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17.09.05 / Nicht immer linientreu / Gehorsam und Verweigerung in der NVA

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. September 2005

Nicht immer linientreu
Gehorsam und Verweigerung in der NVA

Der lange in Ost und West vorherrschende Eindruck, die "Nationale Volksarmee" sei ihrem SED-System stets "linientreu" ergeben gewesen, war nur bedingt zutreffend. Das vorliegende Buch eines anerkannten Experten vermittelt anhand unzähliger Beispiele einen recht guten Überblick über die unterschiedlichsten Erscheinungsformen oppositionellen Verhaltens in der NVA - seien es die Verweigerung des Gebrauchs von Waffen oder generell des Wehrdienstes, von direkten Militäreinsätzen, die Fluchtversuche in den Westen sowie offene politische Protestaktionen. Die eigentlichen Ursachen dabei gingen durchweg auf die inneren Widersprüche des SED-Systems zurück; insofern waren die DDR-Streitkräfte tatsächlich eine "Armee des Volkes"!

Der Autor macht aber auch deutlich, daß sie zu keiner Zeit als ein Zentrum von Opposition und Widerstand angesehen werden können: Sie blieben über die vier Jahrzehnte ihres Bestehens das wichtigste bewaffnete Instrument in der Hand Ost-Berlins; dazu trugen nicht zuletzt umfassende politische Verfolgungen und scharfe Repressionen durch die Armee-Führung bei.

Die erste Bewährungsprobe erlebten die Streitkräfte beim DDR-Volksaufstand 1953, bei dem offenbar die meisten - keineswegs alle! - Offiziere und Soldaten bereit waren, mit Waffengewalt gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen; andererseits desertierten allein in jenem Jahr annähernd 2000 Uniformierte. Der spätere Bau der Berliner Mauer wurde von überaus vielen Soldaten abgelehnt als eine weitere Maßnahme, die Menschen im ohnehin geteilten Deutschland weiter zu entfremden.

Das Buch geht auf die Einführung der Wehrpflicht in der DDR ein, auf die viele junge Menschen mit Verweigerung reagierten. Der "Prager Frühling" und dann die "Solidarnosc"-Bewegung ließen auch manche Offiziere zu politischen Zweifeln kommen. Mehr denn je wurden in der Truppe West-Sender gehört, obwohl es bestraft wurde. Erstaunlicherweise gelang es der NVA-Führung niemals, sämtliche Kontakte zu West-Deutschland - wenn zumeist auch nur familiär, die ebenfalls verboten waren - zu unterbinden.

Bereits 1987/88 registrierte die Stasi auch unter Offizieren verstärkt "politische Schwankungen" und oppositionelle Verhaltensweisen. Herbst 1989 war die militärische Führung der DDR von der Öffnung der Berliner Mauer völlig überrollt und gelähmt worden; hinzu kam die ebenso erschreckende Erkenntnis, daß von der Sowjetunion keinerlei Unterstützung mehr zu erwarten war. Jahrzehntelang war sie erzogen, von der SED-Spitze erhaltene Befehle zu befolgen - doch da diese jetzt ausblieben, erfolgten auch keine militärischen Maßnahmen. Die große Frage, wie sich die NVA im Falle eines direkten Schießbefehls gegen das eigene Volk verhalten hätte, ist indes bis heute umstritten, viele Soldaten und nicht wenige Kommandeure hätten sich gewiß geweigert. F.-W. Schlomann

Rüdiger Wenzke: "Staatsfeinde in Uniform?", Ch. Links Verlag, Berlin 2005, 642 Seiten, 29,90 Euro


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