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18.06.05 / Russische "Heuschrecken" / Warum Moskaus Staatsanwaltschaft ein Exempel statuierte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. Juni 2005

Russische "Heuschrecken"
Warum Moskaus Staatsanwaltschaft ein Exempel statuierte
von Manuela Rosenthal-Kappi

Sie wurden in Handschellen vorgeführt und saßen während des Prozesses in einem Käfig mit Gittern: Am 31. Mai ging der Prozeß gegen die Jukos-Vorstandsvorsitzenden Michail Chodorkowskij und Platon Lebedew zu Ende. Sie wurden des Betrugs, der Steuerhinterziehung und der Bildung einer kriminellen Vereinigung für schuldig befunden und zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt.

In Deutschland wäre so etwas kaum denkbar. Man stelle sich vor, Manager eines Energieriesen würden bei Gericht mit verbundenen Händen in einen Gitterkäfig gesperrt! Selbst wer hierzulande ein Kapitalverbrechen begangen hat, genießt Anspruch auf Verteidigung und eine menschenwürdige Behandlung.

Nicht so in Rußland. Der Prozeß gegen die beiden Oligarchen war von Anfang an politisch motiviert. Ihren Anwälten wurde die Arbeit erschwert, sie konnten ihre Mandanten kaum kontaktieren, die Büros der Firma wurden ohne Durchsuchungsbefehl gefilzt, Geschäftsunterlagen beschlagnahmt. Die russische Staatsanwaltschaft wollte mit der Verurteilung ein Exempel statuieren. So zumindest die Einschätzung im Westen.

In Rußland sind die Reaktionen differenzierter. Schließlich hatte die große Mehrheit der Bevölkerung keinen Anteil am Aufstieg und Erfolg der Oligarchen. Dennoch galt Jukos für einige Zeit als westlich orientiertes Unternehmen mit Vorbildcharakter.

Die heutige Situation hat viel mit der Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion zu tun, in der sowohl Staatsdiener als auch Privatleute versuchten, die Vorteile des Kapitalismus und der neu gewonnenen Freiheit auszuschöpfen. Um ein erfolgreicher Kapitalist zu werden, benötigte man gute Kontakte zu Staatsbeamten, eine gewisse Skrupel- losigkeit und politische Unterstützung. Chodorkowskij hatte das alles. Er war Komsomolze und ein guter Bekannter Boris Beresowskijs, der in der Jelzin-Ära großen Einfluß in Moskau hatte. Um die marode Staatswirtschaft zu erneuern, setzte eine Massenprivatisierung ein, bei der große Staatsunternehmen in die Hände von Oligarchen fielen. Sie nutzten die permanente Finanznot des Staates, um sich günstig Großunternehmen einzuverleiben. Unter Jelzin spielte der Staat mit und verhinderte durch die Zusammenarbeit mit den Privatisierern den Verkauf von wichtigen Unternehmen an Ausländer. Im Gegenzug finanzierten die Oligarchen 1996 die Wiederwahl Jelzins. Beresowskij galt als der "Pate" von Moskau. Chodorkowskij gelang sein steiler Aufstieg ab 1987, schon 1988 erhielt er eine der ersten Lizenzen für die Gründung einer Privatbank. 1996 war der damals 33jährige schon Vorstandsvorsitzender von Jukos und einer der Großaktionäre der Menatep-Gruppe.

Seit seinem Amtsantritt versucht Präsident Putin, die skrupellose Aneignung von Reichtümern des Landes zu bremsen. Mit Hilfe ehemaliger Geheimdienstler und Sicher- heitskräfte bändigte er die Jelzin-Oligarchen und gebot weiteren Privatisierungen Einhalt. Genauso rasant wie vorher die Privatisierungen fand nun eine Zwangsnationalisierung bedeutender Ölkonzerne statt: Jukos wurde zerschlagen, Sibneft nationalisiert. Die Aktienkurse fielen um die Hälfte. Nachdem die Pläne der Hauptaktionäre der Menatep-Gruppe zur Fusion von Jukos und Sibneft gescheitert waren, bei der ein Kontrollpaket des neuen Superkonzerns an Chevron oder Exxon (also ins Ausland) verkauft werden sollte, waren die meisten Oligarchen außer Landes geflohen. Chodorkowskij hingegen wähnte sich im Schutz der Weltöffentlichkeit sicher vor dem Zugriff der russischen Behörden, rechnete vor allem mit den Vereinigten Staaten. Er kritisierte den Kreml wegen dessen Bürokratie, dessen Anfälligkeit für Korruption, unterstützte Putins politische Gegner, indem er liberale Kräfte finanzierte. Mit seiner Verhaftung gewann der Staat nicht nur die Kontrolle über die wichtigen Ölkonzerne zurück, sondern neutralisierte einen für den Präsidenten potentiell gefährlichen Gegner.

Kritik an dem Vorgehen wird vor allem aus Kreisen der russischen Wirtschaft laut. Sie fürchtet, daß das Urteil ihrem Image schaden wird, so daß nicht nur westliches Kapital, sondern auch russisches aus dem Land fliehen wird. Man ist sich in weiten Kreisen darüber einig, daß das Urteil kein juristisches, sondern ein politisches ist. Der Liberale Jawlinskij meinte, die Regierung habe in den 90er Jahren halbkriminelle Bedingungen der Privatisierung zugelassen und greife nun einen einzelnen heraus. Schirinowskij hingegen ging die Bestrafung nicht weit genug, er forderte die Todesstrafe. Der US-amerikanische Präsident George Bush sagte, seine Berater seien ebenfalls von einer Verurteilung vor der Verhandlung ausgegangen. Wenn Chodorkowskij und Lebedew in die Revision gehen, steht heute schon fest, daß ihnen neue Anklagepunkte zur Last gelegt werden.

Dennoch wird Chodorkowskij in Rußland kein Märtyrer werden.

Mit Oligarchen hat man kein Mitleid. Und der Westen? Das Interesse am Geschäft mit Rußland ist größer als die Einhaltung der Menschenrechte. Die Bundesregierung führt ihren Kuschelkurs mit Moskau unbekümmert fort. Sie hat andere Probleme.

Zukunft hinter Gittern: Chodorkowskij und Lebedew. Foto: pa


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