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11.06.05 / Mit einer Dame und einem Rad / Eine kombinierte Schiffs-Fahrradtour mit der MS "Classic Lady" durch Masuren

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. Juni 2005

Mit einer Dame und einem Rad
Eine kombinierte Schiffs-Fahrradtour mit der MS "Classic Lady" durch Masuren
von P. Schmidt-Walther

Unverbrauchte Natur erleben? Die kann man reichlich haben - in Masuren, seit eh und je Synonym für eine der schönsten deutschen Landschaften. Wald- und Seenreichtum sind sein Kapital. Zu erfahren ist es optimal per Schiff und Rad - die weiße "Classic Lady" macht's möglich, aber nicht nur das.

Seit seiner Indienststellung im Jahre 2003 startet das 44 Meter lange Kreuzfahrtschiff allwöchentlich von Mai bis September im Segelhafen von Wolfsee. Nur ein paar Kilometer weg, am gegenüberliegenden Ufer des Löwenthinsees, liegt Lötzen. Auch heute noch gilt es als Zentrum der masurischen Seenplatte, mitten im Herzen des südlichen Teils Ostpreußens, ein heute geteiltes Land voller Geschichten und Geschichte, aber auch voller Emotionen. Jeder Quadratzentimeter könnte Bände erzählen.

Die Journalisten-Legende Hans Helmut Kirst träumte von der "Märchenwelt aus Moos und Schilf und der leuchtend grünen Zauberwälder voller Geborgenheit". Sein Kollege Klaus Bednarz war lange ARD-Korrespondent in Warschau. Dessen Vaterhaus steht in Ukta am romantischen Flüßchen Krutinna. Dort lag "mein Kindheitsparadies", erzählt er an Bord der "Classic Lady" und kommt ins Schwärmen. Masuren war daher auch Thema einiger seiner Filme und Bücher. Dadurch haben sich auch die Passagiere der "Classic Lady" anregen lassen. "Einmal das alles mit eigenen Augen sehen und erfahren", das wollte auch die 24jährige Kulturwissenschafts- und Geschichtsstudentin Maren Röger, die von ihrem Vater Hans-Joachim zu dieser Fahrt eingeladen wurde. Sie spricht perfekt Polnisch, gelernt während eines Studienaufenthalts in Breslau.

Mit den beiden munteren Schwaben sind 18 weitere Passagiere aus der ganzen Bundesrepublik Deutschland angereist. Empfehlenswert ist die zehneinhalbstündige Zugreise auf historischen Gleisen durch Hinterpommern, Westpreußen und das Ermland (ab Stettin täglich eine durchgehende Verbindung und zurück ab Lötzen) oder schneller via Warschau per Flugzeug oder Bahn sowie Bus.

"Ostpreußen hat uns schon immer fasziniert", gesteht Klaus Koll aus Kiel, "zumal wir auch noch im Masurenring wohnen". Er und seine Frau sind wie die übrigen Gäste auch begeisterte Radler. Für Jutta Heimann aus Frankfurt liegen die Vorteile der Reisekombination Schiff-Rad, einzigartig in Masuren, klar auf der Hand: "Keine lästige Quartiersuche, kein tägliches Kofferpacken und tagsüber unbeschwertes Fahren ohne Gepäck, von fehlenden Sprachkenntnissen mal ganz abgesehen." Schnell stellt sich - Radfahren verbindet - eine unkomplizierte, familiär-legere Atmosphäre ein. Das empfinden alle so.

Wenn frühmorgens die Fahrräder von den Steward-Matrosen Staszek, Tomasz und Mariusz auf den Anlegesteg gewuchtet werden, können sich die Gäste noch mal genüßlich in ihren zweckmäßig, aber nicht ungemütlich eingerichteten Kabinen umdrehen und anschließend bis mindestens 9 Uhr in aller Ruhe frühstücken - mit Panoramablick auf das jeweilige Gewässer. Reiseleiter Dominic Pelech geht dann mit seinen Schützlingen, wie schon am Abend zuvor, noch mal die bevorstehende Tagesetappe durch. Jeder bekommt außerdem eine genaue Touren-Beschreibung, so daß man sich mit Hilfe der Karte ein klares Bild vom "Pensum" machen kann. Insgesamt sind es sechs Etappen: vom Mauersee-Komplex im Norden über das Areal der Seenplatte bis zum Niedersee in der schier endlos sich hinziehenden Johannisburger Heide. Das macht unterm Strich zwischen 240 und 315 Kilometer, je ob kürzere oder längere Strecke. Nicht gezählt die See-Meilen, die an Bord der "Classic Lady" unter dem Kommando von Kapitän Tadeusz Godwod zwischen den einzelnen Start- und Zielpunkten gedampft werden. Wer möchte, kann auch an Bord bleiben, wenn er mal eine Tour nicht radeln, sondern pausieren und die Kreuzfahrt über den Löwenthin-, Jagodner-, Beldaner-, Nieder-, Rheiner- und Spirdingsee sowie das Talter Gewässer vom Liegestuhl aus genießen möchte. Die Liegezeiten über Tag sind auch gut für lange Spaziergänge in stiller Waldeinsamkeit. Die meisten jedoch finden Erholung im Sattel. Wie eine Droge sei das, begeistern sie sich. "So kann man das Land geradezu mit allen Sinnen erfahren", schwärmt Maren. Den individuellen Radlern ohne Lust auf Gruppe - sie wollen Ziele und Tempo selber bestimmen - gibt Dominic noch ein paar Tips mit auf den Weg. Nachdem der Tacho aufgesteckt und die Fahrradtaschen mit Regenzeug, Wasserfla-

sche und Proviant befestigt sind, startet die bunte Kavalkade. Mal strampelt sie über unbefestigte Feld-, Wald- und Wiesenwege, mal über schmale, kaum befahrene Straßen und selten nur kurze Abschnitte auf verkehrsreichen Fernstraßen, hügelauf und -ab, aber fast mühelos mit einer leicht zu bedienenden Siebengang-Nabenschaltung. Zwischendurch blitzen immer mal wieder ein paar blaue Seen-Spiegel (von insgesamt 3.000) durch das frische Grün oder duckt sich das rote Ziegeldach eines alten, einsamen Gehöfts oder Gutes in einer Senke. Auf unzähligen Firsten thronen Storchennester. Sein schwarz-weiß-rotes Federkleid hat ihm den Spitznamen "preußischster aller Vögel" eingebracht. "Jeder vierte Storch weltweit ist heute Pole", heißt es polnischerseits. Wie auf Bestellung klappern sie mit ihren langen roten Schnäbeln. Meint Dominic nur grinsend: "Hab' ich mit meiner Fernbedienung angestellt". Tierisch geht es oft unterwegs weiter, wenn Seeadler, Pirol, Kranich, Reiher, Biber oder Tarpan-Wildpferde vor die Linse kommen. Elche sind eher selten.

In Zondern, sechs Kilometer westlich von Rhein, "menschelt" es hingegen. Die letzten Deutschen der Region, Kristina und Dietmar Dickti, betreiben in dem Dörfchen ein kleines Privatmuseum, das 200 Jahre alte "Masurische Bauernhaus" mit regional typischen Hausgeräten und Möbeln. Die Aufkleber von deutschen Reise- und Busunternehmen verraten, daß man es hier mit einem touristischen Glanzlicht zu tun hat. Souvenirs werden angeboten, aber auch ein leckerer, noch ofenwarmer Kasten-Hefekuchen, gefüllt mit Marmelade und überzogen mit Streusel. Bei Kaffee und Kuchen gibt Frau Dickte in breitestem Ostpreußisch "Wippches" (Witze) zum besten. Zum Beispiel den: "Was haat ejn Mann, was im Schnee sitzt? Na, Schneegleckchens!" Schallendes Gelächter.

Auch ZDF-Moderator Klaus von Lojewski, der aus Widminnen östlich von Lötzen stammt, hat sich darüber amüsiert, als er die Dicktis besucht hat. "Mannche, Mannche, hat därr mich Lechers im Bauch gefraacht", berichtet sie strahlend über so viel mediale Aufmerksamkeit.

Unterwegs bleibt immer genügend Zeit für Fotos, Dominics sehr kompetente Erläuterungen, Restaurations- und Seh-Stopps. Auch für die "kleine Waldkapelle", wie der 25jährige Reiseleiter die Stille-Bedürfnis-Pausen nennt. Neben Landschaft satt gibt es auch Sehenswürdigkeiten aus mehr als 700 Jahren Geschichte, aus der Zeit des Deutschen Ordens: ob den Familiensitz derer von Lehndorff ("Ostpreußisches Tagebuch") in Steinort, die Festungen in Lötzen, Rhein und Rastenburg, Kirchen in Nikolaiken - der "Ballermann Masurens", so Klaus Bednarz -, Lötzen und Rastenburg, das russisch-orthodoxe Kloster der altgläubigen Philipponen in Eckertsdorf oder Gut Popiellen mit seiner Rückzuchtstation des urzeitlichen Tarpans.

Am letzten Tag heißt es scherzhaft: "Heute haben wir einen Termin beim Führer". Gemeint ist der polnische Reiseführer, ein namhafter Historiker und Buchautor. Im damaligen Hauptquartier Adolf Hitlers, der "Wolfsschanze" bei Rastenburg, wird einem angesichts gesprengter meterdicker Betonmauern der Wahnsinn des "Tausendjährigen Reiches" bewußt. Neonazis lassen sich an diesem Ort daher auch nicht blicken, wie wir hören. Aber jede Menge Deutsche. "Das ist ein Stück sichtbare Geschichte", antworten einige, befragt nach ihrem Besuchsmotiv. Zwei Denkmäler erinnern an das Attentat vom 20. Juli 1944 und den Widerstand.

Am Ende eines Tages zeigt der Tacho manchmal über 60 Kilometer an. Trotz geruhsamen Tempo. Alle Altersgruppen sind irgendwie stolz, es problemlos geschafft zu haben - ohne geschafft zu sein. Jeder genießt sein kühles polnisches Bier an Oberdeck mit Wald-See-Panoramablick. Auch das Wellengluckern an der Bordwand garantiert anschließend Tiefschlaf.

Die einzige physische Unannehmlichkeit der Reise, so Klaus Bednarz aus leidvoller Erfahrung, sind die Mücken. "Doch dagegen gibt es", meint er schmunzelnd, "ein gutes sibirisches Rezept: ,Beachtest du sie, stechen sie dich. Ignorierst du sie, lassen sie dich in Ruhe'". Scherz beiseite: Antiinsektenmittel sollten im Gepäck sein.

Krönender Abschluß jedes Tages ist nach stundenlanger Frischluft-Kur das sehnlichst erwartete Abendessen: polnische Suppen und Salate, ein Hauptgericht und Nachspeise, inklusive Natur-Logenplatz. Was Küchenchef Henryk Jurowski hier in seiner "U-Boot-Miniküche" leistet, läßt auch Hermann Harz "immer wieder schon lange vorher das Wasser im Munde zusammenlaufen". Nicht verfangen kann daher das Luxusrestaurant der Brigg "Chopin", die von Nikolaiken aus zum Spirdingsee segelt und neben uns liegt. Wohl aber die frisch gefangenen und gebratenen Maränen aus dem größten See der Republik Polen, eine kulinarische Rarität und Land-Alternative.

Die Abende enden im Bord-Restaurant, wenn der masurische Mond durch die Panoramafenster lugt und das Wasser rhythmisch gegen den weißen Rumpf klatscht. Die passende Atmosphäre, um über Tageserlebnisse zu reden und zu lachen. Irgendwie schwingt es dabei mit, das Ostpreußenlied, das die "dunklen Wälder und kristall'nen Seen" besingt. Jetzt kann man nachempfinden, was damit gemeint ist.

Weitere Detailinformationen können im Internet unter www.dnv-tours.de  nachgelesen und unter der Nummer (0 71 54) 13 18 30 telefonisch erfragt werden.

Vor der Abfahrt: Nachdem die Räder von Bord des Motorschiffes geholt worden sind und die Radler sich am Frühstücksbüffet gestärkt haben, kann es losgehen. Fotos (2): Schmidt-Walther

"Classic Lady": Das unter polnischer Flagge fahrende Motorschiff wurde 2003 in Nikolaiken gebaut und in Dienst gestellt. Es hat eine Länge von 44 Metern, eine Breite von 7 Metern und einen Tiefgang von einem Meter. Fünf oder sechs Crewmitglieder betreuen bis zu 40 Passagiere, für die neben 20 Außenkabinen à elf Quadratmetern ein Panorama-Restaurant, eine Bar und ein Sonnendeck zur Verfügung stehen.


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