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24.09.05 / Berliner Überlebenskämpfe / Wie jede der großen Parteien sich als Sieger sieht und trotzdem verloren hat

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. September 2005

Berliner Überlebenskämpfe
Wie jede der großen Parteien sich als Sieger sieht und trotzdem verloren hat
von Karl Feldmayer

Diese Bundestagswahl hat keine Parallele in der Geschichte der Bundesrepublik. Das gilt insbesondere für ihr Ergebnis, das zwar - wie erwartet - zur Niederlage der bisher regierenden Parteien SPD und Grüne, nicht aber zu der zunächst als sicher geltenden Mehrheit von CDU/CSU und FDP geführt hat. Statt der von vielen erhofften Renaissance der Bundesrepublik drohen nun ein politisches Patt und die Verstetigung des Reformstaus, der Deutschland aus der Position der wirtschaftlichen Lokomotive in der EU in die des Schlußlichts gebracht hat.

Schon die Umstände durch die es zu der Bundestagswahl kam, waren davon charakterisiert, daß von der Norm abgewichen wurde. Gut ein Jahr vor dem Ende der regulären Legislaturperiode beschlossen Bundeskanzler Schröder und der SPD-Vorsitzende Müntefering am 22. Mai angesichts des für sie katastrophalen Ausgangs der Wahl in Nordrhein-Westfalen, durch ein unechtes Mißtrauensvotum für den Kanzler vorzeitige Neuwahlen im September dieses Jahres herbeizuführen; unecht deshalb, weil dieses "Mißtrauen" vom Kanzler bestellt war.

Umgesetzt in die Koalitionsarithmetik bedeutet dies, daß weder CDU/CSU und FDP noch SPD und Grüne über die absolute, die Kanzlermehrheit verfügen. Sie ergibt sich nur wenn Union und SPD zu einer Großen Koalition zusammenkommen oder wenn sich die FDP bereit findet, mit CDU und Grünen oder aber mit SPD und Grünen zusammenzugehen. "Die Linken-PDS" bleiben in allen Berechnungen außen vor. Am Sonntagabend nach der Wahl, in der sogenannten "Elefantenrunde" haben sowohl die Linkspartei als auch die übrigen Parteien klar gemacht, daß sie nicht miteinander koalieren werden.

Diese Festlegung ist nur eine von vier, die am Sonntagabend getroffen wurden. Der FDP-Vorsitzende Westerwelle legte sich darauf fest, daß für seine Partei nur eine Koalition mit der CDU in Frage komme, keine Ampel - weder mit der SPD und den Grünen noch mit der CDU und den Grünen.

Bundeskanzler Schröder bestand darauf, daß eine Große Koalition nur unter seiner Kanzlerschaft für die SPD in Betracht komme - ungeachtet der Tatsache, daß die CDU mehr Stimmen und Abgeordnete gewonnen hat, als die SPD, die nur zweitstärkste Fraktion wurde. Und die Union besteht darauf, daß die stärkste Partei den Kanzler stellt - also die CDU mit Angela Merkel.

Was es für die anstehende Regierungsbildung bedeuten würde, wenn alle Parteien bei diesen Festlegungen blieben, wissen deren Vorsitzende ganz genau: Es könnte keine Regierung geben; zumindest keine, die über eine Mehrheit verfügt. Minderheitsregierungen aber lehnen alle aus gutem Grund ab. Die Bundesrepublik hat sich auf solche Experimente auch noch nie eingelassen.

Noch ist nicht abzusehen, welchen Weg die Parteispitzen einschlagen. Fest steht nur eines: beide Seiten wollen sich durchsetzen. Dabei ist Bundeskanzler Schröder durch das Wahlergebnis in einer taktisch günstigeren Situation als die CDU-Vorsitzende. Er hat zwar seine Mehrheit verloren, aber ein Ergebnis erzielt, das viel besser ist, als es selbst die Optimisten in seiner Partei für möglich gehalten hatten. Das hat nicht nur die Gefahr eines Scherbengerichtes durch die SPD über den gescheiterten Kanzler gebannt, sondern im Gegenteil die SPD neu an Schröder gebunden. Er gilt als Teufelskerl, der das Unmögliche vermag.

Seit Sonntagabend hat er die Partei neu hinter sich gebracht. Sie wird seinem Kurs folgen. Das zeigte sich in allen Reaktionen aus der SPD auf seine Ankündigung, die SPD werde eine Große Koalition nur unter seiner Führung akzeptieren, auch wenn die CDU die stärkste Partei geworden ist. Diesen Affront gegenüber der CDU garnierte er mit der Erwartung, die FDP werde sich bereit finden in eine von ihm geführte rot-grüne - Koalition als dritter Partner einzutreten, was Westerwelle so entschieden abschmetterte, daß es Schröder vorübergehend das Wort verschlug. Aber die Verweigerung der FDP könnte Schröder durchaus recht sein. Denn: sollten alle Versuche einen neuen Kanzler zu wählen erfolglos bleiben, so böte ihm dies die Chance, seine gegen-über der CDU-Kandidatin Merkel überlegenen Fähigkeiten als Wahlkämpfer abermals zu nutzen und dann Anfang nächsten Jahres nach einem weiteren Wahlkampf als Kanzler mit eigener Mehrheit da zu stehen und die Union vernichtend geschlagen zu haben.

Das ist eine der Überlegungen, die nach dem Wahlsonntag im politischen Berlin angestellt werden. Andere richten sich auf die CDU und ihre Vorsitzende. Sie hat ein so enttäuschendes Ergebnis erzielt, daß dies Folgen haben muß. Die Frage ist nur welche wann von wem gezogen werden.

Die erste Reaktion auf das Wahlfiasko war eine Sprachregelung, nämlich die intern getroffene Absprache, nur die Tatsache anzusprechen, daß die CDU stärkste Partei und die rot-grüne Koalition abgelöst worden ist. Solche Sprachregelungen können aber nur kurze Zeit helfen, dann setzt die interne und die öffentliche Diskussion der Partei über das enttäuschende Ergebnis, seine Ursachen und die Konsequenzen ein. Solche Prozesse gehen unvermeidlich auf Kosten des Spitzenmannes, diesmal der Spitzenfrau. Eine erste Schwächung Merkels ist mit der Entscheidung Kirchhofs bereits eingetreten, aus Merkels Mannschaft auszuscheiden und in die Wissenschaft zurückzukehren. Der Mann sollte bekanntlich Finanzminister werden. Nun erhält die Forderung neues Gewicht, Friedrich Merz, den von Merkel verdrängten einstigen Fraktionsvorsitzenden und Finanzfachmann in die Führung zurückzuholen und mit einer Spitzenfunktion zu betrauen.

Diese Forderung wird von dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff ebenso unterstützt wie von seinem hessischen Kollegen Koch und dem württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger. Sie ist nicht ablehnbar, denn Merz ist eines der wenigen großen Talente in der CDU-Bundestagsfraktion.

Politisch aber ist diese Forderung eine kaum kaschierte Absage an Merkel. Denn daß zwischen Merkel und Merz offene Rechnungen und große Aversionen bestehen, ist in der CDU-Spitze kein Geheimnis.

Auch die unmittelbar vor der Wahl von allen CDU-Ministerpräsidenten abgegebene Versicherung, die Vorsitzende geschlossen unterstützen zu wollen, macht hellhörig. Sie erinnert an Barzels Versicherung: "Ludwig Erhard ist und bleibt Bundeskanzler". Tage später war es um ihn geschehen.

Wenn man bedenkt, wie wenig Grund die CDU zu der Annahme hat, bei unveränderter Aufstellung in einem weiteren Wahlkampf gegen Schröder besser als diesmal abzuschneiden, dann erscheint es als schwer vorstellbar, daß die Spitzenpolitiker der CDU es auf einen zweiten Versuch mit der gleichen Konstellation ankommen lassen. Das dürfte auch die Einschätzung von Angela Merkel sein, deren Sinn für Realitäten unbestechlich ist. Deshalb dürfte sie nun alle Bemühungen darauf konzentrieren, eine Koalition mit den Grünen und der FDP zustande zu bringen.

Es dürfte ihre einzige Chance sein, ins Bundeskanzleramt einziehen zu können. Ob es dazu kommt, wird sich nun rasch entscheiden.

Bis zuletzt haben viele Deutsche überlegt, welcher Partei sie ihre Stimme geben: Nachdenklicher Bayer Foto: pa


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