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10.09.05 / Schutzlose Schutzmacht / Der Hurrikan "Katrina" zerstörte einen Mythos

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. September 2005

Schutzlose Schutzmacht
Der Hurrikan "Katrina" zerstörte einen Mythos
von Joachim Tjaden

Als aber der Herr sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Denn siehe, ich will eine Sintflut kommen lassen auf Erden, zu verderben alles Fleisch, darin Odem des Lebens ist unter dem Himmel. Alles, was auf Erden ist, soll untergehen." (Das Erste Buch Mose)

Die Vereinigten Staaten von Amerika, in Jahrhunderten besungene Neue Welt, gerufene Schutzmacht der Freiheit, in ihrer Geschichte oft selbsternannter globaler Polizist und ebenso oft Besatzer, versinken in diesen Tagen in einem Inferno aus todbringendem Wasser und Schlamm - und einem entfesselten Szenario aus Überlebenskampf, Plünderungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen. Der Hurrikan "Katrina", der mit nahezu biblischer Gewalt in einer Geschwindigkeit von 250 Stundenkilometern über New Orleans, das Mississippi-Delta, Louisiana und Alabama kam, begrub einen Landstrich mit den Ausmaßen Großbritanniens unter sich, tötete viele tausend Menschen, machte eine Million zu Obdachlosen und zerstörte 350.000 Häuser.

Die Regierung des vermeintlich mächtigsten und belegbar reichsten Landes der Erde begegnete dem Untergang ihrer Südstaatenmetropole mit der Verhängung des Kriegsrechts und schickte 129.000 Soldaten der Nationalgarde ins Katastrophengebiet. Die internationale Staatengemeinschaft half mit Carepaketen gegen den Hungertod, mit Medikamenten gegen Seuchen - während das Militär verzweifelt versuchte, Reste einer Zivilisation aufrechtzuerhalten, als der Schrei nach Leben in den einstigen Straßen von New Orleans in einer Orgie aus Enthemmung unterzugehen drohte und Banden Alkohol, Kleidung und Waffen aus den Ruinen der verlorenen Stadt raubten.

Zum zweiten Mal nach dem 11. September 2001 wurden die USA auf grausame Weise ihres Mythos' der Unverwundbarkeit beraubt. Vier Jahre, nachdem Al-Quaida an World Trade Center und Pentagon ins Herz der Weltmacht stieß, traf "Katrina" ihre Seele. 2001 bezahlten mehr als 3.000 Menschen mit ihrem Leben für das Versagen der Geheimdienste - am Mississippi und am Golf von Mexiko jetzt Tausende für Sorglosigkeit und Überforderung.

Unmittelbar nach den Terroranschlägen von New York und Washington hatte die Bush-Administration ein Heimatschutzministerium eingerichtet - wer schützte unsere Heimat vor dem Todessturm, fragt sich nun die notleidende Bevölkerung von New Orleans.

Nach dem Massenmord der Jünger Osama bin-Ladens 2001 hatte Präsident George Bush eine weltweite "Allianz der Willigen" ("Wer nicht für uns ist, steht gegen uns") geschmiedet, um die von ihm selbst ausgemachte "Achse des Bösen" zu bekämpfen und den internationalen Terrorismus zu besiegen. Madrid und London zeigten, daß dieser Kampf nicht zu gewinnen ist. In Nordkorea und Iran ist seit 2001 neues, kaum beherrschbares atomares Gefahrenpotential erwachsen - unter den Augen der Amerikaner. Bushs globaler Feldzug hat die Vereinigten Staaten in den Irakkrieg geführt - seine Bilanz ist verheerend: 204 Milliarden US-Dollar kostete der Waffengang bis heute - in jedem Monat eine halbe Milliarde mehr als einst der Vietnamkrieg.

Bush war angetreten, dem Diktator von Bagdad Massenvernichtungswaffen aus der Hand zu schlagen und die Demokratie zu bringen. Tatsächlich führte er das Zweistromland in die Anarchie. 23.000 Zivilisten und über 2.000 US-Soldaten verloren durch Krieg und anschließenden Bürgerkrieg ihr Leben. Statt westlicher Demokratie wird der Irak ein schiitisches Mehrheitsregime bekommen, das - seltene Ironie der Geschichte - engste Verbindungen zu den Erzfeinden Washingtons, den Mullahs im Iran, unterhält. Der Staat, der eine befriedete Zone werden sollte, entwickelte sich überdies unter US-Besatzung zu einem Magneten des fundamentalistischen Terrorismus.

Nur noch 34 Prozent der Amerikaner stehen hinter Bushs Irak-Politik: Es scheint, als würde dem Vietnam-Trauma ein zweites folgen.

In den Stunden, in denen New Orleans versank, warfen Vertreter der amerikanischen Demokraten dem Republikaner-Präsidenten vor, der Irakkrieg habe mit verhindert, daß die Nation sich angemessen auf Naturkatastrophen vorbereiten konnte. George Bush reagierte, indem er 3.000 im Irak stationierte Soldaten an den Golf von Mexiko zurückbeorderte - welch ein Akt der Verzweiflung!

In der Stunde der Not war es ausgerechnet der deutsche Kanzler Gerhard Schröder, der den Amerikanern am nächsten zu stehen schien: Er, der mit seiner Verweigerungshaltung im Irakkrieg die transatlantischen Beziehungen in die Nähe der Sollbruchstelle geführt hatte, sagte: "Amerika zu helfen, ist für Deutschland auch eine historische Pflicht."

Im Ersten Buch Mose heißt es am Ende: "Aber Noah fand Gnade vor dem Herrn."


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