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02.07.05 / Hanna Klims fährt in die Großstadt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Juli 2005

Hanna Klims fährt in die Großstadt
von Eva Pultke-Sradnick

Ach, wär' sie, die Hanna Klims, doch bloß in Schmalldittkeiten geblieben. Es war das erste und letzte Mal, daß sie so eine lange Reise machte! Warum hatte ihre Marjell aber auch nach Berlin gehen müssen. Königsberg hätte doch genügt. Aber da war ja nach dem Krieg die große Arbeitslosigkeit und die Inflation. Für einen ganzen Wäschekorb voller Geldscheine bekam man zum Schluß gerade mal ein Stück Fleisch für die Suppe.

Aber Antonie, die Zweitälteste, war schon immer unternehmungslustig gewesen. Dabei hätte sie doch den Obermelker Franz Kotter vom Gut nehmen können. Der hatte sich ja rein die Hacken nach ihr abgelaufen. Aber nein, sie mußte nach Berlin.

Ehe man sich versah, war sie weg. Sie schrieb auch. Sie ging in Stellung bei einer Familie Brandes. Der Mann war Doktor, aber nicht für Menschen. Aber dort gefiel es ihr nicht, weil ihr die Kinder nicht gehorchten und immer "Astpreiß, Astpreiß" nachäfften.

Sie wurde daraufhin Verkäuferin im größten Kaufhaus von Berlin. Sie bewegte sich in einer Welt von Samt und Seide, Parfüms und Cremes. In diesem Haus gab es alles: vom Tortenheber bis zum Pelzmantel. Schlorren führten sie aber nicht.

Nun war Hanna doch ein bißchen stolz auf ihre Antonie und sie konnte im Dorf so ganz nebenbei einfließen lassen, daß ihre Tochter alles im Griff habe und darum alles so gut im Kaufhaus laufen würde. Ja, und jetzt hatte sie schon zwei Kinder und das Dritte würde in der nächsten Woche ankommen.

Ihr Mann war Chauffeur bei einem Direktor. Das war ja vielleicht ein Aufsehen, als sie im vergangenen Jahr in Schmaldittkeiten zu Besuch waren. Ihre Antonie hatte einen Kalabräser auf, bald so groß wie ein Wagenrad. Den hatte sie von Siegfrieds Herrschaft, von der Gnädigen Frau. Es war zwar nur ein abgelegter, aber eigentlich noch wie neu. Auch seidene Kleider hatte sie von ihr bekommen, so mit Fladruschen und Volants. Denn selbstverständlich half sie dort auch im Haushalt, bei Geselligkeiten und beim Servieren.

Hanna ließ ihre Gedanken Revue passieren, denn sie saß endlich im Zug, der sie nach Berlin bringen würde.

Ach Gottchen nei, was war das bloß für eine Aufregung gewesen. Schon ganz früh hatte sie mit dem Bauern Pattlitz, der zum Ferkelkauf fuhr, zur Kleinbahn fahren müssen, und von da aus ging es dann zum Hauptbahnhof in Königsberg. Ein freundlicher Mann hatte ihr geholfen, den richtigen Zug zu finden. Für alle Fälle hatte sie ihren Koffer noch mit Bindfaden zugeschnürt, man konnte ja nie wissen.

Um nach Berlin zu kommen, mußte man die polnische Grenze bei Schneidemühl passieren. Dort wurde alles kontrolliert, die Pässe einbehalten, die Gardinen zugezogen. Zum Schluß sperrten sie noch die Tür mit einem Schlüssel zu. Hoffentlich bekam sie ihren Paß auch wieder, denn sie mußte ja noch zurück.

Hanna, die sich so leicht nicht einschüchtern ließ, hatte Mühe, nicht in Panik zu geraten. Natürlich war ihr das alles schon gesagt worden, aber sie fand es trotzdem schikanös. Am liebsten hätte sie immer laut gerufen: "Erbarmung, Erbarmung, was machen Sie denn mit meinen Sachen", aber ihr Mund war ganz trocken. Sie kniff ihre Lippen zusammen und dachte dabei an freche Lümmel, Raubritter und Halunken. Das stand ihr ja frei.

Dies war ja dann auch ohne Beanstandung vorübergegangen. Die große Reisetasche wäre nicht nötig gewesen, aber da war doch die Gans drin und die geräucherten Würste, eingewickelt in ihren wollenen Unterrock und die frisch gewaschene Unterhose.

An so was gingen die Zöllner ungern ran, was sich bewahrheitete. Obendrauf hatte sie das Spielzeug für die Enkelchen gelegt, für jeden einen Hampelmann, Pferdchen, Kühe und Wagen. Dazu stellte sie sich schlafend und ein bißchen dösig.

Jetzt stand sie schon eine Weile auf dem Bahnsteig und wechselte ihr Standbein, Arm und Tasche. Warum kam denn der Siegfried nicht? War sie womöglich falsch ausgestiegen, war auf dem falschen Bahnsteig? Aber sie hatte den Schaffner doch jedes Mal beim Durchkommen gefragt, wie weit es noch ist.

Endlich beim letzten Durchgang hatte er dann gesagt: "Man keene Angst, Mutterken, ick paß uff Sie schon uff und ick helf Ihnen och mittes Gepäck." Er hatte ihr denn auch geholfen und gesagt, sie solle nur warten, bis ihr Schwiegersohn sie abholt. "Det dauert inne Großstadt manchmal een bißken."

Sie wunderte sich, daß er gewußt hatte, daß sie vom Land kam. Dabei sah sie mit ihrem schwarzen Mantel, dem sie noch vorher den auf Seal geschorenen und gefärbten Truscherbockkragen aufgenäht hatte, und dem über Dampf aufgetobberten Hut recht städtisch aus. Ach, wär sie doch nur zu Hause geblieben. Die Menschen waren hier so schnell, auch mit dem Mundwerk.

War es hier aber auch alles zu sehen gab ... Sogar ein richtiger Neger war an ihr vorbeigegangen und hatte sie angelacht.

Endlich, ein Stein plumpste ihr vom Herzen, da stand ja der Siegfried! Sie hatte immer gemeint, daß sie ihn nicht so richtig gern haben konnte, aber jetzt wäre sie ihm fast vor Freude um den Hals gefallen.

"Na, Omaken, is ja scheen, dat du da bist", meinte er. "Jib mir man dein Jepäck und halt dir an mir fest. Wir fahren mit dem Direktorwagen, da kann ick dir gleich de Spree und vleicht noch de Krumme Lanke vorstellen. Aber wir werden uns man beeilen, Antonie sitzt all wie auf Kohlen und die beeden Kleenen kicken seit morgens durches Fenster."

Dann hielt er ihr die Tür zu einer großen schwarzen Limousine auf und Hanna bedauerte in diesem Augenblick nicht im geringsten, daß sie nach Berlin gefahren war.


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