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13.08.05 / Otto Balduin Sperrvogel wird kuriert

© Preußische Allgemeine Zeitung / 13. August 2005

Otto Balduin Sperrvogel wird kuriert
von Annemarie in der Au

Otto Balduin Sperrvogel war ein Junggeselle im besten Alter. Er war kein gewöhnlicher junger Mann, das deutete schon sein Name an, der so und nicht anders im langen Taufregister nachzulesen war. Seine Freunde nannten ihn der Einfachheit halber Obaldi.

Obaldi hatte sich mit Eifer, Liebenswürdigkeit und auch durch eine Menge äußerer Vorzüge schnell zum ersten Verkäufer im Stoffhaus Bernecker hinaufgearbeitet. Das brachte ihm die Zuneigung der Damenwelt und die neidlose Bewunderung seiner Freunde ein. Er war allseits beliebt und überall ein gern gesehener Gast. Nur über eines schüttelte man die Köpfe: über seine merkwürdige Angewohnheit, sparsam zu sein.

Nicht, daß Obaldi geizig gewesen wäre. Nie vergaß er, einer Dame des Hauses ein kleines Blumensträußchen mitzubringen. Nie rauchte er anderen Männern die Zigarren weg. Und selbst in der Kirche gab er beim sonntäglichen Gottesdienst die drei Groschen, die alle gaben. Nur wenn er mit seinen Freunden einen Abendbummel machte, der irgendwo bei einem Bierchen landete, dann hatte er nie eine Geldbörse bei sich und verließ sich auf eine Einladung.

Vielleicht war dies noch eine Angewohnheit aus seiner knappen Lehrjungenzeit. Aber nun mochte sie schuld sein, daß er trotz aller guten Eigenschaften immer noch unbeweibt war.

Falle nur nicht einmal mit deiner zuhause gelassenen Geldbörse in ein Abenteuer, lachten seine Freunde. Aber zu solchen Ermahnungen hatte Obaldi nur ein überlegenes Lächeln. Ihm würde schon nichts passieren.

Doch seine Freunde rotteten sich schon zusammen, um den sparsamen Junggesellen von seiner Untugend zu heilen.

Obaldis Freunde hatten Freundinnen. Und diese wiederum kannten eine Freundin, die mit sämtlichen verführerischen Reizen der Weiblichkeit ausgestattet war, auf die selbst weiberfeindliche Junggesellen aufmerksam geworden wären. Helga war voller Natürlichkeit und Humor. Und sie konnte einen Augenaufschlag zelebrieren, der Männerherzen im Nu zahm machte. Um diesen Augenaufschlag herum schmiedeten die Freunde ihre Pläne.

Obaldis Freunde versammelten eine stattliche Anzahl junger Leute zu einem gemeinsamen Ausflug. Für alles war bestens gesorgt: für eine kurze Bummelbahnfahrt bis zur nächsten Kirschbaum- und Milchkannenstation; für einen kleinen Wanderweg, der Pärchen enger aneinanderrücken ließ; für genug reservierte Tische und Stühle in einem Waldcafé; für Kuchen, Bier, süße Liköre, aufmerksame Bedienung, kurz für alles, was zu einem vergnüglichen Zusammensein so gehört. Sogar eine Mundharmonika war dabei, die heitere Liedchen trällerte. Nicht immer ganz richtig, aber das war ja gerade das Lustige daran.

Natürlich war Helga Obaldis Tischdame. Und er hätte wahrlich schon ein Herz aus Stein haben müssen, wenn er es nicht augenblicks in ihren unergründlichen Augen verlor. Und er hätte wetten können, daß auch sie ihr verlorengegangenes Herzchen schon in seinen verliebten Augen suchte. Sie sahen nur noch sich, rückten immer noch um ein Millimeterchen enger aneinander und schienen die Freunde um sich herum beinahe vergessen zu haben.

Schon wollte Obaldi begeistert aufspringen, als ihn Helgas Flüstern sanft an ihrer Seite festhielt. Sie wollte lieber hier sitzenbleiben. Sie hatte sich leider, leider beim Herweg ein wenig den Fuß vertreten, und nun tue er ihr mehr weh, als es ihr lieb sei. "Aber lassen Sie sich auf keinen Fall von mir von diesem köstlichen Spaziergang abhalten. Ich kann hier gern allein sitzen und warten."

Und Helga schickte dabei Obaldi einen Augenaufschlag entgegen, der ihm die Knie so weich werden ließ, daß er gar nicht mehr fähig war, aufzustehen. Mit scheinheilig fragenden Blicken schauten die andern zu ihnen hin. Obaldi winkte nur großzügig ab: Geht ihr nur.

Da versuchten alle Gesichter, sich in tiefes Bedauern zu kleiden. Aber manche konnten doch ein höchst merkwürdiges Zwinkern nicht unterdrücken. Und es war gut, daß Obaldi so in Helgas Bann stand, daß er außer ihr nichts mehr sah und hörte.

Otto Balduin Sperrvogel hatte nicht das Allergeringste dagegen einzuwenden, mit seiner bezaubernden Helga ein Weilchen ganz alleine zu sein. Ja, er war seinem Schicksal sogar von Herzen dankbar für alle Fügungen. Und seine Freunde sollten sich seinetwegen nur recht viel Zeit mit dem Wiederkommen lassen.

Und die ließen sich Zeit. Unverschämt viel Zeit. Für Obaldi freilich verflog sie wie feiner Dünensand im Winde. Es war Helga, die sich plötzlich unruhig zeigte und offen verstohlen immer häufiger zur Tür in die Runde schaute.

Das Café hatte sich geleert. Sie saßen als einzige noch hier. Der Kellner lehnte schon ein wenig schläfrig an der Theke. "Ich glaube, die haben uns vergessen", sagte Helga und versuchte, ein wenig Ängstlichkeit in Stimme und Augenaufschlag zu legen. Aber Obaldi gab sich unerschütterlich und sicher. Äußerlich wenigstens. In Wahrheit war nun er es, der nach der Tür schielte, immer wieder fahrig nach seinen Taschen griff und auf seinem Stuhl unruhig hin und her rutschte.

Helga stand entschlossen auf: "Komm, wir gehen. Wenn die anderen nicht zurückfinden, dann sollen sie von mir aus ruhig den Zug versäumen. Uns soll er nicht davonfahren."

"Noch zehn Minuten wollen wir warten."

"Na schön."

Sie warteten zehn Minuten. Sie gaben sogar noch einmal zehn Minuten hinzu. Dann wollte Helga absolut nichts mehr hinzugeben. Wenn der Herr Sperrvogel weiter auf seine Freunde hier warten wollte, dann sollte er das nur ruhig tun. Sie hätte auf jeden Fall die Nase von so einer dummen Lauerei voll. Und Helga stand energisch auf. Der Fuß schien ihr überhaupt nicht mehr weh zu tun.

Was blieb Obaldi anderes übrig, als sich ebenfalls zum Nachhause-marsch zu entschließen. Vielleicht, hm, vielleicht gelang es ihm, sich unbemerkt an dem Kellner vorbeizudrücken.

Doch darin hatte er sich entschieden verrechnet: "Ah, der gnädige Herr wünschen die Rechnung. Bitte sehr, hier ist sie schon." Alles zusammen, wie die Herren es ihm aufgetragen. Und der Kellner lächelte ihm breit entgegen, als wüßte er um eine fatale Angelegenheit.

"Ja, aber ...", versuchte Otto Balduin seine Rettung mit einem Stottern "... ja aber ... meine Freunde wollten doch ... haben meine Freunde denn nicht schon ... ich habe nämlich mein Geld ... hm, hm ..."

Otto Balduin wurde knallrot bis hinter die Ohren. Er sah ertappt aus wie ein Schuljunge, den der Rektor gerade dabei erwischte, wie er des Herrn Lehrers Rechenbeispiel an der Tafel mit überflüssigen Nullen verzierte. Ach, am liebsten wäre er vor Helga in die Erde versunken, aber leider tat sich keine Dielenspalte auf. Er mußte sich schon dazu bequemen, seine Geldlosigkeit offen zu gestehen, und am Ende Helgas Hilfe in Anspruch nehmen und obendrein ohne seine silberne Uhr und ohne seine Sonntagsjacke, dafür aber mit einem heißen Herzen voller allerbester Vorsätze davonziehen.

Helga folgte ihm stumm und offensichtlich zutiefst schmollend. Der Kellner dienerte ihnen nach, als hätte er ein hübsches Sümmchen an ihnen verdient.

Natürlich war der letzte Zug schon längst fort. Das war im Grunde ein Glück. Denn die Bahn hätte gewiß nichts in Pfand genommen.

Und es war ein zweites Glück damit: Denn auf dem langen Heimmarsch durch die Nacht hatte Otto Balduin viele Gelegenheiten, die Gardinenpredigt seiner Helga immer wieder mit langen Küssen zu unterbrechen.

Kein Wunder, daß er seinen Freunden in der Morgenfrühe des nächsten herrlichen Tages für diese Radikalkur von Herzen dankbar war. Und soviel diese späterhin hörten, trug Obaldi nun immer eine große Geldbörse mit sich herum. Sogar in der Badehose, erzählte man sich.


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