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25.06.05 / Alte und neue Konflikte / Rußland kämpft im Kaukasus einen aussichtslosen Kampf 

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Juni 2005

Alte und neue Konflikte
Rußland kämpft im Kaukasus einen aussichtslosen Kampf 
von Martin Schmidt

Der Kaukasus bleibt für die russische Außenpolitik das Sorgenkind schlechthin. Zähneknirschend mußte der Kreml am 25. Mai der Inbetriebnahme der Öl-Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan zusehen (siehe hierzu PAZ 23, Seite 6) und in der georgischen Hauptstadt Tiflis nach mehreren vergeblichen Anläufen nun offenbar ernstgemeinte Gespräche über eine Auflösung der beiden letzten russischen Militärbasen bis zum Jahr 2008 aufnehmen (ein Teil des Kriegsmaterials soll übrigens ins verbündete Armenien gebracht werden - zum heftigen Unwillen des zur Revanche für Berg-Karabach entschlossenen Aserbaidschans).

Außerdem verursacht schon seit letztem Jahr und verstärkt seit einigen Wochen die zur Russischen Föderation gehörende nordkaukasische Vielvölkerprovinz Dagestan erhebliche Unruhe. Nachdem allein in den zurückliegenden Monaten Dutzende Milizionäre und Angehörige russischer Spezialeinheiten bei Anschlägen umkamen, scheint jetzt der offene Aufstand der Bevölkerung gegen das verhaßte Marionettenre-gime von Präsident Magomedali Magomedow nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Daran daß es im von Korruption, Kriminalität und täglichen Schießereien gebeutelten Dagestan bald heftig krachen dürfte, wird auch die vom Kreml erwogene Absetzung Magomedows kaum etwas ändern können. Angeblich soll sich in dem von drei Dutzend Völkerschaften besiedelten Landstrich bereits ein auf Befehl des tschetschenischen Feldkommandeurs Bassajew operierender Diversionsverband "Dschennet" im Einsatz befinden.

Auch im benachbarten Tschetschenien kommt es nach wie vor täglich zu Attentaten von Unabhängigkeitskämpfern oder Repressalien der mit Moskau verbündeten einheimischen Milizen. Zwar ist ein aufsehenerregender Racheakt für die Ermordung von Präsident Aslan Maschadow bislang ausgeblieben, aber die Lage ist alles andere als ruhig.

Man erinnere sich: Ebenso wie seine rechtmäßigen Vorgänger Dschochar Dudajew und Selimchan Jandarbijew wurde Maschodow von russischer Seite ermordet. Für die freiheitsliebenden Tschetschenen war seine Tötung durch Einheiten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB am 8. März im Dorf Tolstoj-Jurt unweit von Dschochar (Grosny) ein tragischer Verlust. Denn Maschadow ist in der Zeit nach der ersten postsowjetischen Aggression von 1994 bis 1996 als Staatsoberhaupt frei gewählt worden. Seit seiner Flucht in den Untergrund im Jahre 1999 repräsentierte er für alle Welt sichtbar den fortbestehenden Anspruch auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Dabei genoß der 1951 im Verbannungsgebiet seines Volkes in Mittelasien geborene frühere Sowjetoberst große Autorität, wenngleich sein Einfluß in den letzten Jahren zugunsten islamistischer Kräfte zurückgegangen war.

Während jene auf eine immer brutalere Gegenwehr setzen und dabei nicht selten sämtliche moralischen Grenzen überschreiten (man denke nur an die Geiselnahmen in der Schule von Beslan oder im Musicaltheater "Nordost" in Moskau), stand Maschadow für eine Verhandlungslösung und verurteilte Terrorakte aus den "eigenen" Reihen.

Zwar stimmt es, daß Teile der Rebellenarmee von sehr zweifelhaftem Charakter sind - allen voran der berüchtigte Feldkommandeur Bassajew und die von arabischen Mitkämpfern beeinflußten Anhänger militant-islamischer Ideen -, jedoch vermögen alle terroristischen Tendenzen, finanziellen Hilfen aus den Ölstaaten am Persischen Golf oder Informationen über Drogengeschäfte und massenhafte Entführungen nicht zu erklären, warum es Moskau auch im siebten Jahr des zweiten Tschetschenienkrieges nicht schafft, mit immerhin rund 80.000 Soldaten das winzige Kaukasusland von der Größe Schleswig-Holsteins unter Kontrolle zu bringen. Es gibt ihn eben immer noch, den fast geschlossenen Widerstandswillen des tschetschenischen Volkes, dessen erstaunliche Kraftquellen vor allem im geistigen Bereich liegen: in der Religion und in allerlei Mythen rund um den mit Unterbrechungen nun schon fast anderthalb Jahrhunderte währenden Freiheitskampf gegen die russischen Invasoren. Darüber hinaus besteht eine breite Solidaritätsfront im gesamten Nordkaukasus.

Die Tschetschenen haben einen langen Atem und werden notfalls Jahrzehnte weiterkämpfen. Ihre nach Hunderttausenden zählenden Opfer aus den letzten anderthalb Jahrzehnten nähren nur ihren Haß auf die Besatzungsmacht, während die bis zu 15.000 allein im zweiten Tschetschenienkrieg gefallenen russischen Soldaten die Belastbarkeit der dortigen Öffentlichkeit auf eine harte Probe stellen. Die Leidensfähigkeit der Tschetschenen ist ungleich höher als die des bekanntlich ebenfalls leidgewohnten russischen Volkes, und auch die Demographie weist langfristig eindeutig auf einen Sieg der Rebellen hin (die nordkaukasischen Völker weisen das mit Abstand höchste Bevölkerungswachstum in der Russischen Föderation auf). Auch materiell bietet Rußland den Tschetschenen keine Perspektiven. Wie Aslambek Aslachanow, immerhin einer von Putins Tschetschenien-Beratern, im März auf einer Veranstaltung des Deutsch-Russischen Forums in Berlin bekanntgab, konnte der städtische Wohnungsbau in dem weithin zerstörten Land ganze 32 neue Häuser errichten; nur 112.000 Menschen besitzen seinen Angaben zufolge Arbeit, während über 200.000 junge Menschen offiziell arbeitslos gemeldet sind.

Man kann es psychologisch verstehen, warum sich viele Russen nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts - der kommunistischen Oktoberrevolution, dem Zweiten Weltkrieg und den Demütigungen nach dem Zerfall des Sowjetreiches - an die alten Eroberungen des russischen Imperialismus im Kaukasus festklammern und nicht zurückweichen wollen. Klug ist das allerdings nicht. Denn auf lange Sicht wird Moskau nur jene Landstriche halten können, in denen Russen die klare Bevölkerungsmehrheit stellen. Doch das einzusehen und sich zum Wohle des eigenen Volkes auf das Mögliche zu konzentrieren, dazu bedürfte es Staatsmänner von einem anderen Kaliber als dem Putins. Der letzte maßgebliche russische Politiker, der diese Größe hatte, war General Lebed, der Architekt des letzten Friedensvertrages mit Tschetschenien. Doch Lebed ist ebenso tot wie Maschadow - und mit ihnen die Aussicht auf baldigen Frieden im Kaukasus.

Tatsache ist, daß die russische Ausgangslage in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus noch weitaus schlechter ist als die der USA im Irak, wo man immerhin auf die eindeutige Unterstützung durch die Kurden zählen kann. Außer den Osseten und den Armeniern (die über die starke armenische Diaspora in Amerika allerdings stark zunehmenden Einflußnahmen seitens der US-Politik ausgesetzt sind) gibt es keine nennenswerten Verbündeten. Die separatistischen georgischen Provinzen Süd-Ossetien und Abchasien werden früher oder später ans Mutterland zurückfallen, dessen neue Regierung mit Hilfe Washingtons eine geschickte Wiedervereinigungspolitik verfolgt. Die Inguschen stehen spätestens dann auf, wenn die mit ihnen befreundeten Tschetschenen den Sieg davongetragen haben. Einstweilen liegt ihr Hauptaugenmerk auf dem Konflikt um den von Nordossetien auf Weisung Stalins annektierten Rayon Prigorodnyj, der einst ein Drittel ihres Siedlungsgebietes ausmachte und in den heute immer mehr Inguschen heimkehren. Hier zeichnet sich bereits heute ein neuerlicher Brandherd ab.

Über Karatschajewo-Tscherkessien und Karbadino-Balkarien gibt es nur wenige Informationen. Wie instabil die Lage allerdings auch dort ist, zeigt der Umstand, daß Karbadino-Balkarien schon seit Jahren als "Ruheraum" für tschetschenische Rebellen gilt. Zahlreiche junge einheimische Männer haben sich in radikal-islamischen Gemeinschaften organisiert, die sie "Jamiaat" nennen, und warten auf den Tag der Abrechnung mit Rußland.

Ölschleuse: Strategisch wie ökonomisch ist das Gebiet von großer Bedeutung - für Rußland, aber auch für die USA.


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