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28.05.05 / "Nie wieder Deutschland" / Erinnern - Vergessen - Verachten: Zum Umgang der Deutschen mit dem Gedenken Teil II

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. Mai 2005

"Nie wieder Deutschland"
Erinnern - Vergessen - Verachten: Zum Umgang der Deutschen mit dem Gedenken Teil II
von Klaus Wippermann

In einer solchen Zeit ist auch die vielgerühmte Innere Führung nichts als Aktenstaub, wenn sie nicht gegen Anpassertum und Opportunismus vorgelebt wird. Ein Beispiel dafür ist der "unehrenhaft" entlassene Brigadegeneral Reinhard Günzel. In seiner wegweisenden Rede vom Frühjahr 2004 in Berlin über "Das Ethos des Offiziers" hat er die heute mehr als je notwendigen Wertorientierungen benannt. Nachdem er die Kategorien Opportunismus und Feigheit als für das deutsche Militär offenbar neue, verbindliche "Qualitäten" aus eigener Erfahrung charakterisiert hatte, schloß er mit einem Ausblick auf dieselbe "Qualitäten" unserer veröffentlichten Meinung mit einem Zitat des Dichters Gottfried Benn: "Das Abendland geht nicht zugrunde an den totalitären Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen Zweckmäßigkeiten."

Das war jetzt ein etwas rascher Durchgang zum Verhältnis Erinnern - Vergessen - Nichtachtung beziehungsweise Verachtung mit einem Akzent auf der Militärgeschichte und des heutigen Militärs aus Anlaß des 8. Mai. Ein gewisser Schwerpunkt soll im folgenden sein, wie es zu diesem deutschen Sonderweg des Verlustes von nationaler wie staatlicher Selbstachtung gekommen ist, - wer diese Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten beeinflußte und wer sie heute fördert - und nicht zuletzt: welche Interessen und Ziele dahinter stehen. Diese sind durchaus konkret zu benennen, denn auch hier gibt es "Täter" und "Opfer". Und es sei nochmals betont: Hier handelt es sich nicht um ein akademisches Thema, sondern um ein für unseren Staat existentielles. Im Gegensatz dazu steht nicht, daß auch von Geschichtspolitik die Rede sein wird, von instrumentalisierter Erinnerungspolitik, denn diese bestimmt nicht nur das Handeln beziehungsweise die Barrieren für ein rationales Handeln der "hohen" Politik, sondern sie beeinflußt auch unser Alltagsleben, unser alltägliches Selbstverständnis - wenn wir etwa unablässig eingehämmert bekommen, daß wir ein "Tätervolk" seien, daß wir uns in Fortsetzung des unseligen Kollektivschuldvorwurfs als "Volk der Täter" zu verstehen hätten. Eigenartigerweise wird das "Völkische" in diesen "Tätervolk"-Anklagen von den Beschuldigern offenbar gar nicht bemerkt. Denn andererseits soll es ja, wenn es nach ihnen geht, kein "deutsches Volk" mehr geben, sondern nur noch eine identitätslose und somit manipulierbare "Bevölkerung".

Wie diese Strategie der Manipulation funktioniert, hat der Historiker Michael Stürmer in äußerster Knappheit folgendermaßen formuliert: daß nämlich "in geschichtslosem Land die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet". Stürmer tat diesen Ausspruch ein Jahr nach der berühmten Rede Richard v. Weizsäckers: "Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft", seiner Ansprache am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages. Diese vielbeachtete und in hoher Auflage verbreitete Rede wurde damals - man muß heute sagen: seltsamerweise - als eine Art Durchbruch und Aufbruch verstanden. Warum? Weizsäcker widersprach zum einen der wiederauferstandenen Kollektivschuldthese: "Schuld oder Unschuld eines ganzen Landes gibt es nicht. Schuld ist ... nicht kollektiv, sondern persönlich." Und er fuhr fort: "Der ganz überwiegende Teil unserer heutigen Bevölkerung war zur damaligen Zeit entweder im Kindesalter oder noch gar nicht geboren. Sie können nicht eine eigene Schuld bekennen für Taten, die sie gar nicht begangen haben."

Diese Rede wurde vor 20 Jahren gehalten. Nach der heutigen indoktrinierten veröffentlichten Meinung wird nun sogar von den Enkel- und Urenkelkindern ein Schuldbekenntnis erwartet und eingefordert. Und wenn es nach dem Wunsch von Funktionären wie Michel Friedman gehen sollte, hat dies für alle Ewigkeiten zu gelten.

Der andere, damals ebenfalls wie die Ablehnung der Kollektivschuldthese zurecht als positiv gewertete Aspekt der Weizsäcker-Rede war, daß er auch an die deutschen Opfer erinnerte. Heute würde v. Weiz-säcker dafür wohl aus der CDU ausgeschlossen, wenn man unter anderem die Berliner Vorgänge um einen dortigen Bezirksbürgermeister und die Auseinandersetzungen um seine Wertung des 8. Mai oder auch seine Ansprache zum Volkstrauertag 2004 als Maßstab nimmt. Dabei hatte schon Theodor Heuss von einer "tragischen Paradoxie des 8. Mai" gesprochen, daß nämlich mit der bedingungslosen Kapitulation die Deutschen "in einem zugleich befreit und vernichtet worden sind". Den Tag der Kapitulation nur als "Tag der Befreiung" zu deuten, ohne zugleich des mit diesem Tag beginnenden millionenfachen Todes in Deutschland sowie abermals beginnender Unfreiheit hierzulande zu gedenken, das wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Und auch nicht Kurt Schumacher, der zu selben Zeit ebenfalls auch scharf kritisierte: "Mit dem Wort von der Gesamtschuld beginnt eine große geschichtliche Lüge, mit der man den Neubau Deutschland nicht vornehmen kann." Diese Worte des früheren KZ-Häftlings und Vorsitzenden der SPD von der Kollektivschuld als "große geschichtliche Lüge" wären heute nicht mehr publizierbar, da sie den Nachteil haben, der Wahrheit zu entsprechen.

Die Kritik von Konservativen und Geschichtsbewußten an der Rede v. Weizsäckers entzündete sich später an anderen seiner Formulierungen, hatte dieser doch selber zunächst betont - und damit eine Definition für die "Kunst des Erinnerns" gegeben - "Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, daß es zu einem Teil des eigenen Innern wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit." Wie aber vertrug sich mit diesem Anspruch auf Wahrhaftigkeit sein lapidarer Satz: "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung", wo doch die bekannte Militärdirektive JCS 1067 der Alliierten bestimmte: "Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat."

Zu v. Weizsäckers Gunsten muß hinzugefügt werden, daß er auch das nun beginnende Leid benannte: "Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai begannen und danach folgten." Aber bei der Benennung dieser Leiden blieb er doch sehr zurückhaltend bis hin zu der von vielen als skandalös empfundenen Formulierung von der "erzwungenen Wanderschaft Millionen Deutscher". Daß es sich bei dieser "Wanderschaft" um brutale Vertreibung, um den Tod von Millionen von Menschen, also um einen Völkermord handelte, davon kein Wort. Auch kein Wort, daß hier ein in der neueren Geschichte Europas unvergleichlicher Raub von fast einem Drittel des früheren deutschen Reichsgebietes - gegen jedes Völkerrecht - erfolgte. Statt dessen fand v. Weizsäcker erwähnenswert: "Auf vielen alten Friedhöfen im Osten finden sich heute schon mehr polnische als deutsche Gräber." Daß, als er diese offenbar versöhnlich gemeinten Worte sprach, die deutschen Gräber von den Polen schon längst zerstört und abgeräumt sowie überall die Erinnerungen an die Jahrhunderte deutsche Kulturleistungen ausgelöscht worden waren - auch darüber in seiner Rede kein Wort!

Eine ähnlich verharmlosende Geschichtssicht - immer dann, wenn es um die Schuld anderer Staaten geht - ist es auch, wenn v. Weizsäcker sagte: "Die Sowjetunion nahm den Krieg anderer Völker in Kauf, um sich am Ertrag zu beteiligen." Erfolgte etwa kein sowjetischer Überfall auf Polen und dann auf Finnland? Gab es keine noch sehr viel weiterreichenden globalen Eroberungsstrategien der Sowjetunion? Hat es nicht die insgesamt 80 Millionen Opfer roter Diktaturen gegeben - eine welthistorisch wahrhaft unvergleichliche Zahl? Diese sehr viel größeren Verbrechen des "linken Faschismus" (um eine Formulierung von Jürgen Habermas aufzugreifen) werden bis heute aufgrund bestimmter Interessen bewußt verschwiegen. Dagegen ist die anhaltende Tendenz unübersehbar, immer noch uns Deutschen angeblichen Militarismus und imperiales Streben zuzusprechen, andere Staaten aber trotz ihrer eindeutigen Vergangenheit davon freizusprechen. Und so wird auch der eigentliche deutsche Sonderweg sichtbar: Während alle Staaten dieser Welt ihre Geschichte zu ihren Gunsten schreiben - und das heißt allermeist zu ihren Gunsten fälschen, zumal wenn es gilt, Ansprüche gegenüber ihren Nachbarn zu erheben oder deren Ansprüche abzuwehren -, fälschen wir Deutschen als einziger Staat unsere Geschichte dann, wenn die Fakten zu unseren Gunsten sprechen, ferner auch, um etwaige eigene Ansprüche zu leugnen oder zu vermeiden. Fortsetzung folgt

 In jeder Hinsicht ein Beleg für die deutsche Neigung zu Extremen: Das Mitte Mai eingeweihte Holocaustmahnmal in Berlins Mitte Foto: Stiftung


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