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24.09.05 / Abfallprodukt / Gedanken über die Kunst

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. September 2005

Abfallprodukt
Gedanken über die Kunst
von Ulrich Schacht

Im Dezember 1989 fanden Leipziger Bürger beim Sturm auf die Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit eine Sammlung eigenartiger Artefakte: Beschriftete Einweckgläser, in denen Stofffetzen oder Zellstofftaschentücher luftdicht eingeschlossen waren. Die auf die Gläser geklebten Zettel enthielten Familiennamen von lebendigen Menschen und Wörter wie "Taschentuch" oder "Arbeitsunterhose".

Bald stellte sich heraus, daß es sich bei dieser Sammlung von Einweckgläsern und ihren merkwürdigen Inhalten um "Geruchsproben" Leipziger Oppositioneller handelte, in konspirativen Aktionen vom Geheimdienst der spätstalinistischen Diktatur zusammengetragen zum Zweck potentieller Identifizierung widerständiger Bürger in den dem Regime verborgenen Handlungsräumen ihres Aufbegehrens.

Dieser Tage nun kann man in Salzburg eine Art Déjà-vu jener Leipziger Installation aus dem Horrorkabinett der repressiven Phantasie totalitärer Gesellschaften des vorigen Jahrhunderts erleben, und zwar im ortsansässigen Museum der Moderne. Dort läuft unter dem harmlosen Titel "Les Grands Spectacles" eine Ausstellung, die sich um "120 Jahre Kunst und Massenkultur" dreht. In dieser Ausstellung finden sich auch fast 100 Glasbehälter des "Künstler"-Duos McCarthy / Rhoades, "shitplugs" genannt, in denen sich nichts anderes befindet als abgefüllte Exkremente von Besuchern der XI. Documenta in Kassel. Angesichts solcher "Kunst"-Werke fallen einem zuerst vielleicht nur die drastischen Kinderverse: "Dort oben auf dem Berge, da steht ein Karton, da machen die Zwerge aus Scheiße Bonbon" ein. Aber das, was mit diesem Beispiel öffentlich als Kunst wahrgenommen werden soll und auch wird, ist nicht einmal mehr mit Andersens märchenhafter Opportunismus-Groteske "Des Kaisers neue Kleider" zu verstehen, das heißt: radikal zur Kritik zu stellen. Hier wird vielmehr ein weiteres Mal Beweismaterial für eine These geliefert, die der französische Medien-Philosoph Paul Virilio in seiner Rede über "Eine gnadenlose Kunst" aufstellte.

Virilio meint damit vor allem die Kunst der extremen Moderne des 20. Jahrhunderts - Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus oder den Wiener Aktionismus -, aus der er eine ebenso untergründige wie offensichtliche Nähe zu den totalitären Systemen desselben Jahrhunderts und ihrer Bereitschaft abliest, das erbarmungslose Massenverbrechen als heilsgeschichtliche Erlösungspolitik zu inszenieren. Deren politische Zerstörung von Kultur und Humanität spiegelt sich für Virilio in den nicht weniger erbarmungslosen Bildern, Skulpturen und Inszenierungen besagter Kunstrichtungen und hat die späteren realen Vernichtungsorgien nihilistisch-lustvoll antizipiert: "Untrennbar mit dem selbstmörderischen Zustand der repräsentativen Demokratie verbunden", habe die Kunst jenes Jahrhunderts "auf gefährliche Art und Weise ... die Greuel der modernen Verwüstungen und die dazugehörigen Diktatoren - ganz gleich, ob es sich nun um Hitler oder den futuristischen‚ Mussolini, um Stalin oder Mao Zedong" handele, "zumindest indirekt begrüßt". Diese "erbarmungslose zeitgenössische Kunst" sei nicht mehr nur einfach "schamlos, sondern sie hat sich die Schamlosigkeit der Schänder und Folterknechte, den Hochmut des Henkers zu Eigen gemacht". Was man in Salzburg bis zum 3. Oktober besichtigen kann, ist deshalb nichts anderes, als die Fortsetzung jenes urbösen wie "gottlosen" (Virilio) Projekts: der Mensch als Abfallprodukt der Geschichte.


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