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24.09.05 / Ein Gottesdienst mit vertauschten Rollen / Bei der 500-Jahrfeier

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. September 2005

Ein Gottesdienst mit vertauschten Rollen
Bei der 500-Jahrfeier von Reiffenrode war der katholische Geistliche Deutscher und der evangelische Pole

Die Kreisgemeinschaft Lyck organisiert seit dem Jahre 1995 alljährlich, jeweils in einem anderen Kirchdorf des Heimatkreises, einen ökumenischen Gottesdienst mit einer anschließenden Begegnung mit den jetzigen polnischen Bewohnern. Es begann 1995 mit Baitenberg, dessen Kirchengebäude damals gerade 100 Jahre alt wurde, und endete nun erst einmal 2005 in Reiffenrode, das bis 1935 Prawdzisken hieß. Reiffenrode konnte in diesem Jahr sein 500jähriges Bestehen feiern.

Die Feierlichkeiten diesen Sommer standen unter der Schirmherrschaft des katholischen Bischofs Jerzy Mazur aus Lyck und von Starosta (Landrat) Adam Puza. Landrat Puza hatte eigens für diesen Anlaß die zwei Kilometer lange Zufahrt zu dem Dorf asphaltieren lassen. Die jetzigen polnischen Bewohner hießen die Gäste mit einem Begrüßungsbogen willkommen. Kilometerlang waren Fähnchen an der Straße angebracht. Die Feierlichkeiten begannen mit einer Vortragsveranstaltung über die Geschichte des Dorfes. Lycks Kreisvertreter Gerd Bandilla und Reiffenrodes Ortsvertreter Bernhard Dziondziak hielten auch Vorträge.

Der Ort Reiffenrode (gegründet 1505 von dem Ordenspfleger Jacob Reiff aus Lötzen) liegt hart an der Grenze zwischen Ostpreußen und Polen. Heute noch ist es die Grenze zwischen der Woiwodschaft Ermland und Masuren einserseits und der Woiwodschaft Podlachien (Bialystok) andererseits. Die Grenze ist die zweitälteste in Europa. Sie wurde in dem Vertrag vom Melnosee vom 27. September 1422 als Grenze zwischen dem Ordensstaat und dem Großfürstentum Litauen festgelegt. 1422 regierte in Polen/Litauen König Wladyslaw II. Jagiello, und Hochmeister des Deutschen Ritterordens war Paul von Russdorf. In der Örtlichkeit abgemarkt wurde die Grenze im Jahre 1545 als in Polen König Zygmunt (August) I. Stary und in Preußen Herzog (Markgraf) Albrecht regierten. Daran erinnert heute noch die Grenzsäule bei Prostken. Herzog Albrecht war ein Neffe von Zygmunt. Beide vereinbarten, Städte zu gründen. So entstanden das nach Zygmunt (August) benannte Augustow und das nach dem Markgrafen Albrecht benannte Marggrabowa. Marggrabowa wurde 1928 in Treuburg umbenannt. Die polnische Königin Bona aus dem Hause Shorza hatte bereits 1545, als es um die Vermarktung ging, den östlichen Teil von Lyck haben wollen. Herzog Albrecht wehrte dieses Begehren jedoch unter Hinweis auf den Vertrag von Melnosee erfolgreich ab.

Bei den ökumenischen Gottesdiensten war es in den Vorjahren die Regel gewesen, daß die Kreisgemeinschaft einen deutschen evangelischen Pfarrer "mitbrachte", und die katholische Seite der polnische ortsansässige katholische Geistliche zelebrierte. Diesmal war es anders. Die Liturgie hielt der polnische, evangelische Pastor Marian Sontowski aus Lyck. Gepredigt hat der 1935 in Reiffenrode geborene deutsche, katholische Pater Eduard Prawdzik aus Prawdzisken. Die Predigt von Pater Eduard fand sehr viel Beachtung. Sie hat, wie er selbst verhalten äußerte, einigen "Wind" erzeugt.

Pater Eduard ist genau wie Bischof Mazur Steyler Missionar. Er arbeitet zur Zeit in Tapiau im Königsberger Gebiet. Mit Pater Eduard war seine große Familie, darunter auch jüngere Leute und Kinder, nach Reiffenrode angereist. Kinder brachten in einer Prozession die Hostien zum Altar. Drei Nichten des Paters gaben mit ihren Blockflöten den Kirchenliedern der Deutschen Halt.

Als Geschenk brachten die vertriebenen deutschen Reiffenroder den jetzigen Bewohnern eine einen Meter hohe Erinnerungskerze mit, die Kreisvertreter Bandilla in der Kirche überreichen durfte.

Nach dem Gottesdienst versammelten sich alle auf der frisch aphaltierten Dorfstraße, die von Landrat Puza und dem Bischof feierlich neu eröffnet wurde.

Um die Mittagszeit fanden sich dann alle auf dem Hofe der Grundschule in Prawdzisken ein, die auf den Namen des früheren Pfarrers Adalbert Rogaczewski getauft wurde. Die Schüler erfreuten danach die Gäste mit Folkloredarbietungen. Dort gab es auch ein zwar einfaches, aberreichliches Mittagessen für jedermann.

Nach dieser Stärkung begann dann der gemeinsame Gang zu den Friedhöfen. Zunächst wurde der katholische Gottesacker aufgesucht. Nach den Gebeten und Fürsprachen der Geistlichen sprach Dziondziak Worte des Gedenkens und legte am Kreuz einen Kranz nieder. Man zog dann weiter zum alten Dorffriedhof, der im Auftrag der Kreisgemeinschaft Lyck von Gottfried Willutzki und dem polnischen Steinmetz Simeon begehbar gemacht worden ist. Hier war neben einem bereits vorhandenen neueren Gedenkstein ein Erinnerungskreuz aufgestellt worden. Dort sprachen Dziondziak, Bandilla und Pater Eduard zu den Teilnehmern. Nach der Kranzniederlegung beendete Pater Prawdzik dieses Gedenken mit einem Gebet und erteilte den Anwesenden den Segen.

Alles in allem waren es würdevolle Tage in Reiffenrode.

Der mit seinem 27jährigen Sohn mitangereiste frühere Einwohner von Reiffenrode Alfred Sawatzki wurde in der Gazeta Olsztynska (Allensteiner Zeitung) wie folgt zitiert:

"Ich bin sehr bewegt. In Reiffenrode (Prawdziska) bin ich geboren und lebte hier neun Jahre. Ich erinnere mich an unsere alte Schule, zu der ich ging. Heute sah ich meinen früheren Mitschüler Pater Eduard Prawdzik wieder. Nach Polen kam ich zusammen mit meinem Sohn, damit er alles sieht, was ich in meinem Herzen trage."

Eine polnische Einwohnerin von Reiffenrode schrieb an die Gazeta Olsztynska folgenden Leserbrief:

"Ich bin in Reiffenrode (Prawdziska) geboren. Aber nie habe ich vorher so was Ähnliches gesehen. Ich denke an die Jubiläumsfeierlichkeiten unserer Ortschaft. Viele frühere Einwohner kamen mit ihren Familien hierher. Ich sah, wie ältere Personen mit Tränen in den Augen durchs Dorf gingen und ihre Häuser suchten. So eine Begegnung vereinigt uns, die jetzigen polnischen Bewohner mit den Deutschen, die doch früher in unserem Kreis wohnten. So bleibt auch der ökumenische Gottesdienst für immer in meinem Gedächtnis. Ich habe die Hoffnung, daß in der Zukunft andere Gemeinde, Ortschaften und Dörfer sich Reiffenrode als Vorbild nehmen und ähnliche Begegnungen organisieren werden." G. B. / P. D.

 Einweihung des neu aufgestellten Erinnerungskreuzes: Pater Eduard Prawdzik und Gerd Bandilla auf dem alten Dorffriedhof Fotos: Dziengel


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