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27.08.05 / Irgendwat mit Biergarten / Holocaust-Mahnmal: Berliner Ramschniveau statt Respekt 

© Preußische Allgemeine Zeitung / 27. August 2005

Irgendwat mit Biergarten
Holocaust-Mahnmal: Berliner Ramschniveau statt Respekt 
von Annegret Kühnel

Der Schock durch das Holocaust-Denkmal in Berlin ist ausgeblieben. Die Berliner sind halt pragmatische Leute. So auch an diesem heißen Sommertag.

Der junge Mann, der auf einer flachen Säule am Rand des Stelenfeldes sitzt, hat seinen muskulösen Oberkörper freigemacht. Aus einer Thermosflasche gießt er sich kalten Tee ein. Neben ihm steht ein Pappteller mit Currywurst, die er am Stand nebenan gekauft hat. Seelenruhig taucht er die Wurstzipfel in die hellbraune Tunke und läßt sie im Mund verschwinden. Das gleichmäßiges Kauen verrät einen guten Appetit. Seine Frau wickelt auf der Nachbarstele den Säugling. "Irgendwat mit Biergarten, Bänken, Sandkasten und so" wäre natürlich praktischer, sagt er, aber: "Man kann nu mal nich allet haben!"

Auf Geheiß des Bezirksamts Mitte ist die Würstchenbude inzwischen abgebaut worden. Ein Stand mit Ansichtskarten darf bleiben. Und dann gibt es ja noch die fliegenden Händler. Im Oktober soll hier ein Pavillon errichtet werden, wo man essen, trinken, Karten kaufen und zur Toilette gehen kann. Das Leben, die Stadt fordern ihren Tribut. Sie sind stärker als das Konzept einer ehrfurchtfordernden Leere mitten im Zentrum. Sie wird, bezeichnend für Berlin, auf Ramschniveau geführt. Das Denkmal ist gescheitert. Aber es ist nun mal da, meckern bringt nichts, also arrangiert man sich. Die Stelen werden respektlos zu Sonnenbänken umfunktioniert.

Aber gehen wir hinein in den steinernen Gedenkhain. Die 95 Zentimeter breiten Gänge zwischen den Stelen führen sanft in die Tiefe. Für Rollstühle sind sie zu schmal, weshalb schon Klagen anhängig sind. Nebenan ist Gekicher zu hören. Das Mädchen und die Jungen, alle um die 16 Jahre alt, werden schlagartig ernst, als unsere Wege sich kreuzen. Sie wissen schließlich aus der Schule, was sich hier gehört. Zwei Italienerinnen oder Spanierinnen mittleren Alters machen abrupt kehrt. Sie tauschen einen kurzen Blick, der besagt: "Die spinnen, die Deutschen!" Eine deutsche Familie - Großeltern, Eltern, zwei kleine Söhne - befindet sich auf ihrem Sonntagsausflug. Opa stolpert. "Wo ihr uns auch überall mit hinschleppen müßt!", schimpft der Alte. Die Jungs quengeln. Sie wollen nicht "Holocaust gucken", sondern in den Zoo zu den "Elepanten". Zum Schluß noch ein Familienfoto mit dem Rücken zum Stelenfeld. "Würden Sie uns bitte mal knipsen?" - "Na klar doch." Aber wie bloß in die Kamera gucken - vor dieser Kulisse? Lächeln geht schlecht. Die Kinder haben inzwischen am Himmel ein Luftschiff entdeckt, die Erwachsenen erinnern sich an den "Begräbnistango" von Jacques Brel: "Die Herren blicken herb / Und zeigen, wie sie's traf: / Ein Trauerwettbewerb / Vorm Friedhofsfotograf ..."

Der Schockwirkung bleibt auch deshalb aus, weil der Kontrast zur Umgebung zu klein ist. Sicher herrscht hier ein Kommen und Gehen, Autos brausen vorbei, doch es fehlt die lebendige Stadtstruktur. Nebenan in den Ministergärten, wo sieben Landesvertretungen stehen, herrscht sowieso ewige Mittagsruhe. Auf der anderen Seite läßt die gewaltige Baugrube der US-Botschaft erahnen, daß dort allen Beteuerungen zum Trotz ein Hochsicherheits-trakt entsteht. Aber drüben, in den Luxusbauten des Beisheim-Centers, da müßte das Leben doch toben? Fehlanzeige. Aus den Fenstern der unvermieteten Büros und Apartments starrt den Besucher ebenfalls gähnende Leere an. Nur im Freiluftcafé an der Ecke zum Tiergarten sitzen Leute. Doch es sind nur ein paar, denn hier ist es teuer. Die Berliner aber wollen es billig, und die Berlin-Touristen auch. Klar, sonst wären sie ja nach Paris oder London gefahren.

Nur das Adlon-Hotel meldet steigende Umsätze: "Das Mahnmal in unserer direkten Nachbarschaft beschert uns unglaubliche zusätzliche Gästeströme", bilanzierte Adlon-Direktor Thomas Klippstein bereits Ende Mai. Aus der ganzen Welt kämen Menschen mit dem Ziel nach Deutschland, das Holocaust-Denkmal zu besuchen. Das Stelenfeld als geldwerter Touristenmagnet - der Hotelier sieht's pragmatisch und freut sich. Das Denkmal hat allerdings auch bereits ein Opfer gefordert. Ein jugendlicher Stelenspringer ist im alkoholisierten Zustand abgestürzt und hat sich dabei verletzt. Wie soll das erst im Winter werden, wenn die Anlage vereist ist? Nein, ganz so leicht kommt man der Berliner Dauerkrise wohl doch nicht bei.

 "Würden Sie uns bitte mal knipsen?" Das "Mahnmal für die ermordeten Juden Europas" entwickelt sich zum profanen Ausflugsziel. Es löst weder Beklemmung noch Begeisterung aus. Gelangweilt, manchmal auch eher ungläubig, durchwaten Berliner und Touristen das monotone Stelenfeld. Foto: Schleusener


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