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23.07.05 / Der doppelte Schiller / Zwei Särge und vier Beisetzungen

ï Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Juli 2005

Der doppelte Schiller
Zwei Särge und vier Beisetzungen
von Dieter W. Leitner

Vor zehn Jahren wurde nach einjähriger Restaurierung die Fürstengruft mit den Särgen von Schiller und Goethe vor dem Frauentor in Weimar auf dem historischen alten Friedhof für Besucher geöffnet. 1955 hatte die DDR-Regierung anläßlich der Schillerfeiern zu seinem 150. Todestag die Särge auf ein zentrales Podest stellen lassen. Seit 1995 stehen die Sarkophage wieder an ihrem ursprünglichen Platz von 1827. Doch ruhen Schillers Gebeine in seinem Sarg?

Am 16. Dezember 1827 wurden Schillers sterbliche Überreste in die Fürstengruft gebracht. Großherzog Karl August hatte ein Jahr vor seinem Tode verfügt, daß Schiller und später auch einmal Goethe in seiner Familiengruft ruhen sollten. Doch - so kurios es klingen mag - in der Weimarer Fürstengruft sind die sterblichen Überreste Schillers "zweimal" vorhanden. Bis heute weiß niemand, welches die echten Gebeine sind.

1787 siedelte Schiller nach Weimar über. Am 9. Mai 1805 erlag der Dichter dort einem Lungenleiden. Er wurde in einem sogenannten Kassengewölbe, der letzten Ruhestätte für vornehme Weimarer Bürger, die kein Erbbegräbnis hatten, beigesetzt.

1826 soll das Kassengewölbe freigelegt werden. Auf dem Weimarer Bürgermeister Carl Leberecht Schwabe lastet zentnerschwer die Vorstellung, daß damit auch Schillers Gebeine für alle Zeiten verloren gehen. In einer windigen Märznacht versucht man Schillers Sarg zu bergen. Schwabe, sein Bruder, ein Arzt, der Registrator Stötze und ein Kanzlist sowie Totengräber steigen auf langen Leitern in das moderfeuchte Innere der Gruft zu den Toten, die hier seit vielen Jahrzehnten ruhen.

Weil die Särge längst vermodert waren, zerfielen sie in Staub und Knochen, wenn man sie nur anrührte. Außerdem waren die frischen Särge immer auf die alten herabgelassen worden, und die unteren unter der Last zusammengebrochen. Die Männer finden den Sarg Schillers nicht.

Bürgermeister Schwabe gibt nicht auf. Er besitzt noch einen Gipsabguß vom Kopf Schillers, der am Tag nach seinem Tode angefertigt wurde. Sollte es nicht möglich sein, wenigstens den Schädel Schillers unter den Überresten im Kassengewölbe zu finden?

In den kommenden Nächten reichen die Totengräber ihrem Bürgermeister insgesamt 23 Totenköpfe aus der Gruft. Kein Winkel bleibt undurchsucht. Schwabe läßt die Schädel in einen Sack packen und in seine Wohnung bringen. Dort baut er sie vor sich auf. Einer von ihnen hebt sich unter allen "durch seine Größe und seine regelmäßige Formation" heraus. "Das ist Schillers Schädel!" sagt sich Schwabe.

Die drei angesehensten Ärzte Weimars vergleichen den Schädel mit der Totenmaske. Sie bestätigen, daß Schwabe recht haben müsse. Dann begibt sich der Bürgermeister mit seinem Fund zu dem Menschen, der Schiller von allen noch Lebenden am besten gekannt hat, zu dem 77jährigen Goethe. Der Dichter hebt den Schädel "diese dürre Schale, die herrlich edlen Kern bewahrte", monatelang bei sich auf. Auch er ist davon überzeugt, daß es Schillers Schädel sein müsse, der da vor ihm auf einem blausamtenen Kissen unter einer gläsernen Haube ruht. Goethe zeigt ihn nur einem einzigen Menschen, dem großen Gelehrten Alexander von Humboldt, und er veranlaßt, daß von einem erfahrenen Anatomen im Kassengewölbe nach Gebeinen gesucht wird, die zu dem Schädel passen.

Dann wurde Schiller zum zweiten Mal beerdigt. Die Gebeine wurden in einen Sarg gelegt, der in der Bibliothek des Herzogs Karl August aufgestellt wurde. Den Schädel jedoch versenkte man in das hohe Postament, auf dem die berühmte Schillerbüste von Johann Heinrich von Dannecker stand. Das war am 17. September 1826. Ein gutes Jahr später setzte man die Gebeine dann in der Fürsten-gruft bei - Schillers dritte Beerdigung.

Um 1880 tauchten zum ersten Mal Bedenken auf, ob der Kopf in der Weimarer Fürstengruft wirklich Schillers Schädel sei. Man besaß Gipsabgüsse von dem Schädel, den Schwabe aus dem Kassengewölbe hervorgeholt hatte. Der Hallenser Professor Friedrich Welker wurde beauftragt, die Gipsabdrücke mit den beiden Totenmasken, die man von Schiller besaß, zu vergleichen. Leider ist die eine Maske aus Gips, die andere aus Ton, der beim Brennen schrumpft, so daß man nicht mit Sicherheit wußte, welches die genaue Totenmaske Schillers ist. Welker vertrat in einem Buch die Ansicht, daß der Schädel in der Fürstengruft kaum der echte Schädel Schillers sein könnte. Damit ruhte die Frage zunächst wieder.

40 Jahre später kam es beim Deutschen Anatomenkongreß in München (1912) zu einer Sensation. Professor Ludwig von Froriep aus Tübingen teilte der Versammlung mit, daß er den echten Schädel des Dichters gefunden habe. Er hatte an der Stelle, wo einst das Kassengewölbe stand, nachgraben lassen und noch fast drei Dutzend Totenschädel gefunden. Einen von ihnen erklärte der Professor für den Schädel Schillers. Er paßte auch sehr gut in eine der beiden Totenmasken, aber das Ergebnis war konträr zu der Auffassung Professor Welkers. Während dieser die Gipsmaske für die genaue erklärt hatte, entschied sich Froriep aufgrund einer komplizierten Überlegung für die Tonmaske.

Die Verwirrung hatte ihren Höhepunkt erreicht: Man hatte jetzt zwei umstrittene Totenschädel Schillers und zwei ebenso umstrittene Totenmasken. Wie dem auch sei - im März 1914 wurde der neuentdeckte Schädel mit einigen hierzu passenden Gebeinen gleichfalls in der Fürstengruft beigesetzt, in einem bescheideneren Sarg hinter einem Vorhang. Dies war Schillers vierte Beerdigung innerhalb von 110 Jahren.

Den jüngsten Beitrag zu dieser Streitfrage lieferte 1950 der Berliner Zahnarzt Fritz L. Hildebrandt. Er trug zusammen, was über die Zähne Schillers bekannt geworden ist. Hildebrandt entscheidet sich aufgrund seiner Untersuchungen für den Schwabe-Schädel also für jenen Schädel, den alle, die Schiller noch gekannt haben - vor allem Goethe mit seinem unbestechlichen und anatomisch geschulten Auge -, stets für den Kopf des großen Dichters gehalten haben.

Die Deutsche Post gab am 12. Mai zum Schillerjahr eine Sonderbriefmarke heraus. Die Marke zeigt eine frühe Gesamtausgabe von Schillers Werken und seine Unterschrift. Am selben Tag edierte das Finanzministerium zum 200. Todestag Schillers eine Zehn-Euro-Silbergedenkmünze. Auf der Bildseite steht ein Porträt des Dichters im Mittelpunkt, umrahmt von Titeln einiger seiner dramatischen Werke. Das Volk der Dichter und Denker hat sich entschlossen, zum vierten Mal eine Münze zu Ehren eines seiner bekanntesten Söhne herauszugeben.

 Totenmaske Friedrich Schillers: Welches ist der richtige Schädel des großen Dichters, dessen 200. Todestages man in diesem Jahr gedenkt? Foto: Archiv


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