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24.09.05 / "Andinos" auf dem Weg zur Macht / Die Seilschaften einflußreicher Politiker - Parteien züchten Apparatschiks

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. September 2005

"Andinos" auf dem Weg zur Macht
Die Seilschaften einflußreicher Politiker - Parteien züchten Apparatschiks
von Hans Heckel

Die Frage, woran es gelegen hat, würden viele in der Unionsspitze gern beiseite schieben und statt dessen "in die Zukunft blicken". Das ist typisch für Verlierer und menschlich verständlich. Doch werden CDU und CSU nicht daran vorbeikommen, sich und anderen zu erklären, wie sie ein derart desaströses Ergebnis einfahren konnten gegen eine Regierung, die nach Einschätzung der Union sieben Jahre Unheil gebracht hat und die am Ende sogar selbst zu dem Schluß gekommen war, daß sie - über ein Jahr vor dem Ende der regulären Wahlperiode - nicht mehr ein noch aus könne.

In einer derart günstigen Konstellation konnte die Opposition nur noch über sich selbst stolpern - und genau so kam es. Die Fehlerserie begann gleich nach der Neuwahlverkündung. Schröders durchsichtiges Manöver, eine gescheiterte Vertrauensabstimmung zu inszenieren, diente allein dem Zweck, noch als Kanzler ins Wahlrennen zu gehen. Der "Kanzlerbonus" ist nicht zu unterschätzen, denn die Weihen des Amtes verfangen bei vielen Menschen noch immer. Helmut Kohl wußte das nur zu gut und weigerte sich 1982 strikt, nach dem Bruch der SPD/FDP-Koalition bei sofortigen Neuwahlen gegen einen Noch-Kanzler Helmut Schmidt anzutreten. Erst wollte er selbst Kanzler sein, um dann aus dieser Rolle heraus um Vertrauen zu werben. Die Rechnung ging auf.

Angela Merkel hingegen, siegesgewiß gestimmt von glänzenden Umfragewerten, ließ sich auf Schröders Pokerspiel ein und mußte erleben, wie der Amtsinhaber seine Kanzlerschaft in vollem Umfang gegen sie ausspielte.

Doch nicht allein diese Unbedarftheit wurde ihr zum Verhängnis. Im Verlauf der Kampagne stellte sich heraus, wie schwach Merkels Rückhalt in der eigenen Partei ist. Nachdem sie den Finanzfachmann Paul Kirchhof ins "Kompetenzteam" gehieft hatte, verging keine Woche mehr, in der nicht irgendein CDU-Ministerpräsident oder CDU-Vorstandsmitglied zweideutige Bemerkungen über den ehemaligen Verfassungsrichter in die Medien lancierte. Interessant ist, daß sämtliche Querschüsse ein erstaunlich ähnliches Strickmuster aufwiesen: Zunächst ein im üblchen Wahlkampfdeutsch formuliertes Lob für den "ausgewiesenen Fachmann" Kirchhof, dann jedoch stets der spitze Hinweis, daß der Herr Professor aber wohl eher in der Theorie zuhause sei als in der praktischen Politik und daß seine Vorstellungen mit dem CDU-Programm nicht übereinstimmten.

Paul Kirchhof wurde Stück für Stück aus den eigenen Reihen heraus demontiert. Dabei trat zutage, daß CDU-Chefin Merkel offensichtlich nicht einmal die Hausmacht besaß, um die Legion der Querschießer wenigstens ruhigzustellen. Alle ihre Treueschwüre für Kirchhof verhallten ebenso folgenlos wie ihre Ermahnungen an die undisziplinierten Parteigranden. Der Eindruck entstand, daß innerhalb der CDU eine Art "Partei in der Partei", auf welche die Vorsitzende keinen Einfluß ausübt, ihr Süppchen kocht.

Auf der Suche nach dieser "Partei in der Partei" geht der Blick auf den sogenannten "Andenpakt", eine CDU-interne Seilschaft, die entstanden ist lange vor dem Mauerfall. Rückblende: Im Juli 1979 unternahmen zwölf Funktionäre der Jungen Union (JU) eine gemeinsame Reise nach Südamerika. Beim Flug über die Anden verabredete sich das Dutzend, nie gegeneinander antzutreten und auch nie einander öffentlich zum Rücktritt aufzufordern. Der "Pacto Andino" war geboren. Andere junge Unionspolitiker traten später bei. Man trifft sich seitdem regelmäßig - etwa zu gemeinsamen Auslandsreisen.

Heute werden allein vier CDU-Ministerpräsidenten mit dem Andenpakt in Verbindung gebracht: Roland Koch (Hessen), Peter Müller (Saarland), Christian Wulff (Niedersachsen) und Günther Oettinger (Baden-Württemberg). Hinzu kommen der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christoph Böhr, der hessische CDU-Fraktionsvorsitzende Franz Josef Jung, Hessens Innenminister Volker Bouffier, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Friedbert Pflüger, Elmar Brok, CDU-Europaparlamentarier und Mitglied des Vorstandes der EVP-Fraktion sowie Matthias Wissmann, 1979 JU-Bundesvorsitzender und später Kohls Verkehrsminister. Die "Andinos" spielen die Bedeutung ihres Clubs gern herunter. Man treffe sich halt und rede "gepflegter" miteinander als die "Brandt-Enkel" in der SPD, witzelte Niedersachsen-Premier Wulff bei einer Diskussionsrunde der Stuttgarter Nachrichten im April dieses Jahres.

Zwar mag es Zufall sein, doch die Liste der unionsinternen Kirchhof-Kritiker liest sich wie das "Wer ist Wer" des Andenpaktes. Angela Merkel gehört nicht zu der illustren Bruderschaft, sondern stieg an den einstigen Jungpolitikern vorbei zur CDU-Spitze auf. Als Koch, Müller und Wulff sich in der 90ern als "Junge Wilde" an Kohl die Hörner abstießen, bastelte Merkel im geschützten Gehege des "Überkanzlers" an ihrer eigenen Karriere und blieb auf Distanz zum verschworenen Nachwuchs.

Zu ihrer mangelnden Nähe zu der in einem Vierteljahrhundert herangereiften Seilschaft kommt das Manko, daß Angela Merkel nie Ministerpräsidentin eines Bundeslandes war und ihr somit die Erfahrung fehlt, wie man eine Regierung führt. Offenkundig hielten sie zahlreiche Schwergewichte in der CDU daher für die im Grunde falsche Kandidatin - und sie gaben sich kaum Mühe, ihr geringes Zutrauen in die Chefin vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Kirchhof erschien wie der Sack, den man schlägt, wenn man den Esel treffen will. Eingebettet in ihr fest verzurrtes Netzwerk mußten die Abweichler die Rache der Vorsitzenden nicht fürchten.

Was den "Andinos" indes abgeht ist ein gemeinsamens inhaltliches Fundament. Saarlands Peter Müller punktet gern mit dem Profil des im Zweifel linksdrehenden Sozialpolitikers. Roland Koch hingegen gewann seine Wahl in Hessen mit Unterschriftensammlungen gegen den "Doppel-Paß" - profilierte sich also bewußt auf dem rechten Flügel. Was den "Andenpakt" zusammenhält ist der Wunsch, Hand in Hand Karriere zu machen. Er gibt damit nur ein besonders gut organisiertes Beispiel ab für eine Art von Politikerelite, die in den vergangenen Jahren zunehmend verantwortlich gemacht wird für die Stagnation im Lande: Machtbewußt und erprobt im Parteienkampf - aber ohne klare Linie in der Sache.

Die Parteien sind beherrscht von solch hochprofessionellen Berufspolitikern, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt haben. Mit 14, 15 oder 16 treten sie in die Jugendorgansationen einer Partei ein und betreiben von da an gezielt ihren Auftstieg. Noch bevor sie zum Erwachsenen haben reifen können, verinnerlichen sie die Regeln der Apparatschiks, der nach oben will. Das heißt: Keine Positionen einnehmen, die gefährlich werden können, nicht an Meinungen festhalten, die in die Minderheit geraten sind, sondern eine feine Nase entwickeln für die aktuelle Windrichtung, und: die richtigen Freunde gewinnen - und fallenlassen, wenn sie im Wege sind. Angela Merkel mußte vieles davon erst nachträglich lernen und holte schnell auf - doch offenbar nicht gründlich genug.

So beging sie - durch die Brille des Parteitaktikers betrachtet - einen folgenschweren Fehler. Mit der Berufung Kirchhofs identifizierte sie ihre Person mit einer klaren inhaltlichen Stellung. Damit wurde sie greifbar, sprich: angreifbar, weil sie jene zweifelhafte "Flexibilität" eingebüßt hatte, die es dem gewieften Parteitaktiker ermöglicht, jederzeit eine unbeliebt gewordene Meinung sofort zu ändern, damit sie seinem Fortkommen nicht schade. Das nutzten ihre innerparteilichen Widersacher erfolgreich aus und zerlegten Kirchhof an ihrer Statt.

Wenn heute beklagt wird, daß die Parteipolitik sich nur noch mit sich selbst zu beschäftigen scheint und ihre Protagonisten die drängenden Probleme des Landes erst an die zweite Stelle setzen, könnte die Antwort lauten: Sie machen, was sie gelernt haben. Und wer es anders macht, hat verloren.

Aber kann eine nach solchen Kriterien ausgesiebte Führungsmannschaft ein Land erfolgreich in die Zukunft führen? Besteht ein Zusammenhang zwischen der deutschen Krise und den Auswahlmethoden des politischen Personals? In fremden Ländern gibt es neben den Parteijugenden noch wichtigere, klassische Kaderschmieden für die Staatsführung, welche Deutschland verlorengegangen sind. Frankreich unterhält eine eigene Hochschule für die Elite in Politik und Verwaltung, die "ENA". In Großbritannien und den USA versorgt eine kleine Zahl anerkannter Spitzenuniversitäten die Regierungen mit einem Reservoir hochqualifizierter Fachleute, deren Ausbildung gezielt auf führende Positionen in Staat und Parteien ausgerichtet ist.

Vor NS-Regime und Weltkrieg verfügte auch Deutschland über solche Nachwuchsschmieden, die es insbesondere von Preußen übernommen hatte. Nach 1945 lebten sie nicht wieder auf; seitdem übernehmen Parteien und Verbände die Auswahl der künftigen Führungskräfte des Staates und bestimmen seine Regeln, die keiner so gut beherrscht wie sie. An ihnen mußte Paul Kirchhof scheitern, während Deutschlands Kräfte unter der Selbstbezogenheit einer routinierten Parteiennomenklatur erlahmen.

 Mächtige Ministerpräsidenten: Christian Wulff, Roland Koch und Peter Müller.(v. l.) Foto: Phototek.net


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