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23.07.05 / 60 oder 72 Jahre Vertreibung?

ï Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Juli 2005

Gedanken zur Zeit:
60 oder 72 Jahre Vertreibung?
von Bernhard Knapstein

Die Zentralveranstaltung des BdV zu "60 Jahre Vertreibung" steht unter Beschuß. In der Süddeutschen Zeitung kritisiert der Leiter des "Richard Koebner Center of German history" an der Hebräischen Universität von Jerusalem, Moshe Zimmermann, an der BdV-Veranstaltung, die Vertreibung von Deutschen habe nicht erst 1945 begonnen. Tatsächlich habe sie 1933 eingesetzt.

Seine These von "72 Jahre Vertreibung (und Völkermord an Deutschen)" stützt sich darauf, daß auch Juden in Deutschland Deutsche waren. Zimmermanns Argumentation ist schlüssig und dogmatisch richtig. Da gibt es nichts dran zu deuteln. Auch Deutsche jüdischen Glaubens oder Abstammung waren Deutsche. Viele waren politisch deutschnational und hatten auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges für ihren Kaiser heldenhaft gekämpft. Für diese Personengruppe mußten die Entwicklungen der aufsteigenden NSDAP und die persönlichen Erlebnisse der Ehrabschneidung als "Juden", die nach NS-Verständnis keine deutschen Ehrenmänner sein durften, besonders dramatisch gewesen sein. Damals galt das Eiserne Kreuz noch etwas, es durfte eben nur nicht mehr an jüdischer Brust zu finden sein. Der Migrationsdruck, die Verfolgung, die Verschleppung, Internierung und Ermordung waren Akte der Vertreibung. Im Ergebnis heißt dies: Ja, die "Vertreibung von Deutschen" begann vor 1945.

Klärungsbedürftig ist allerdings, ob die Kritik an dem Gedenkakt-Motto "60 Jahre Vertreibung" gerechtfertigt ist.

Tatsache ist, daß jüdische Opferverbände - aus schmerzhaft nachvollziehbaren Gründen - sich nicht in den deutschen Opferverband "BdV" integrieren mochten. Der Holocaust stand von Anfang an als Völkermord sui generis im Vorfeld der Vertreibung der Deutschen ab 1944/45. Aber auch die Zielsetzungen der beiden deutschen Opfergruppen waren zu unterschiedlich. Beiden Gruppen ist gemein, daß sie das individuell Erlebte als Schicksals- und Sozialgemeinschaft bis zum Lebensende verarbeiten müssen.

Während der BdV, auch in seinen Vorläuferorganisationen, relativ schnell außerdem das "Recht auf die Heimat" als Hauptforderung festzurrte und bis heute verfolgt, ging es deutsch-jüdischen Opferverbänden nicht primär um eine Heimkehr. Der Schock von Auschwitz saß bei den allermeisten Überlebenden zu tief, um mit Deutschen, die Hitlers Parteibuch gehabt und ihn gewählt hatten, für ein gemeinsames Recht auf die Heimat zu kämpfen. Diese Ablehnung kann man niemandem vorwerfen, der die Vernichtung des europäischen Judentums überlebt hat.

Dennoch: Würde der BdV "72 Jahre Vertreibung" zum Gedenkmotto machen, dann stünde heute der Vorwurf der Verharmlosung des Holocausts sofort im Raum. Heftige Reaktionen müßten unzweifelhaft zum Rücktritt von Erika Steinbach und anderen Verantwortlichen führen. Die Vertreibung der Deutschen jüdischen Glaubens beziehungsweise jüdischer Abstammung ist ein Opfergang eigener Art. Dies ist übrigens vom BdV nicht nur nie bestritten worden, sondern in Ansprachen auch immer wieder angesprochen worden.

Wo sind also die Gemeinsamkeiten, die Zimmermanns Kritik gerechtfertigt erscheinen lassen?

Eine besonders beachtenswerte Opfergruppe ist insoweit eine Organisation von Ost- und Westpreußen und Danzigern in Tel Aviv. Die Landsmannschaft Ostpreußen pflegt immer wieder den Kontakt zu den dort lebenden Landsleuten jüdischen Glaubens. Doch auch für sie, die durch Judenverfolgung und Vertreibung doppelt entwurzelt sind, geht es nicht um das "Recht auf die Heimat". Israel, der jüdische Staat, ist ihnen zur neuen Heimat geworden. Israel bietet ihnen zumindest den Schutz vor Antisemitismus, denn diese Angst sitzt bei aller Freundschaft zu Deutschland tief, mag sie auch noch so unbegründet sein. - Der Verein ist heute nicht mehr sehr groß, da der eigene Nachwuchs keinen Bezug mehr zu den deutschen Wurzeln hat.

Zimmermann verkennt allerdings, daß auch in den Landsmannschaften im BdV Menschen jüdischer Abstammung und jüdischen Glaubens organisiert sind. Es mögen wenige sein, die den Holocaust als historischen Komplex betrachten, der von den nichtjüdischen Deutschen über Jahrzehnte ehrlich und gewissenhaft aufgearbeitet wurde. Der prominenteste ist wohl der Schlesier Herbert Hupka, der im Zweiten Weltkrieg aufgrund seiner jüdischen Abstammung als wehrunwürdig galt. Für sie ist die Vertreibung der jüdischen Deutschen von 1933 bis 1945 aufgearbeitet, da Juden in Deutschland willkommen sind. Dieser Opfergruppe wird das Recht auf die Heimat (zumindest in der Bundesrepublik) gewährt.

Ein anderer Fall: Erst vor wenigen Monaten haben die Studentenverbindungen im Hamburger Waffenring aus Anlaß von "750 Jahre Königsberg" einen großen Festkommers mit Jörg Schönbohm organisiert (diese Zeitung berichtete). Im Rahmen des zu solchen Anlässen üblichen Totengedenkens wurde vor den rund 500 Akademikern auf das Schicksal eines Burschenschafters jüdischer Abstammung aufmerksam gemacht. Sein Schicksal konnte dank der PAZ wenige Tage zuvor endgültig geklärt werden. Der deutschnationale "Leipziger Germane" Dr. Curt Zernik war in Königsberg Amtsgerichtsrat. Über Monate verschwand er Ende der 30er Jahre in den Kellern der Gestapo. Dennoch - Zernik überlebte das NS-Regime in der ostpreußischen Metropole. Am 9. April 1945 kapitulierte die Festung Königsberg. Zernik überlebte seine "Befreiung" vom NS-Staat nur wenige Tage. Er verhungerte nach Zeugenaussagen schon bald - gemeinsam mit vielen nichtjüdischen Königsbergern - in einem sowjetischen Internierungslager.

Die Verschiedenheit der jüdischen Schicksale und die besondere Dramatik, die hinter vielen leichteren und tragischeren Schicksalen steht, machen diesen von Zimmermann angesprochenen Vertreibungszeitraum 1933 bis 1945 zu einem besonderen Komplex. Man mag hier zwar vergleichen können, nicht aber gleichsetzen!

Diese Besonderheit erfüllte auch die Gedanken junger Ostpreußen des Bund Junges Ostpreußen, die in Preußisch Holland über zwei Tage einen jüdischen Friedhof gereinigt hatten.

Wenn der BdV also der 60jährigen Wiederkehr der "Vertreibung" gedenkt, dann ist dies erstens die Folge unterschiedlicher Zielvorgaben der Opfergruppen und zweitens bringt er damit zugleich zum Ausdruck, daß Judenverfolgung und Holocaust eben doch ein Vertreibungs- und Völkermordkomplex sui generis ist, der nicht mit der Vertreibung und dem damit verbundenen Völkermord an den Deutschen 1945 und in den Folgejahren gleichgesetzt werden kann.

So sehr Moshe Zimmermann mit seiner "72 Jahre Vertreibung"-These dogmatisch recht hat, so wenig ist seine Kritik am Bund der Vertriebenen angebracht.


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