29.03.2024

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02.07.05 / Wie Feuer in der Seele

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Juli 2005

Wie Feuer in der Seele
von Eva Pultke-Sradnick

Letztendlich war es doch noch Sommer geworden, richtiger Sommer! Petra kam laut heulend ins Haus gelaufen. Omchen war auch gleich zur Stelle, nahm ihr Trautsterchen in den Arm, schuschte es hin und her, wischte die dicken Tränchen ab und horchte auf das, was immer wieder holpernd und stolpernd über Petras Lippen kam. Sie war ja so traurig. Alle Kinder durften jetzt baden und schwimmen gehen, nur sie durfte noch nicht mit, weil sie noch zu klein war fürs Schwimmbad. Und Geld hatten sie auch keins, denn die Oma sagte immer, daß sie, nachdem sie aus Ostpreußen fort mußten, arm wie die Kirchenmäuse seien. Aber sie, Petra, wollte doch auch wie die anderen im Wasser planschen, wollte auch Sandkuchen backen und Stuckse fangen, wie Oma immer von früher erzählte.

"Alle haben sie einen See, nur wir nicht", schimpfte Petra jetzt vorwurfsvoll, "alle!" Frau Adomeit unterdrückte einen Seufzer. Kind, Kind, dachte sie, wir hätten es ja auch gehabt, es ist doch nicht unsere Schuld, daß alles so gekommen ist. Sie unterdrückte das Verlangen, jetzt am Strand entlangzulaufen, Heimat zu riechen und zu fühlen. Sie war immer wieder überrascht, daß zu manchen Zeiten der Verlust der Heimat wie Feuer in ihrer Seele brannte.

Aber jetzt mußte erst mal getröstet werden. Bei ganz großem Kummer half schon mal ein Zucker- oder Honigbrot, da konnte sie sich noch an die eigene Kinderzeit erinnern. Danach ging sie in den Keller, krasselte da ein bißchen rum und kam mit einer gelben Waschwanne wieder. Nein, sie war nicht mehr aus Zink wie früher. Diese war aus Plastik, aus Kunststoff und leicht zu handhaben. Bis sie eine eigene Waschmaschine hatten, mußte die Wäsche viele, viele Jahre mit der Hand auf dem Waschbrett gerubbelt werden. Dann wurde sie im großen Waschkessel gekocht, abgekühlt und wieder durchgerubbelt. Diese Wanne hier gehörte doch schon längst auf den Sperrmüll, hatte sie immer gedacht, und nun sieh an, sie konnte auf einmal noch gute Dienste leisten.

Unter dem kleinen Apfelbaum, der sogar schon ein wenig Schatten spendete, wurde die Wanne hingestellt. Der Gartenschlauch reichte zum Glück auch. Hinein mit dem kühlen Naß, das aber noch von der Sonne erwärmt werden mußte. Das Wasser schwappte und schaukelte im Sonnenlicht, und ein paar Blütenblätter wollten darauf Kahn fahren.

Petra war überwältigt, eine ganze Wanne voller Wasser für sie ganz alleine! Während sie noch die kleine Ente holte, Oma Papierschiffchen faltete und aufs Wasser setzte, kam der Bus vorbei. Günter Godien stieg aus, kam näher an den Zaun. Er konnte nicht mehr so mit den Beinen und war froh, daß Anna ihn einlud, in den Garten zu kommen.

Wehmütig besah er sich das kleine Wasser und verlor sich gleich mit seinen Gedanken in die Heimat. Er sah sie mit seinen Augen so nah, er kannte jeden Weg, ob holp-rig oder gepflegt, er kannte jeden hervorstehenden Stein und jede Baumwurzel der Erlen und Linden. Er sah die weiß aufschäumenden Brecher der See auf das Land rasen, er sah den Sommerstrand mit den Sommergästen, er hörte sogar die lauten Zurufe der Kinder. Er sah sie beim Ballspielen, sich Ringe zuwerfend, sah sich im Wasser planschen. Wie armselig war doch so eine Waschwanne voll.

Anna war in die Küche gegangen und kam mit einem Glas Apfelsaft wieder. Günter hatte die Augen geschlossen, schreckte jedoch durch die Schritte auf. "Erbarm di, Günterke, wie sittst du denn ut, fehlt di wat, du kickst joa ganz bedripst?"

Er lächelte dünn und traurig: "Ach, Annke, öck wear to Hus möt miene Gedanke. Kann man denn doa nich e bätke Heimweh kriege?"


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