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30.04.05 / Eingeschlossen / Schicksal des Sohns Louis XVI.

© Preußische Allgemeine Zeitung / 30. April 2005

Eingeschlossen
Schicksal des Sohns Louis XVI.

Nur ein einziges Mal, seit sie mit dieser Wäsche zu tun hatte, hatten die Bürgerinnen Neues angeschafft. Das war, als der Vater starb, das Familienoberhaupt: ein schöner Mann, groß, korpulent und stattlich. Und Halsbinden, so etwas hatte sie noch nie gesehen! Ja, der war jemand! Ein großer Herr. Aber schon in Not, wahrscheinlich Vermögensverluste ..." Hätte die Wäscherin Blanche-Rose gewußt, wessen Wäsche sie dort in immer unregelmäßigeren Abständen wusch, hätte sich ihr ein ungeahntes Schicksal offenbart.

Die französische Autorin Francoise Chandernagor erzählt in "Das Kind im Turm" die Geschichte von Louis Charles, dem Sohn des im Zuge der französischen Revolution enthaupteten Königs Louis XVI. Kaum acht Jahre alt kam der kleine Prinz 1792 in den Kerker von Paris. Ein karges Turmzimmer wurde zum Zuhause des im Luxus geborenen Thronfolgers.

Anhand von Rechnungen und Zeitzeugenberichten rekonstruiert die Autorin die letzten beiden Lebensjahre des Kindes, der im Gegensatz zu seiner 16jährigen Schwester nicht 1795 gegen französische Kriegsgefangene der Österreicher ausgetauscht wurde, denn da war das Kind seinen Eltern schon in den Tod gefolgt, wenn auch auf eine subtilere Art. Denn statt den Kleinen schnell zu köpfen, ließ man ihn zwei Jahre in seinem feuchten Zimmerchen vegetieren. Ohne Bezugsperson und Spielzeug verwahrloste das kränkelnde Kind immer mehr.

Bedrückend schildert Francoise Chandernagor die Zeit der Revolution, in der Parolen wie "Denunziation ist die Mutter der Tugend" und "Die Freiheit ist ein Baum, der nur Früchte trägt, wenn er mit Blut getränkt wird" die Menschen beherrschten. Rücksicht auf das Wohl eines Kindes aus einer "Schweinefamilie" gab es nicht. Die Machthaber wechselten nahezu monatlich, keiner traute seinem Nebenmann und Worte zugunsten des blaublütigen Häftlings konnten schnell den eigenen Tod auf der Guillotine bedeuten. Gerade die Zeit der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wurde zu einer der unmenschlichsten in der Weltgeschichte. Kaum einer, den die auf höchstem literarischen Niveau umgesetzte Geschichte um Louis Charles, mit dem zwei Jahre kaum einer sprach und dem zum Malen nur die längst schon blinden Fensterscheiben blieben, nicht berührt. R. Bellano

Francoise Chandernagor: "Das Kind im Turm", Piper, München 2004, geb., 286 Seiten, 18,90 Euro


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