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27.08.05 / Befreiung, Niederlage oder was? / Deutschlands Reparationsleistungen nach dem Ersten Weltkrieg und deren Folgen (Teil XIII)

© Preußische Allgemeine Zeitung / 27. August 2005

Befreiung, Niederlage oder was?
Deutschlands Reparationsleistungen nach dem Ersten Weltkrieg und deren Folgen (Teil XIII)
von G. Schultze-Rhonhof

Der Erste Weltkrieg war für fast alle kämpfenden Parteien auch ein finanzieller Opfergang gewesen. Die Deutschen hatten ihre Kriegsausgaben mit Steuern und mit Staatsanleihen selber finanziert. Briten und Franzosen hatten sich die nötigen Gelder größtenteils bei Banken in Amerika geliehen. Die Kriegskosten der USA dagegen waren durch den späten Eintritt in den Krieg relativ gering geblieben. So versuchten die Regierungen Englands und Frankreichs, ihre Kriegsschulden und Kriegslasten nach 1919 aus dem besiegten Deutschland einzutreiben.

Deutschland wurden demzufolge nicht nur Kolonien, Auslandsvermögen, Patente und Industrieanlagen von immensen Werten abgenommen, sondern die neue deutsche Republik sollte neben Sachleistungen wie Kohle, Holz, Vieh und anderem auch in "barem" Geld bezahlen.

Als erstes mußte Deutschland 1919 zur Sicherung der noch nicht festgelegten Reparationen bei ausländischen Banken eine Schuldverschreibung über 100 Milliarden Goldmark unterschreiben und dafür ab der Unterzeichnung fünf Prozent Zinsen - das waren fünf Milliarden Goldmark jährlich - zahlen. Um die Größenordnung zu verstehen, sei erwähnt, daß Frankreich 1871 nach einem Kriege, den es selbst verursacht, erklärt und dann verloren hatte, mit einer Gesamtreparation von rund fünf Milliarden Goldfranken (zirka vier Milliarden Goldmark) davongekommen war. Die alliierten Sieger verlangten 1919 statt dessen einen Beitrag in fast der gleichen Höhe, aber einmal jährlich, und das ohne Tilgungsanteil.

Im Januar 1921 legten die Siegermächte dann die Gesamthöhe der Reparationen Deutschlands für die nächsten 42 Jahre fest: etwa 331 Milliarden Goldmark. Auch hier zwei Zahlen zum Vergleich. Die Kosten Deutschlands für den gesamten Ersten Weltkrieg hatten mit 163 Milliarden Goldmark nur halb soviel betragen. Und das besiegte Rußland hatte 1918 im Frieden von Brest-Litowsk überhaupt keine Reparationen an die Sieger Deutschland und Österreich-Ungarn zahlen müssen. Man sah im Ausland schon damals, wie völlig maßlos die eigenen Forderungen in Versailles waren. Dazu drei Siegerstimmen: Der damalige italienische Ministerpräsident Nitti: "Noch niemals ist ein ernstlicher und dauerhafter Friede auf die Ausplünderung, die Quälerei und den Ruin eines besiegten Volkes gegründet worden." Der US-amerikanische Außenamts-Staatssekretär Lansing noch während der Versailler Sitzungen: "Die Friedensbedingungen erscheinen unsagbar hart und demütigend, während viele von ihnen mir unerfüllbar erscheinen." Und Churchill in seinen Erinnerungen: "Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrages waren so bösartig und töricht, daß sie offensichtlich jede Wirkung verloren. Deutschland wurde dazu verurteilt, unsinnig hohe Reparationen zu leisten." Doch die rechtzeitigen und auch die späteren Einsichten führten nicht dazu, dem besiegten Deutschland eine Brücke zu bauen.

Die junge deutsche Republik hatte außer den Reparationen auch noch die eigenen Kriegsanleihen abzutragen, die Unterstützung für die Kriegsopfer aufzubringen, die Entschädigungen für die in Elsaß-Lothringen verlorenen Sachwerte zu leisten und obendrein den Siegern die Besatzungskosten zu bezahlen. So kam es, daß das Deutsche Reich schon die zweite Monatsrate nicht mehr voll bezahlen konnte. Die Sieger besetzten daraufhin zum ersten Mal als Straf- und Repressionsmaßnahme einen Teil des Ruhrgebiets, die Städte Duisburg, Düsseldorf und Ruhrort.

Im Mai 1921 legten die Siegermächte dann einen "endgültigen Reparationsplan" fest, der allerdings nicht lange (end-)gültig blieb. Die neue Schuld betrug noch 132 Milliarden Goldmark plus einer 26-Prozent-Abgabe auf alle deutschen Exporte, was jährlich noch einmal zwei bis drei Milliarden Goldmark ausmachte. Auch 1922 konnte die Weimarer Republik die Schulden nicht bezahlen. Als gegen Ende 1922 noch 1,6 Prozent der Jahresrate fehlten, marschierten belgische und französische Truppen ein zweites Mal ins Ruhrgebiet und besetzten Oberhausen und Essen. Die Reichsregierung Cuno rief daraufhin zum "passiven Widerstand" gegen die Besatzungstruppen auf, was zur Erschießung von 14 deutschen Arbeitern und der Vertreibung von 80.000 Männern aus dem Ruhrgebiet führte, die damit Heim, Arbeitsplatz und Lohn verloren. Frankreich unterband außerdem die Lieferung von Kohle von der Ruhr ins nicht besetzte Deutschland. Da die Weimarer Republik schon die Kohlereviere Saar an die Franzosen und Oberschlesien an die Polen hatte übergeben müssen, brach mit dem Kohle-Embargo an der Ruhr die Energieversorgung im ganzen Reich zusammen. Dem folgten der Kollaps der deutschen Industrieproduktion und kurz darauf auch der Zusammenbruch der Reichsmark-Währung. Es kam zur Inflation, bis vier Milliarden Reichsmark nur noch den Wert von einem Dollar hatten. Es kam zu hoher Arbeitslosigkeit und zur Verelendung eines großen Teiles der Bevölkerung in Deutschland.

1924 folgte der nächste Zahlungsplan der Sieger, der Dawes-Plan, der wieder keine Obergrenzen für die deutschen Zahlungspflichten nannte, aber geringere Jahresraten ansetzte. Deutschland - nach wie vor nicht zahlungsfähig - lieh sich das verlangte Geld bei US-Banken und zahlte seine Reparationen nun fünf Jahre lang mit immer neuen Schulden. 1930 wurde der Dawes-Plan vom Young-Plan abgelöst, der die "endgültige" Höhe der Reparationen festlegte und die Zahlungsdauer 1988 enden ließ. Auch die Young-Raten mußte sich die Weimarer Republik bei Banken in den USA besorgen. Die Reste der Dawes- und der Young-Anleihen zahlt die Bundesrepublik Deutschland noch bis zum Jahr 2010 bei Banken in den USA ab.

1930 begann die Weltwirtschaftskrise in Nordamerika. Die US-Banken - nun selbst in Schwierigkeiten - verlangten von den deutschen Schuldner-Banken, alle kurzfristigen Kredite der letzten Jahre sofort zurückzuzahlen, worauf im Sommer 1931 fast alle deutschen Banken Konkurs anmelden mußten. Es folgte die Zeit der Depression in Deutschland, die Zeit der sechs Millionen Arbeitslosen und der Versuch der Reichsregierung Brüning, die Weimarer Republik am Parlament vorbei mit Notverordnungen wirtschaftlich zu retten. Dies war der Tod der Republik von Weimar.

England und Frankreich hinterließen beim deutschen Volk in dieser Zeit das bittere Gefühl, daß die maßlosen Reparationen die Hauptschuld an der Inflation, an der hohen Arbeitslosigkeit und am eigenen Elend hatten. Daß Inflation und Elend auch noch andere Gründe hatten, wurde nicht so klar gesehen. Selbst der englische Wirtschaftswissenschaftler Keynes bezeichnete die Reparationen als Versklavung, Ausrottung und Unterdrückung. Warum sollten Deutsche dieses anders sehen? Wer hinter die Kulissen blickte, bemerkte auch, daß die Vereinigten Staaten von Amerika die eigentlichen finanziellen Gewinner des Ersten Weltkriegs waren, und daß die deutsche Depression von 1931 ein Kind der amerikanischen Wirtschaftskrise von 1930 war. So nimmt es nicht Wunder, daß die deutsche Bevölkerung nur acht Jahre nach diesen bitteren Notjahren ab 1939 der Überzeugung war, Krieg gegen ihre Peiniger zu führen. Die Kritik am Unrecht, das die Nationalsozialisten und Hitler bis dahin schon begangen hatten, trat gegen das, was die Sieger des Ersten Weltkriegs den Deutschen bis 1932 zugemutet hatten, kraß zurück. Manche Deutsche wären sicher gerne Adolf Hitler und die Nationalsozialisten losgeworden, aber dann politisch und aus eigener Kraft. Eine Befreiung durch die Peiniger von einst wäre ihnen damals unvorstellbar gewesen.

Fortsetzung folgt

 

Winston Churchill: In seinen Erinnerungen schreibt der berühmte britische Weltkriegspremier über Versailles: "Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrages waren so bösartig und töricht, daß sie offensichtlich jede Wirkung verloren. Deutschland wurde dazu verurteilt, unsinnig hohe Reparationen zu leisten." Foto: Archiv


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