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27.08.05 / Liebenswertes Chaos

© Preußische Allgemeine Zeitung / 27. August 2005

Liebenswertes Chaos
von Gabriele Lins

Urlaub. "Wohl dem, der ihn hat", sagte Heinz Erhard einst in einem Gedicht. Also, wir haben ihn und sind wieder einmal mit unserem "Wolkenkuckucksheim", sprich Wohnwagen, unterwegs. Ungarn mit seinen goldgelben Sonnenblumenfeldern ist dieses Mal unser Ziel.

Dort angekommen, begegnen wir erst einmal der Armut, denn im Vorbeifahren sehen wir die Menschen vor ihren abbruchreifen Häusern in staubtrockenen Gärten schuften.

Endlich haben wir unseren Campingplatz erreicht und richten uns ein. Ich, die Mutter der Kompanie, habe keine ruhige Minute, bis auch unsere älteste Tochter mit ihren beiden Freunden im altersschwachen Vehikel eingetrudelt ist. Wir haben der Tochter völlige Freiheit und Unabhängigkeit zugestanden. Mit 17 ist man schließlich kein Kind mehr. Deshalb müssen wir doch leise lächeln, als die drei Jungvögel ihre Zelte schräg gegenüber unserem Wohnwagen aufstellen, obwohl anderswo noch so viel Platz wäre. Einer unserer Tische und drei Stühle werden uns quasi von dem Hintern weggezogen und in die beiden Jungvogelnester plaziert. - Wollte Jo nicht selbstständig sein?

Urlaub, ach Urlaub! Es könnte alles so schön sein, wenn wir nicht Tag und Nacht aus dem Schlaf gerissen würden; unsere "Villa Campina" liegt nämlich nahe einer Bahnlinie, durch niedrige Hecken nur notdürftig geschützt. Donnert ein Zug vor-über - und das geschieht fast jede Stunde - erzittert der Wohnwagen samt Vorzelt in seinen Grundfesten und die Sirene des Bähnleins gleicht der Posaune des Jüngsten Gerichts. Aber das ist noch nicht alles.

Jeden Tag um Sieben, wenn die Welt eigentlich noch in Ordnung sein sollte, weckt uns der Gemüsemann - pünktlich wie die aufgehende Sonne - mit kreischender Hupe aus unseren vorletzten Träumen. Und als sei dies noch nicht genug, klappert Ference mit seiner Wagentür und legt uns mit Donnerstimme sein Sprüchlein vor. "Gurkli, Tomatli, Zwiebli, Kartoffli, Kohlrabli, Pfirsigge - oalles!!!" - Manchmal würden wir ihm gern das Hälsli umdrehen oder ihm sein sämtliches Gemüse in dasselbe stecken, aber oalles!

An einem Nachmittag besuchen wir mit unseren Zeltnachbarn einen ungarischen Hof hoch oben auf einem Hügel. Der Bauer lebt mit seiner Familie in einem ruinenähnlichen Gebäude; das Dach aus Riedgras ist regendurchlässig und muß wohl seine 100 Jahre auf dem Buckel haben. Ich taufe die Bude sogleich auf den Namen "Wolkendurchzugsheim". Gemein, nicht?

Unsere Begleiter fotografieren ungeniert, denn das hier vorherrschende Chaos wirkt fast schon wieder liebenswert. Besonders originell ist die kleine Küche. Hühner, Enten, Katzen und Hunde spazieren Futter suchend zwischen Töpfen und Pfannen herum. Zwei große grob geflochtene Körbe stehen neben einem altersschwachen, vom Schmutz verkrusteten Herd. In dem einen Korb hat sich die schwarze Hauskatze zu einem Schläfchen zusammengerollt, in dem anderen liegen zwischen ein paar Scheiten Klafterholz und fleckigen Wischtüchern saubere Hühnereier.

Am Abend bewirtet uns der nette Bauer mit Räucherspeck und herbem Wein. An langen Spießen hält er Speckscheiben über die Glut eines offenen Feuers. Das heruntertropfende Fett wird mit lockeren Weißbrotschnitten aufgefangen. Mir schmeckt das besser als jedes Schnitzel. Im Augenblick jedenfalls.

Es ist dunkel geworden und die Szene wirkt romantisch. Jo und Nina, unsere Domspatzen, singen Lieder zur Gitarre. Lucas, der kleine Bruder, klopft mit zwei Löffeln den Takt dazu. Verschlafen zirpt ein Vogel und ein Schwein grunzt Antwort. Das Feuer wirft roten Schein und läßt die Augen geheimnisvoll leuchten.

Beim Abschied, spät in der Nacht, schenken wir der Bäuerin hauchfeine Seidenstrümpfe, die sie wohl nie anziehen wird, und ihren beiden Kindern Schokolade. Die Drei freuen sich so sehr darüber, daß ich mich beschämt fühle.

Irgendwann machen wir uns dann wieder auf den Weg in die Heimat, wo Döner, Big Mac, Pommes und andere leckere "deutsche" Gerichte auf uns warten.


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