29.03.2024

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16.07.05 / In Sehnot

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. Juli 2005

In Sehnot
von Siegfried Walden

Sie waren einen Tag zu früh in ihrem Feriendomizil eingetroffen. Deshalb wurden Fred und Angelika für eine Nacht in einem nahe gelegenen Bauernhof einquartiert. Den Hof begrenzten im offenen Viereck das Wohnhaus, die Stallungen und die Scheune. Die Frühurlauber bekamen ein Zimmer in der zweiten Etage, das nur im Notfall vermietet wurde. Es hatte keine Toilette. Fred und Angelika suchten vor dem Schlafengehen noch eine Gaststätte auf, in der sich besonders Fred bemühte, den Ärger über das zu frühe Eintreffen am Urlaubsort herunterzuspülen. Und das hatte Folgen.

Nachts wurde er wach wegen des dringenden Bedürfnisses, eine Toilette aufzusuchen. Aber oh weh! Im Flur war es stockfinster. Er fand weder einen Lichtschalter noch die Flurtoilette. Nach einigem Betasten der Wände und der Flurgeländer spürte er im Parterreflur einen Schlüssel in einem Schloß stecken. Er öffnete die Tür und mit Tempo und flatterndem Nachthemd rannte er ins Freie. Es plätscherte und Fred atmete erleichtert auf. Doch gleich darauf stockte ihm der Atem wieder: Schwach erkannte er die Silhouetten der drei Gebäude, aber aus welchem und durch welche Tür er nach draußen gekommen war, das wußte er nicht mehr.

Wie ein Gespenst schlich er nun, die Außenwände der Gebäude betastend, von Wand zu Wand. Schon bald fand er auch eine Tür, die er öffnete. Ketten rasselten und man rief ihm zu: "Muh", das war der Kuhstall. Fred tastete sich weiter vor und stand vor einer Tür. Wie zu seinem Empfang erscholl hier der Chor der grunzenden Vierbeiner. Er stand jetzt am Schweinestall. Fred hatte noch zwei Türen erfolglos aufgespürt, als er über eine Eisenkette stolperte, an der sich an einem Ende eine kleine Holzhütte befand und am anderen ein Hündchen, das wütend bellend auf ihn zugerast kam. Mit einem Hechtsprung, aber auch weil die Kette wegen der Hofgäste kurz gehalten war, konnte er dem Vierbeiner entkommen.

Dann geschah für Fred das Wunder: Der Nachtwandler sah, wie hinter einer Tür das Licht eingeschaltet wurde. "Hündchen", rief er dem immer noch wütend bellenden Vierbeiner zu, "du wolltest mich zwar fressen, aber du hast mich gerettet."

Die Tür wurde geöffnet und der Bauer rief: "Wotan! Warum bellst du? Ist etwas nicht in Ordnung? Womöglich ein Einbrecher auf dem Hof?" Dann erschrak der Bauer. Er sah die ihm wie ein Nachtgespenst erscheinende menschliche Gestalt. Und er atmete sogleich wieder auf, als Fred, das vermeintliche Nachtgespenst, ihm zurief: "Kein Einbrecher, nur ein in ‚Sehnot' geratener, verirrter Schiffer."


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