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14.05.05 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14.Mai 2005

Brücken bauen / Dank dem neuen Begriff von Befreiung erscheint auch die Armeniersache in viel versöhnlicherem Licht
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Sonntag in einer Woche ist es endlich soweit: Nordrhein-Westfalen wählt. Das Datum ist wichtig. Denn danach hat Kanzler Schröder einen weiteren abgewählten Ministerpräsidenten zur Hand, den er zum Bundesminister machen kann. Hans Eichel hatte damals gerade Hessen in den Sand gesetzt, wodurch er frei wurde für den Finanzministerstuhl. In den hat er nunmehr ein dermaßen tiefes Etatloch hineingesessen, daß alle schon gespannt darauf warten, wann er dort hindurchrutscht.

Notfalls hilft Schröder nach. Für ihn wird es nämlich Zeit, dem Volk jemanden zur Schlachtung vorzuwerfen, sonst fordert der Pöbel am Ende noch des Kanzlers eigenen Kopf. Eichel böte sich an, weil den ohnehin keiner mehr mag. Nach dem Urnengang könnte er die Mehrwertsteuererhöhung noch auf seine Kappe nehmen und dann als Superbuhmann für immer ins Sommerloch entschwinden. Dann wird der frisch abgewählte Peer Steinbrück als neuer Finanzminister feierlich versprechen, daß "bis zum Ende der Legislaturperiode keine weiteren Steuererhöhungen geplant sind". Und alle haben wir ihn erstmal lieb. Wie damals Eichel.

Dabei haben Schröders Mannen ja noch Glück gehabt: Die Katastrophenmeldung von dem neuen Haushaltsloch von 53 Milliarden Euro (zur Erinnerung: das sind über 100 Milliarden Mark) fiel just in jene Tage, als wir gerade ganz von Sinnen waren vor Freude über Stalins Sieg vor 60 Jahren. Das Hochgefühl der "Befreiung" läßt man sich nicht gern von miesen Haushaltszahlen verhageln. Noch unpassender als diese erschienen uns an jenen Festtagen nur die maulenden Querulanten, die sich anschicken, unser spiegelglattes Geschichtsbild mithilfe von "Wahrheit" oder "differenzierter Betrachtung" zu zerkratzen. So wie diese Balten, die Stalins Fürsorge bis heute nicht zu schätzen wissen. Glücklicherweise sind die Partymuffel eine Minderheit, zumal der weise Führer der Sowjetunion einen Großteil von ihnen in sibirischen Bleibergwerken und ähnlichen Einrichtungen vergraben hatte. Die stören uns nicht mehr.

Mitgenommen aus diesen Feiertagen haben wir die Erkenntnis, daß "die Vergangenheit noch viel intensiver aufgearbeitet werden muß". Der SPD-Politiker Ottmar Schreiner fordert, daß es jedem deutschen Schulkind zur Pflicht gemacht wird, ein KZ zu besuchen. Blödsinnige Forderung, die waren doch sowieso schon alle einmal oder mehrfach dort. Aus Schreiners Vorschlag spricht ein ganz unbegründeter Pessimismus über die Lernfähigkeit der Deutschen. Es ist erst wenige Jahre her, da verstand die Mehrheit unter "Befreiung" noch den Übergang von Gewalt und Unterdrückung zu Frieden und Freiheit - und nichts anderes. Daß "Befreiung" auch Vertreibung, Deportation und Völkermord für Millionen bedeuten kann, war uns völlig unbekannt - bis jetzt! Das haben wir in ganz kurzer Zeit gelernt, und diese neue Erkenntnis ist wichtig für die Zukunft Europas und der Menschheit. Sie baut nämlich "Brücken für eine gemeinsame Erinnerungskultur". Über die werden sogar die Türken freudig gehen wollen, weil wir die leidige Armeniersache jetzt auf ganz neue Weise bereinigen könnten. Schlagen wir Ankara doch als gemeinsame Sprachregelung vor, das Osmanische Reich habe die Armenier 1915 "befreit" - Erdogan würde gewiß sofort einschlagen, und zumindest Balten, Ostdeutsche und andere Geschichtsbewanderte wüßten trotzdem genau herauszulesen, was damals geschehen ist.

Nichts aus der Geschichte gelernt hat Franz Müntefering. Seine Heuschreckenattacke ist uns allen schwer in die Glieder gefahren, erinnert sie schließlich frappierend an Metaphern aus der NS-Zeit, wie herausgefunden wurde. Tierfreunde wiederum werfen ein, daß jene Insekten doch nur auf Freßzug gehen, wenn es für ihr Überleben nötig ist. Wie Hans Eichel, der einfach gezwungen ist, das Land bis auf den Stumpf abzugrasen, um noch ein Weilchen im Amt zu bleiben.

Das Schlimmste, was den geselligen Hüpfern wie dem getriebenen Minister passieren kann, ist, daß sie plötzlich an einen Ort kommen, wo sie schon gewesen waren und an dem es daher nichts mehr zu beißen gibt. Dann wird es bedrohlich, wie Eichel nun spürt. Ein Viertel derer, die wegen Hartz IV das Arbeitslosengeld 2 (ALG 2) beantragen, würden gar keines kriegen, weil sie zuviel Familienvermögen hätten, so hatte es der Minister errechnet. Tatsächlich trifft das aber nur auf 14 Prozent zu, wie sich jetzt herausschält. Die anderen hatten entweder nie Familienvermögen, oder: Ihr Vermögen wurden bereits bei früheren Streifzügen des Fiskus' bis auf den Grund abgeeichelt. Der Minister durchschreitet sozusagen seine selbstgemachte Wüste.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement läßt sich von solchen Zwischenfällen den Stolz auf das Erreichte nicht verleiden. Hartz IV sei die "größte Arbeitsmarktreform der Geschichte". Wer hatte etwas anderes erwartet? Riesige Stäbe von Experten und Ministerialbeamten haben jahrelang an dem Meisterwerk gefeilt. Ihre geballte Kompetenz füllt Schränke voll ausgeklügelter Analysen, Berechnungen, Prognosen, die nur einen einzigen Haken haben: Sie sind alle falsch. Die vohergesagten Einsparungen bleiben aus, statt dessen explodieren die Kosten. Mit dem Hartz-bedingten Gerangel um Zuständigkeiten, der Erfassung der ALG-2-Fälle und ständigen Personalversammlungen sind die Ämter zudem dermaßen ausgelastet, daß sie sich zur Zeit verständlicherweise nicht auch noch um Arbeitslose kümmern können. Deren Zahl steigt dem entsprechend rasant an.

Die Müdigkeit, die Clement und Eichel derzeit ausstrahlen, hat denn auch wenig mit der Jahreszeit zu tun. Die beiden haben keine Lust mehr! Immer dasselbe: Der eine malt wunderschöne Konjunkturprognosen, der andere komponiert nicht minder prächtige Haushaltszahlen dazu - doch spätestens die erste Steuerschätzung im Mai kippt die ganze Kunst respektlos in die Spree. Das geht nun schon seit Jahren so, was den Politikern auf Dauer nicht zuzumuten ist. Darin ist man sich in Berlin offenbar parteiübergreifend einig. Der fruchtlosen Mühen überdrüssig, hat die politische Führung Deutschlands die Europäische Verfassung durchgewinkt und sich damit komplett in den Vorruhestand verabschiedet. Denn die EU-Verfassung entmachtet die nationalen Parlamente so weitgehend, daß die deutsche Politik künftig im wesentlichen nur abzuheften braucht, was andernorts entschieden wurde - und das bei weiterhin vollen Bezügen! Wenn die Franzosen nicht noch alles verderben, wird der bislang verpönte Politikerberuf bald attraktiver sein denn je.

"Schämen Sie sich! Mirnichtsdirnichts immer weiter aufzusteigen!" Zeichnung: Götz Wiedenroth


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