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07.05.05 / "Wir verhalten uns weiterhin wie Eroberer" / Wie die russischen Zeitungen in Königsberg den 60. Jahrestag des Falls der Ostpreußenmetropole würdigen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 07. Mai 2005

"Wir verhalten uns weiterhin wie Eroberer"
Wie die russischen Zeitungen in Königsberg den 60. Jahrestag des Falls der Ostpreußenmetropole würdigen

Die in Königsberg erscheinenden russischen Zeitungen waren um den 60. Jahrestag der Eroberung Königsbergs voll von Berichten über die Eroberung Königsbergs, Erinnerungen von Kriegsveteranen, Fotos der zerstörten Stadt und Diskussionsbeiträgen über die Ereignisse. In der Zeitschrift der Königsberger Universität vom 6. April 2005 heißt es: "Es ist schwierig, über den Krieg zu sprechen ..., aber jetzt leben wir doch in diesem wunderschönen Land. Deshalb wollen wir den Menschen danken, die uns diese kleine Heimat geschenkt haben." Die Wochenzeitschrift Komsomolskaja Prawda hatte ihre ganze Ausgabe vom 8. bis 14. April, 28 Seiten, den angeblichen Heldentaten der Kriegsveteranen gewidmet. Unter der riesigen Überschrift "Sie erstürmten Königsberg" sind auf drei Seiten die Namen der 773 Kriegsveteranen abgedruckt, die im April 1945 an der Eroberung Königsbergs beteiligt waren und heute noch im Königsberger Gebiet leben.

Es drängt sich die Frage auf: Wie viele von ihnen werden wohl Frauen vergewaltigt, gemordet und geplündert haben? In seinem Buch "Zeugnis vom Untergang Königsbergs" erzählt und erklärt Michael Wieck das so: "Die jahrelangen hohen Verluste der Russen zwangen sie, Menschen aus den abgelegensten Gegenden Rußlands zu mobilisieren, und bei der Einnahme Königsbergs erlebten diese Steppenkinder wohl ihre erste moderne Stadt. Aufgehetzt bis zum äußersten, ausgelassen in ihrer Siegesfreude, erstaunt über eine Zivilisation voller Luxuseinrichtungen, alkoholisiert, gaben sie sich unkontrolliert und völlig enthemmt im Ausleben sämtlicher Triebe, ob Sex-, Macht-, Besitz-, Freß-, Sauf- oder Mordtrieb; ohne Angst vor Bestrafung oder anderen Folgen. Was für ein Haß! Aber - wer so erbarmungslos angegriffen hat und verteidigt wie die Deutschen, wird auch erbarmungslos bekämpft und besiegt." (Seite 227 folgende).

Nichts davon stand 60 Jahre später in den Königsberger Zeitungen. Eine Rentnerin, die als Krankenschwester an der Eroberung der Stadt teilgenommen hat, erzählt, überall hätten Verwundete gelegen, auf der Erde, in den Kellern, in den Häusern. "Wir halfen unseren Soldaten und auch der Zivilbevölkerung." Eine andere, die damals in einer Versorgungseinheit arbeitete, berichtet: "Wir kamen nach Königsberg. Die Stadt war zerstört, alles in Ruinen, aber der Frühling war warm, und in den Ruinen wuchsen Blumen. In Königsberg habe ich mich auf den ersten Blick verliebt. Wir ließen uns in der Nähe des Zoos nieder. Mit den Deutschen lebten wir auf freundschaftlichem Fuße, ohne Feindschaft. Wir luden einander zwar nicht zum Essen ein, aber wir pflegten ihre Verwundeten so wie unsere eigenen." Ein anderer Kriegsveteran stand daneben, als der Kommandant Königsbergs, General Lasch, kapitulierte; er habe sich würdig gehalten. Der alte russische Soldat malt nun seine geliebte Stadt Königsberg, den Dom, das Schloß (dessen Ruine Breschnew 1967 sprengen ließ) und die Ostsee.

Unter der Überschrift "Russisches Brot" erzählt die Prawda, das Organ der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation in der Ausgabe vom 8. bis 11. April 2005 die rührende Geschichte von einem im Kampf gegen die deutschen Faschisten hart gewordenen sowjetischen Soldaten, Iwan Gawrilowitsch Salnikow: Als er in das zerstörte Königsberg gekommen sei, seien aus den Splittergräben und Kellern hungrige Kinder hervorgekrochen. Der Sowjetsoldat habe dem Tod schon oft in die Augen geschaut gehabt und habe kein Erbarmen mit dem Feind gekannt. Doch als er die hungrigen deutschen Kinder gesehen habe, sei sein Gesicht ernst geworden; er habe schweigend in seinen Proviantsack gegriffen, ein Kommißbrot herausgeholt, es zerteilt und jedem der Kleinen ein Stückchen mit den Worten: "Dawai, kuschai!" (Nimm, iß!) gegeben. Die Kinder hätten das Stück Brot mit zitternden Händen ergriffen und gleich angefangen zu essen. Einige kleine Jungen hätten vor dem russischen Soldaten niedergekniet und ihm danken wollen. Doch Iwan Gawrilowitsch habe sie gleich aufgehoben. Die Kinder hätten nicht verstehen können, was er ihnen gesagt habe, doch sie hätten in ihm den Freund gespürt. Einige seien zu ihren Müttern gelaufen, um ihnen mit dem kostbaren russischen Brot eine Freude zu machen. - Neben dieser Geschichte ist ein Foto abgedruckt - Frauen und Kinder stehen in einer Schlange vor einem sowjetischen Soldaten, der ein Brot in der Hand hält - mit der Unterzeile: "Sowjetische Soldaten verteilen Brot an Deutsche."

Michael Wieck berichtet in seinem Buch "Zeugnis vom Untergang Königsbergs": "Es gab keine Verpflegung, und jeder mußte selber sehen, wie er sich ernährte. Entweder man arbeitete für die Russen, dann bekam man für den Arbeitstag vierhundert Gramm Brot, mehr nicht, oder man suchte sich etwas aus den Trümmern, tauschte, klaute, ergaunerte etwas - oder man verhungerte. Auch die Russen selbst wurden nur sehr knapp beliefert und hatten nichts zu vergeben. Für ältere Menschen gab es unter solchen Bedingungen kaum eine Überlebenschance, aber auch die jüngeren schafften es nur, wenn sie besonderes Geschick entwickeln konnten, sonst starben sie schnell an Typhus oder den Folgeerscheinungen des Hungers. Es sollen am Ende noch 20.000 Menschen - von 130.000 - überlebt haben und nach Deutschland ausgesiedelt worden sein. Doch scheint mir auch diese Zahl noch zu hoch gegriffen." (Seite 265).

60 Jahre später, im April 2005, standen russische Kriegsveteranen Schlange vor den Ämtern, wo ihnen die Medaille mit der Inschrift "60 Jahre Sieg" ausgehändigt wurde. In der Komsomolskaja Prawda (Ausgabe vom 8. bis 14. April 2005) wird darüber berichtet: ",Sicher, es ist gut, daß man an uns denkt", sagte Michail Osokin, seine Medaille betrachtend, "Ich habe nur erwartet, daß sie mit Stalin wäre, aber es ist nur ein Stern darauf. Das ärgert mich etwas. Wir haben den Krieg in seinem Namen gewonnen. Das ist unser Symbol des Sieges. Viele stimmten ihm zu und sagten: ,Auf den vorherigen Medaillen waren auch nur Sterne. Wir hatten gehofft, diesmal Stalin darauf zu sehen.'"

Im Laufe weniger Monate werden in diesem Jahr in Königsberg drei große Ereignisse gefeiert: Der 60. Jahrestag der Eroberung Königsbergs am 9. April und des Sieges über das Dritte Reich am 9. Mai sowie der 750. Jahrestag der Gründung Königsbergs Anfang Juli 2005. Die Stadt ist aufgewühlt; überall wird gebaut. Man kann es kaum glauben, daß alles bis zum Stadtjubiläum fertig werden soll. Den drei Herrscherfiguren an der Fassade des Königstors, König Ottokar von Böhmen, Friedrich I. und Herzog Albrecht hatten die russischen Soldaten nach der Eroberung Königsbergs die Köpfe abgeschlagen. Nun werden sie ihnen wieder aufgesetzt und das Königstor renoviert (ausführlicher Bericht in der nächsten Ausgabe). Die Zeitung Kaskad vom 9. April 2005 zitiert Kriegsveteranen, die kein Verständnis dafür haben, daß für die Renovierung des alten deutschen Tors so viel Geld, wie es heißt, ausgegeben wird. "Man sollte es in dem Zustand lassen, in dem es im Jahre 1945 war." Überhaupt mache der Stadtrat zu viel Aufhebens um das Jubiläum 750 Jahre Königsberg; er solle sich lieber um den 60. Jahrestag des Sieges kümmern.

Auf der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag am Fort Nr. V (vgl. S. 13) wandte sich ein Veteran in scharfen Worten gegen die in der lokalen Presse geführte Diskussion, ob es überhaupt notwendig gewesen sei, Königsberg zu erstürmen. Es wird die Meinung vertreten, da man die Stadt 1945 schon monatelang belagert gehabt habe, hätte man diese Belagerung auch noch eine Zeitlang fortsetzen könne, bis sich die Stadt von allein ergeben hätte. Der Kriegsveteran entrüstete sich; die Rote Armee habe doch beim Marsch auf Berlin nicht eine schwer bewaffnete Garnison im Rücken behalten können. Aber die Dis-

kussion wird weitergeführt, nicht nur unter Historikern, sondern auch durch eine Umfrage unter führenden Kommunalpolitikern und Wirtschaftsvertretern. In der Zeitung Kaskad vom 9. April 2005 befürwortet Oleg Lagernikow, Vorsitzender des Bezirkskomitees für Brennstoffversorgung, die Erstürmung Königsbergs, die notwendig gewesen sei, um den Faschismus aus Osteuropa zu vertreiben. Er wendet sich gleichzeitig gegen den Vorwurf, die Russen hätten die Stadt zerstört, und erinnert an die geschichtlichen Tatsachen: Königsberg wurde durch die anglo-amerikanischen Flächenbombardements im August 1944 so gut wie vollständig vernichtet, also acht Monate bevor die Russen die Stadt erstürmten. Die Russen kämpften mit den deutschen Soldaten dann nur noch in Ruinen. Boris Schuschkin, Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Gesetzgebung, Bauwesen und kommunale Selbstverwaltung, ist anderer Ansicht. Wenn man die Dinge einmal nicht allein aus militärischer Sicht betrachte, werde klar, daß für die damalige Führung der russischen Armee das menschliche Leben nur eine geringe Bedeutung gehabt habe. Sie habe Menschen ohne Notwendigkeit in den Kampf geschickt. So gesehen, meint er, hätte man mit der Erstürmung Königsbergs noch warten sollen. Was die heutige Zeit betrifft, ist er der Ansicht: "Wir verhalten uns weiterhin wie Eroberer und richten die Stadt, die uns die Deutschen überlassen haben, zugrunde. Wenn es das Jubiläum nicht gäbe, würden wir an Kirchen, Tore und Schlösser gar nicht denken. Mit einer solchen Einstellung bleiben wir nur Gäste und werden nicht zu Eigentümern." G. H.


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