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18.06.05 / Riß in der Freundschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. Juni 2005

Riß in der Freundschaft
von Hannelore Patzelt-Hennig

Alle freuten sich auf Johanni. Die Liesbeth, die Gerda, die Lina, die Guste, nur die Karla nicht. Wie sollte sie auch - bei dem Kummer, der ihr Herz bewegte. Die fünf jungen Mädchen waren seit frühester Jugend Freundinnen, überall gingen sie gemeinsam hin, zum Jahrmarkt in der Kreisstadt wie zu den Tanzvergnügen, die sich bei dörflichen Festen boten.

Die jungen Burschen, die sich dieser Mädchentraube an die Fersen hefteten, mußten das so hinnehmen, selbst bei längerer Anhänglichkeit. Für die Mädchen änderte sich nichts an der Abmachung, daß alles gemeinsam unternommen wurde und diejenigen, die gerade übrig waren, mitkamen. Das hatte sich bisher auch einhalten lassen. Dann aber passierte eines Sonntags etwas, das in den Freundschaftsbund dieser fünf Bauerntöchter einen Riß brachte.

Da hatte doch der Georg, dieser Lachudder, obwohl er schon an ein paar Sonntagen mit Karla schöngetan hatte, sich bei einer Kahnpartie auf dem Strom ganz listig an Linas Seite gedrängt und später sogar seinen Arm um ihre Taille geklemmt. Für Karla war dort, wo Lina und Georg saßen, kein Platz mehr geblieben. So hatte sie sich auf der anderen Seite des Bootes neben Gerda niedergelassen, die an diesem Sonntag ebenfalls ohne Begleitung war, so wie Lina bisher.

Wie Karla auf jener Bootsfahrt zumute war, bedarf wohl keiner Erklärung. Und daß sie am Johannestag, der in die kommende Woche fiel, nicht an der üblichen Gemeinschaft interessiert war, ist ebenfalls zu verstehen. Sie wollte nicht noch einmal mit ansehen müssen, wie selbstvergessen Georg mit den Enden von Linas dicken blonden Zöpfen spielte, was gegen Ende jener Kahnpartie sehr ausgiebig der Fall gewesen war.

Johanni kam. Die Mädels trafen sich wie verabredet am Ortsausgang vor der großen Wiese, auf der Astwerk für das Johannifeuer geschichtet lag. Karla jedoch blieb aus. Lina wußte nicht so recht, was sie sagen sollte. Gerda und Guste schlugen vor, Karla abzuholen, aber Liesbeth war dagegen. "Meint ihr denn, die ist zu Haus? Da müßt se doch bloß erklären, warum se nich weggeht, heut, am Johanniabend."

Ratlosigkeit und Schweigen folgten darauf. Dann kamen die ersten Burschen auf die Mädchen zu, auch der Georg. Man ließ den Dingen ihren Lauf. Was hätten die vier auch anderes tun können?

Immer mehr junge Leute kamen. Scherze, Gelächter, Neckereien, ein Schluckchen aus einer herumgereichten Flasche wurde genommen. Alle waren fröhlich, nur Lina nicht so ganz. Sie fühlte sich doch irgendwie unbehaglich, wenn sie an Karla dachte, und sie mußte fast unablässig an die fehlende Freundin denken. Diese Tatsache beeinträchtigte ihre Gemütsverfassung sogar gehörig. Nur - hergeben hätte sie Georg auch nicht mehr mögen, dazu gefiel er ihr viel zu sehr. Während sich um das geschichtete Astwerk mehr und mehr Trubel bildete, saß Karla unten am Teich und ließ ihren trüben Gedanken freien Lauf. Eigentlich nicht nur den Gedanken, sondern auch den Tränen.

Nachdem sie sich gehörig ausgeweint hatte, kam sie aber zu der Erkenntnis, daß es sich im Grunde genommen gar nicht lohnte, um so einen Lorbaß zu heulen. Um ihn nicht und um keinen anderen. Nach der Erfahrung, die sie vor kurzem gemacht hatte, stand es für sie gar in Frage, ob sich das Heiraten überhaupt lohnte. Wußte man denn, was sich da so alles ergab?

Diese Überlegungen gaben ihr für eine Weile einigen Halt. Dann aber übermannte sie erneut die Sehnsucht. Der aufkommende Zorn gegenüber dem anderen Geschlecht schmolz dahin, wie verspäteter Schnee auf einer Maiwiese. Ganz geschwunden war er, als plötzlich ein junger Mann neben ihr stand, dessen nahende Schritte sie gar nicht vernommen hatte.

"So allein, Karla?" Die Stimme kam ihr bekannt vor. Trotzdem wußte sie nicht gleich, um wen es sich handelte. Sie blickte, bevor sie antwortete, in sein Gesicht.

"Ernst! Du? Ja, wo kommst du her?"

Karla war ehrlich erstaunt. Ernst Urban war ein einstiger Schulkamerad, allerdings aus einer höheren Klasse. Er war ein besonders Gescheiter gewesen, im allgemeinen aber ein recht ruhiger Junge.

Nach der Schulentlassung war er in die Stadt gegangen und Fotograf geworden. Er wollte für sein Atelier wie auch für eine Zeitung ein paar Aufnahmen machen. Das erzählte er Karla. Dabei ließ er sich neben ihr nieder.

Rohrdrommeln sangen hinten im Schilf, Frösche quakten wie in einem Wettstreit, und in der Ferne rief der Kuckuck. Er rief drei Mal - zehn Mal - 27 Mal - zwei Mal. Weh dem, der zu dieser Zeit nach seinem Ruf die Jahre, die er noch zu leben hatte, abzuzählen trachtete! Der Vogel schien äußerst tückisch an diesem Abend.

Karla dachte an dergleichen im Augenblick auch nicht, obwohl sie es sonst häufig tat. Jetzt jedoch war sie viel zu sehr von dem beeindruckt, was Ernst ihr da auseinandersetzte. Er war, da er viele Fotos an die Presse lieferte, bei fast allen besonderen Ereignissen dabei, in der Stadt selbst, wie auch in der Umgebung. Karla kam aus dem Staunen gar nicht heraus, während Ernst erzählte. Und aus dem Staunen wurde bald Bewunderung. So verging die Zeit, bis die Dunkelheit hereinbrach. Und über dieser Plauderei mit Karla hatte Ernst ganz vergessen, daß er hier unten am Teich noch einige Aufnahmen hatte machen wollen. Nun war es zu spät.

"Gehen wir jetzt auch zum Platz?" fragte er Karla. "Gern!" antwortete sie. Sie strich sich mit der Hand die Grashalme von ihrem Trachtenkleid, zupfte ihre Schürze zurecht und rieb sich die Hände in dem selbstumhäkelten tränenfeuchten Taschentuch ab.

Karla war eine sehr eigene Marjell, in jeder Weise für das Feine. Deshalb behagte ihr auch sehr, daß Ernst so akkurat und apart gekleidet war. Richtig stolz erschien sie mit ihm etwas später auf dem Festplatz.

Das Feuer loderte schon ganz beträchtlich, die Musik spielte fast ohne Pause einen Walzer nach dem anderen. Rund um das Johannifeuer drehte man sich im Tanz. Auch Ernst und Karla scherbelten bald mit. Die Fröhlichkeit, die hier herrschte, erfaßte auch die beiden. Wie von selbst ergab sich dann in dieser Nacht, daß die alte Gemeinschaft wieder hergestellt war.

Als das Feuer allmählich erlosch und die kürzeste Nacht des Jahres ihren dunklen Schleier langsam zurückzog, standen alle fünf Mädchen mit ihren Begleitern beisammen und verabredeten, was am nächsten Sonntag unternommen werden sollte. Nachdem man sich geeinigt hatte, trennte man sich. Die jungen Burschen brachten die Mädchen nun heim in die verschiedensten Richtungen und teilweise mit erheblichen Umwegen. Auch Ernst und Karla wählten einen solchen; Karla wußte, daß er ihr noch viel zu erzählen haben würde. Das hatte Ernst denn auch. Er wollte sich gar nicht von ihr trennen in jener Nacht.

Und wie die Verhältnisse in jenem Jahr zu Johanni standen, so blieben sie auch in den folgenden Jahren. Alle fünf in Freundschaft verbundene Bauerntöchter des Dorfes heirateten die Burschen, die bei jener Sonnwendfeier mit ihnen um das Johannifeuer getanzt hatten. Und Freundinnen blieben die fünf ein Leben lang. Nichts konnte diese Freundschaft nun mehr trüben - trotz des Risses, den es damals zu Johanni gegeben hatte.

Johannifeuer: Noch heute beliebtes Brauchtum zum 24. Juni Foto: Archiv


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