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03.09.05 / Die Kornmuhme

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. September 2005

Die Kornmuhme
von Erika Hanff

Verschwenderisch hat der Sommer unsere Augen mit farbenprächtigen Blumen erfreut. Über Gärten, Feld und Wald liegt ihr Duft, gepaart mit dem der Vielfalt von Gräsern, Wildkräutern und heranreifendem Getreide. Noch präsentiert uns die fröhliche Vogelschar ein vollendetes Konzert, welches jedoch zu meinem Bedauern in absehbarer Zeit, bei Ende der Brutzeit verstummen wird.

Auf meinem sonntäglichen Spaziergang zum Friedhof führt mich der Weg an einem fast reifen Roggenfeld vorbei. Die prall gefüllten Ähren wiegen sich golden im warmen Sommerwind. Da fällt mein Blick auf einige, von gedankenlosen Kinderfüßen getretene Trampelpfade. Ich ärgere mich! Wissen die Kinder heute nicht, daß Korn Brot bedeutet? Gibt es keine Eltern, die mahnende Erklärungen bereithalten? Natürlich macht es Spaß, zwischen den raschelnden Halmen Verstecken zu spielen, ohne Frage!

Nachdenklich setze ich meinen Spaziergang fort. Da fällt mir eine kleine Begebenheit ein, die mir neulich eine alte ostpreußische Freundin erzählte.

Es ist lange her, da wurde unsere Heimat die Kornkammer Deutschlands genannt. Weithin wogten im Land riesige Kornfelder. In ihnen wuchsen wunderschöne Kornblumen und roter Klatschmohn. Allein diese Farbenpracht reizte die Kinder durch das Feld zu stromern, um Muttchen einen bunten Strauß zu pflücken. Aber da gab es etwas, das die Gnossen im allgemeinen von diesem Vorhaben zurückhielt. - Die Kornmuhme!

Natürlich war den Eltern bekannt, ihrer eigenen Kindheit gedenkend, wie herrlich es sich in einem Kornfeld herumtoben läßt. Um diesem Vergnügen ein Ende zu bereiten, war dann irgendwann die "Kornmuhme" geboren. Das hexenhafte Wesen mit langen Krallenfingern hauste in einer Höhle im

Erdreich. Dorthin schleppte sie Kinder, sobald sie das Kornfeld betraten, und hielt sie für immer gefangen.

Vor etwa 60, 70 Jahren war das noch eine recht glaubhafte Geschichte für die Abenteuer suchende Kinderschar. Davon durfte sich meine Freundin nebst Spielgefährten eines Tages selbst überzeugen.

Es war Sommer in Ostpreußen, Anfang der 40er Jahre. Wie jedes Jahr stand die Aust bevor, und die Kornblumen lockten mit strahlendem Blau, bevor die Sense sie niederstreckte. Die Kinder wußten um das Ende der Blumen und baten die Mutter, vorher noch schnell einen Strauß der bunten Pracht pflücken zu dürfen. Mit Ermahnungen, an die böse Muhme zu denken und am Rand des Ackers zu bleiben, machte sich die Bagage auf den Weg. Schon von weitem leuchteten ihnen die Objekte ihres Vorhabens entgegen. Fast schien es, als streckten ihnen die Blumen bittend die Köpfchen entgegen, wissend um den Schnitter Tod. Um ihrer Vergänglichkeit scheinbar zu entgehen, glitten sie freudig in die Hände der Pflücker, die ihnen ein paar Tage Vasenleben garantierten!

Der Warnungen der Mutter gedenkend, blieben die Stromer brav am Rand des Feldes während ihrer Tätigkeit. Alle waren guter Laune. Es wurde gescherzt, gelacht und lauthals gesungen, so daß beinahe die Geräusche, die aus dem Innern des Kornfeldes kamen, überhört wurden.

Zuerst ein fernes Rascheln, dann ein näher kommendes Knacken und Knistern. Der fröhlichen Gesellschaft stockte der Atem! Was war denn das? Alle waren sich einig, das konnte nur die Kornmuhme sein! Aber sie waren doch gar nicht ...!

Im nächsten Augenblick ein lautes Getöse, die Erde dröhnte, ja bebte fast. Die verängstigte Bande sah sich schon in den Fängen der Hexe. Vom Entsetzen getrieben, lief meine Freundin davon. Die "mutigeren" Kumpane legten sich flach auf den Boden. Näher und näher kam das Getöse, und als das Häufchen Menschenkinder schon dachte, jetzt, jetzt hat sie uns - brach aus dem Getreidefeld ein Rudel Rehe und galoppierte mit donnernden Hufen in wilden Sätzen davon.

Als das lähmende Entsetzen die Lorbasse langsam verließ, setzten sie sich auf, und ein erstes schiefes Grinsen erhellte ihre erstarrten Gesichter. Die Gefahr war vorüber, aber über eines war man sich einig: Kornblumen pflücken war vorläufig kein Thema mehr! Noch mal gut gegangen, dachten später alle, doch der Respekt vor der Muhme blieb.

Wie tief sich die Spuren der Angst dieses Erlebnisses ins Gedächtnis der Beteiligten gegraben haben, zeigt sich noch heute mit dieser kleinen Geschichte! Nun, es gibt inzwischen sicher weniger Angst machende Methoden, der heranwachsenden Jugend den nötigen Respekt vor einem Getreidefeld zu vermitteln. Aber - ob vielleicht nicht doch irgendwo ...?

Ostpreußen heute: Wilder Mohn in weiten Feldern Foto: Bosk


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