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27.08.05 / Ein alter Teller

© Preußische Allgemeine Zeitung / 27. August 2005

Ein alter Teller
von Renate Dopatka

Noch zwei Tage, dann war ihr Urlaub zu Ende. Zeit, sich nach ein paar netten Erinnerungsstücken umzusehen, fand Claudia. Der heutige Nachmittag schien ihr dafür besonders geeignet zu sein. Die Männer würden erst im Laufe des Abends von ihrer Schnapsprobe zurück sein, so daß genügend Zeit zum Stöbern blieb. Und so machten sich die beiden Cousinen, kaum daß ihre besseren Hälften Richtung Obstbrennerei entschwunden waren, in bester Einkaufslaune auf den Weg.

Herrliche Ferientage lagen hinter ihnen. Zwischen den westlichen Ausläufern des Schwarzwaldes und der Rheinebene gelegen, war das schmucke Fachwerkstädtchen, in dem die beiden Ehepaare Quartier bezogen hatten, ein idealer Ausgangspunkt für Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung. Sie hatten dunkle Tannenschluchten und sonnige Rebhänge bewandert, hatten Freiburg und dem nahen Frankreich ihre Aufwartung gemacht und waren mutig genug gewesen, im schummrig-kühlen Weinkeller der "Hex vom Dasenstein" an den Kragen zu gehen.

Souvenirs hatte man eigentlich schon reichlich beisammen, zumindest Souvenirs der vergänglichen Art. Im kühlsten Winkel der Ferienwohnung lagerten bereits mehrere Flaschen Klingelberger, Honiggläser und ein großer Korb voll mit Vesperspezialitäten. Für die Mannsleute war der Fall damit erledigt. Bessere Mitbringsel als die, welche man sich daheim genüßlich auf der Zunge zergehen ließ, konnte es doch gar nicht geben.

Claudia und Uschi dachten da ein wenig anders. Den freien Nachmittag würden sie dazu nutzen, sich ein wirklich schönes, gediegenes Teil zuzulegen, das die Erinnerung an diesen gemeinsamen Urlaub für alle Zeit aufrechterhielt. Etwas Dauerhaftes, Wertbeständiges mußte also her; etwas, das nicht über kurz oder lang den Weg alles Irdischen ging. "Wie wär's mit Keramik?" schlug Claudia vor. "In dem kleinen Laden am Rathaus hab' ich wundervolles Geschirr gesehen." - "Ohne mich", seufzte Uschi. "In meinen Schrank paßt kein einziges Service mehr rein. Aber schau mal, da drüben steht so'n uriger Trödelladen, der hat bestimmt originelle Sachen auf Lager!"

Tatsächlich wimmelte es in dem verwinkelten, schmalen Fachwerkhäuschen nur so von Zier- und Gebrauchsgegenständen älteren und jüngeren Datums. Fast jedes Stück rief bei den Cousinen Entzücken hervor. Da gab es altes Tafelsilber, Puppen aus Zelluloid, verschnörkelte Lämpchen und Fotorahmen und - Wandteller in rauhen Mengen! Letztere zogen besonders Uschi in ihren Bann. So ein Wandteller war nicht nur dekorativ, er beanspruchte auch wenig Platz im Koffer! Sie begutachtete gerade ein ausgemacht schönes Exemplar aus Limoges, als Claudia sie plötzlich am Arm faßte: "Lies doch mal, was da draufsteht!" stieß sie leise hervor und deutete auf ein schlichtes, goldgerändertes Tellerchen. Uschi, leicht kurzsichtig, kniff die Augen zusammen: "Mohrungen, Ostpreußen ..." Sekundenlang Schweigen, dann hellte sich ihr Gesicht auf: "Mohrungen ... - Omi stammte doch aus Mohrungen!"

Zeit und Raum vergessend, betrachteten die Cousinen das ihnen wohlbekannte Motiv: Das Rathaus von Mohrungen mit seinem prächtigen Staffelgiebel. Als Federzeichnung hatte es in Großmutters Wohnzimmer über dem Sofa gehangen, zusammen mit anderen Bildern, die ihre Omi aus der im Inferno versinkenden Heimat in den Westen hinübergerettet hatte.

Nicht traurig oder von Bitterkeit erfüllt, sondern amüsant und lebhaft hatte die Großmutter aus der Vergangenheit zu erzählen gewußt. So manche Familienanekdote, Dorfgeschichte oder Gruselmär war bis heute fest im Bewußtsein ihrer Enkelinnen verankert. Und jetzt standen sie hier, in diesem badischen Antiklädchen, und hatten Mohrungen vor Augen! Eine seltsame Stimmung überkam sie. Dieser Teller war nicht nur ein Relikt aus alter Zeit, er stand für die eigene Kindheit, die eigene Geschichte ...

Claudia sah sich nach dem Inhaber um, einem fröhlichen jungen Mann, der bereitwillig Auskunft gab. Besagter Teller stammte aus dem Nachlaß eines in dieser Gegend ansässigen alten Mannes. Die Angehörigen hatten kein Interesse an dessen Hinterlassenschaft gezeigt, und so hatte man ihn mit der Haushaltsauflösung beauftragt. Auf diese Weise war der Wandteller in seinen Besitz gelangt. "Und Sie interessieren sich für Mohrungen?" - "Würden wir sonst fragen?" erwiderte Claudia leise. "Unsere Familie war über Generationen dort ansässig. Was soll er denn kosten, der Teller?" Der junge Mann lächelte. "Sie kostet er gar nichts. Er hat ja auf Sie gewartet. Jetzt schließt sich der Kreis - Happy End würde ich sagen!"

Dankbar und nachdenklicher Stimmung traten Claudia und Uschi den Heimweg an. Ein Souvenir hatten sie kaufen wollen. Es stand in keiner Beziehung zu dieser Wald- und Rebenlandschaft. Doch die Cousinen wußten: Ein besseres hätten sie gar nicht finden können.


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