. April 2005

Leben bereichert
Hugenotten in Berlin und Brandenburg

Der jungen, aufstrebenden Macht Preußen gaben sie neue Impulse. Sie bereicherten die Wirtschaft, das geistige und kuturelle Leben dieses Landes. Ihre Aufbauleistung, die sich auf Sachkenntnis, Unternehmungsgeist, Fleiß und Zähigkeit gründete, verhalf dem preußischen Staat zugleich dazu, politisches Selbstbewußtsein zu entwickeln", schreibt Hans-Georg Tautorat im Vorwort zu seinem Buch, das 1985 unter dem Titel "Um des Glaubens willen" erschien und die Einwanderung von Hugenotten und Salzburgern in Preußen zum Thema hatte. "Preußen", so Tautorat, "das bedeutete eben nicht nur Uniformen, Waffen, Schlachten, sondern auch Liberalität, Aufgeklärtheit und Toleranz."

In Brandenburg-Preußen war der Einfluß der eingewanderten Hugenotten sicher am größten. Das mag nicht zuletzt auch an der Zahl gelegen haben: Von den etwa 38.000 Glaubensflüchtlingen, die das Heilige Römische Reich Deutscher Nation aufnahm, gingen rund 18.000 nach Brandenburg-Preußen. Im Vergleich: Hessen-Kassel etwa 3.800, Niedersachsen etwa 1.500. Nach den Niederlanden und England lag das Alte Reich somit an dritter Stelle.

Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes, das den Hugenotten relative Freiheiten in der Religionsausübung gewährte, mußten die verfolgten Protestanten ab 1685 aus ihrer Heimat flüchten. Neben Verfolgung und Unterdrückung drohte manchen sogar der Tod durch den Scheiterhaufen. Etwa 175.000 Protestanten verließen Frankreich. In Preußen hatte der Große Kurfürst bereits 1661 die Grenzen geöffnet, brauchte er doch Siedler, um die durch den Dreißigjährigen Krieg entstandenen Lücken in der Bevölkerung zu füllen. Bis 1700 kamen die Flüchtlinge ins Land, gut 6.000 blieben in Berlin und bildeten rund ein Viertel der Bevölkerung. Sie gründeten eigene Gemeinden mit Kirchen und Schulen und hatten Erfolg als Kaufleute.

Beliebte Siedlungspunkte waren in Berlin der Werder, die Neustadt und später die Friedrichstadt. Es waren Goldschmiede und Uhrmacher, Künstler, Tuchmacher und Händler, aber auch Lehrer unter den Réfugiés, der Flüchtlinge also, denn "Hugenotte" galt damals als Schimpfwort, das soviel wie "Satansbrut" bedeutete. Die Protestanten waren Anhänger der Lehre Calvins und standen im Gegensatz zur Krone Frankreichs. Heute hat der Begriff "Hugenotte" seinen bösen Beigeschmack längst verloren. "Die Kinder der Adligen fanden Freude an Studien", lobte einst Friedrich der Große, "die Erziehung der Jugend derselben kam fast gänzlich in die Hände der Franzosen, denen wir auch mehr Sanftmut im Umgang und anständigere Sitten verdanken."

Friedrich der Große lobte jedoch nicht nur die Bildung und guten Sitten der Einwanderer, er hob auch den wirtschaftlichen Faktor der Migration hervor: "Sie halfen unsre verödeten Städte wieder bevölkern und verschafften uns die Manufakturen, welche uns mangelten ... Als Friedrich Wilhelm zur Regierung kam, machte man in diesem Lande weder Hüte noch Strümpfe, noch Serge und sonst ein wollenes Zeug; alle diese Waren lieferte uns der Kunstfleiß der Franzosen ... Einige der Flüchtlinge waren Kaufleute und verkauften im Einzelnen, was die anderen verfertigten. In Berlin siedelten sich Goldschmiede, Juweliere, Uhrmacher und Bildhauer an; die Franzosen, welche sich auf dem flachen Land niederließen, bauten Tabak an und zogen treffliche Früchte und Gemüse auf dem Sandboden, den sie durch ihren Fleiß in treffliches Fruchtland umwandelten ..."

Je nach Standpunkt wurde die Einwanderung der Franzosen unterschiedlich bewertet. Voltaire beklagte die Auswanderung der Protestanten als ein "schweres Unglück für Frankreich", während Theodor Fontane, selbst hugenottischer Abstammung, von einem "Segen für Stadt und Land" sprach. Überhaupt kann eine Reihe berühmter Persönlichkeiten der preußischen Kulturgeschichte auf hugenottische Vorfahren zurückblicken. Der Graphiker Daniel Chodowiecki etwa, der Baumeister David Gilly, die Brüder Wilhelm und Alexander v. Humboldt, der Schauspieler und Freund E.T.A. Hoffmanns, Ludwig Devrient, der Komponist Albert Lortzing, der Erbauer des Reichstags Paul Wallot, der Maler Antoine Pesne, der Chirurg Theodor Billroth, die Militärs Carl v. Clausewitz, Helmuth v. Moltke und Albrecht von Roon ...

Einen Eindruck erhält man, blättert man in dem jetzt in der Reihe "Das Neue Berlin" der Eulenspiegel Verlagsgruppe erschienenen Band Hugenotten in Berlin und Brandenburg von Werner Gahrig ( 480 Seiten, mit rund 150 Abb., brosch., 16,90 Euro). Der Autor führt seine Leser auf historische Spaziergänge durch die Hauptstadt und das Brandenburger Land (bis Frankfurt / Oder). Die Geschichte Berlins und seiner Menschen wird so wieder lebendig. Historische und aktuelle Fotografien, kurze Biographien hervorragender Persönlichkeiten sowie Beschreibungen von Bauwerken und Straßenzügen reizen geradezu, einen solchen Spaziergang auf der Stelle zu unternehmen. Ein spannendes Lesebuch, aber auch ein Reiseführer der besonderen Art. SiS

 

Hugo Vogel: Der Große Kurfürst empfängt Abgesandte der Réfugiés, 1685 (Holzstich nach einem Gemälde, 1895). Foto: Archiv


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