29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
28.05.05 / Und Josef kocht im Hintergrund einen Musbrei / Ein Besuch im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. Mai 2005

Und Josef kocht im Hintergrund einen Musbrei
Ein Besuch im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck

Am 15. Mai 1845 wurde das nach Plänen des Mannheimer Architekten Anton Mutschlechner errichtete, spätklassizistische Museumsgebäude für das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum der darob stolzen Innsbrucker Bevölkerung öffentlich übergeben. Bereits 1882 / 84 wurde ein zweites Obergeschoß von Natale Tommasi aufgestockt. Zahlreiche Erweiterungsbauten folgten, denn Tirol steckt voller Kunstschätze. Das bekannte Museum, das nach Erzherzog Ferdinand II. (1525-1595) benannt ist, verfügt über kostbarste Exponate von der Römerzeit (eine bedrückende Menadebüste mit rotglühenden Almandinaugen) bis zur Moderne. In den Gemäldegalerien findet man Werke von Lucas Cranach, Hans Baldung Grien, Rembrandt van Rijn, Paul Troger, Franz von Defregger, Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Kokoschka und Max Weiler, dessen "Junge Sonnenblume" von 1949 durch fröhliche Grellfarbigkeit besticht.

Bleibender Ruhm ist dem "Ferdinandeum" durch die umfangreiche Gotiksammlung, insonderheit durch die Altäre gewiß. Zwei sollen hier vorgestellt sein. Der "Altar von Burg Tirol ob Meran", etwa 1370, ist der älteste erhaltene Flügelaltar des Alpenraums. Während der Restaurierung von 1939 bis 1942 stellte sich heraus, daß der jahrhundertelang gering geschätzte Altar ein einzigartiges Kulturdenkmal der Trecento-Malerei ist. Der geöffnete Altar zeigt Szenen aus dem Marienleben, die in ihrer Interpretation, der bildnerischen Erzähl- und Detailfreudigkeit ungewöhnlich sind. Am ungewöhnlichsten ist die Darstellung der Maria nach der Geburt Christi. In Seitenlage liegt sie auf einem schmalen Bett, und zwar mit total entblößtem Oberkörper. Den unteren Leib bedeckt ein blaues Tuch. Sie badet ihr Kind in einem "Holzschaff", einem kleinen Zuber.

Bei der "Anbetung Christi" ruht Maria, nun von Kopf bis Fuß in Blau gehüllt, auf einer Liege mit lustig karierten Kopfkissen. Sie neigt sich den drei purpurgewandeten Königen zu. Im Hintergrund kocht der ergraute Josef einen Musbrei. Entsprechend der Farbensymbolik des Mittelalters, die diese Tiroler Altäre präsentieren, stand Gold, Goldlicht für alle Erscheinungsformen Gottes, Versinnbildlichung des Überirdischen. Blau verkörperte Unergründlichkeit, Ferne, Treue, Keuschheit. Purpur kam den Königen, Priestern und der Trinität zu. Grau bedeutete Unterordnung, Melancholie.

Mit dem von Sebastian Scheel 1517 geschaffenen "Annenberger Altar" vollzog sich der Bruch in der spätgotischen Kunst Tirols. Der Altar ist, als erster der Region, flügellos. Meister Scheel, der für den Innsbrucker Hof arbeitete, verwendete beim Bau Stilelemente der italienischen Renaissance, erkennbar an der äußeren Gestaltung. Das Tafelbild wird, wie wir es von späteren Altären kennen, von Pilastern mit Sockeln und Kapitellen flankiert. In der Pedrella ruht Jesse; aus seiner Brust erwächst der Stammbaum Christi. Der obere, halbbögige Abschluß zeigt Gottvater im Goldgewölk. Das Tafelbild selbst ist der "Heiligen Sippe Mariae" gewidmet. Der Gedanke drängt sich auf, ein sehr weltliches Gemälde zu betrachten, das eine ranghohe Familie sich fertigen ließ.

Empfindungen jenseits aller Diesseitigkeit vermitteln drei Skulpturen eines einstigen großen Flügelaltars, den die Bürger von Sterzing (1456 / 58) für ihre Kirche in Auftrag gegeben hatten. Hans Multscher aus Ulm ist der Schöpfer. Beklommen blickt man in die von unsäglichem Leid erfüllten Antlitze von Maria und Johannes. Jesus Christus, "Schmerzensmann" mit allen Wunden der Kreuzigung, hebt abwehrend die Hände in der "Noli-me-tangere"-Gebärde. Wie das Johannes-Evangelium berichtet, erschien Jesus der Maria Magdalena neben seinem Grab. "Rühre mich nicht an", sprach er und gab ihr den Auftrag, seine Auferstehung zu verkünden. Diese Skulpturengruppe bestürzt wegen der realistischen Wiedergabe körperlicher Details: Wunden, Geäder, Hautfurchen ...

Keinesfalls sollte man versäumen, neun wunderbaren, aus dem einsturzgefährdeten Schloß Lichtenberg geborgenen Wandbildtafeln Aufmerksamkeit zu schenken. Die um 1390 entstandenen Fresken sind purer Augenzauber. In vorherrschenden, zarten Braun- und Gelbtönen sieht man einen Reigentanz, Turnierszenen, ein Glücksrad und eine Gruppe engelschöner Jünglinge und Frauen, die Rosen aus dem Heckendickicht pflücken. Esther Knorr-Anders

Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Museumstraße 15, A-6040 Innsbruck, Öffnungszeiten: Mai bis September 10-17 Uhr, Abendöffnung Do 19-21 Uhr; Oktober bis 30. April: Dienstag bis Donnerstag 9-12 Uhr, 14-17 Uhr, Freitag 9-18 Uhr. Montags geschlossen

 Eindrucksvolle Schnitzkunst: Maria, Schmerzensmann und Johannes von Hans Multscher (1456 / 58) Foto: Museum


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren