26.04.2024

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10.09.05 / Nur Krempel?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. September 2005

Nur Krempel?
von Renate Dopatka

Man sieht es ihnen an, daß sie Brüder sind. Schmal und hochgewachsen, mit vollem, schon leicht angegrauten Haar, wirken sie auf den ersten Blick wie Zwillinge. Doch die Gesichter der beiden sprechen eine andere Sprache. Hier scharfe Linien und Strenge, ja Härte im Ausdruck - dort Gelassenheit und stiller Humor.

Es kommt nicht oft vor, daß die zwei Männer miteinander spazierengehen. Zu verschieden sind ihre Interessen, ihre Charaktere. Daß sie jetzt scheinbar einträchtig auf den Spuren ihrer Kindheit wandeln, liegt einzig und allein am 70. Geburtstag der Mutter, der an diesem Wochenende groß gefeiert werden soll. Grund genug für ihre Söhne, nach langer Zeit wieder einmal gemeinsam im Elternhaus zu erscheinen.

Während es sich die übrige Verwandtschaft in der Wohnstube bei Mokka und Likör gemütlich macht, nutzen Werner und Johannes die Zeit bis zum Abendessen für einen kleinen Rundgang durch den Ort.

Es ist ein trüber Sonnabendnachmittag. Die wenigen Läden haben längst geschlossen, Stille senkt sich auf die Straßen, in denen sich zu dieser Stunde außer ein paar Jugendlichen kaum noch jemand blicken läßt.

Während Johannes mit feinem Lächeln Altvertrautes und Neuhinzugekommenes betrachtet, scheint Werner für den Ort, in dem sie immerhin 20 Jahre ihres Lebens verbracht haben, kaum ein Auge zu haben. Achtlos schreitet er an den Stätten seiner Kindheit vorbei. Selbst der Anblick der Schule läßt ihn kalt: "Häßlicher alter Kasten - sowas gehört einfach abgerissen!" - Mehr fällt ihm dazu nicht ein. Lieber erzählt er von sich, von seiner Position in der Firma und der Aussicht, bald den Chefsessel zu erklimmen.

Johannes hört dem brüderlichen Monolog nur mit halbem Ohr zu. Er kennt Werners Ehrgeiz, sein krampfhaftes Streben nach gesellschaftlichem Ansehen. Einerseits langweilt ihn das Gespräch, andererseits empfindet er so etwas wie Mitleid, daß ein Mensch seinen Lebenssinn ausschließlich im beruflichen Fortkommen sieht.

Glücklicherweise erspäht er in diesem Augenblick ein paar Meter vor sich einen Haufen alter Möbel und Gerätschaften. Irgend jemand hat da seinen Sperrmüll auf die Straße gestellt - und dies ist doch einer näheren Untersuchung wert!

"Was willst du denn mit dem alten Krempel?!" stößt Werner unwillig hervor, als sein Bruder jetzt behutsam ein buntes Blechspielzeug aus dem Haufen zieht.

"Ein Brummkreisel!" lächelt Johannes und hält ihm das seltsame Gebilde unter die Nase. "Genau so einen hatten wir damals auch! - Mal schau'n, ob er noch funktioniert."

Zu Werners Ärger setzt Johannes den Kreisel auf den Gehweg, um dessen Mechanismus nun mit kräftigen Pumpbewegungen aufzuziehen. Mit Erfolg. Der Kreisel fängt an, sich um seine eigene Achse zu drehen und dabei leise vor sich hin zu brummen ...

Als er irgendwann ins Torkeln kommt, drückt Johannes ihn kurz entschlossen dem Bruder in die Hand: "Hier, probier's auch mal! Es geht ganz leicht." - "So was Verrücktes aber auch!" Erbittert über den kindischen Spieltrieb seines Bruders, der sie beide noch zum Gespött der Leute machen wird, starrt Werner auf den buntgeringelten Kreisel in seiner Hand.

"Na los doch! Oder hast du's schon verlernt?" schmunzelt Johannes. Für Sekunden vertieft sich die steile Falte auf Werners Stirn. Dann aber huscht der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht, und voller Schwung setzt er den Kreisel in Gang.

"Donnerwetter, bei dir läuft er noch besser ...!" freut sich Johannes. "Findest du?" lacht Werner, und als er jetzt zum Bruder hochsieht, scheinen Furchen und Falten wie von Zauberhand geglättet, und die Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern ist tatsächlich die von Zwillingen ...


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