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08.10.05 / Schröders Götterdämmerung / Fiel in Dresden die Entscheidung über die Kanzlerschaft?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 08. Oktober 2005

Schröders Götterdämmerung
Fiel in Dresden die Entscheidung über die Kanzlerschaft?
von Joachim Tjaden

Also kam es, wie es hatte kommen müssen: Die Nachwahl im Bundestagswahlkreis Dresden I hat Deutschland bewegt - und vielleicht sogar vorangebracht. Das Votum der 219000 Bürger der sächsischen Landeshauptstadt hat gute Aussichten, dereinst mit dem Attribut historisch versehen zu werden: nicht nur weil es (verursacht durch den Tod einer NPD-Kandidatin kurz vor dem regulären Urnengang vom 18. September) die erste Nachwahl bei einer Bundestagswahl seit der Wiedervereinigung war, sondern weil es am Ende als entscheidender Befreiungsschlag aus dem das Land nach innen lähmenden und nach außen isolierenden Patt gewesen sein könnte.

Nachdem feststand, daß das Dresdner Direktmandat an die CDU gefallen und somit der Vorsprung der Union gegenüber der SPD im neuen Bundestag auf substantielle vier Mandate angewachsen war, konnten die Sozialdemokraten ihre Machterhaltungslegende vom angeblichen Gleichstand der Volksparteien im Hohen Hause nicht länger aufrechterhalten. CSU-Generalsekretär Markus Söder sprach im Überschwang von einem "Dresdner Plebiszit": "Es ist auf jeden Fall klar, daß der Führungsanspruch bei der Union liegt. Das Ergebnis hat Angela Merkel eindeutig gestärkt."

Ausgerechnet die Sächsin Cornelia Ernst, Landesvorsitzende jener Linkspartei, deren Gründung erst und einzig in der Folge des annähernd sieben Jahre währenden Niedergangs der SPD möglich wurde, fand den wohl treffendsten Kommentar: "Ich kann jetzt nur hoffen, daß das Affentheater um die Kanzlerfrage aufhört." Die Hoffnung scheint berechtigt: Noch am Dresdner Wahltag stellte der SPD-Bundesvorsitzende Franz Müntefering, der bis dahin in Treue fest zu Kanzler Gerhard Schröder stand, dessen weite Teile der Bevölkerung irritierenden und gelegentlich degoutierenden Kanzleramts-Würgegriff erstmals öffentlich in Frage, als er unverhofft erklärte, die Kanzlerschaft in einer großen Koalition sei lediglich "ein Teil der zu verhandelnden Konstellation". Unmittelbar nach Dresden dann rückte auch Schröder von Schröder ab, als er dem ihm über die Jahre seiner Kanzlerschaft eher wohlgesonnenen Fernsehsender RTL erklärte: "Es geht nicht um meinen Anspruch, schon gar nicht um meine Person. Es geht um den politischen Führungsanspruch meiner Partei, und darüber kann nur die Parteiführung befinden. Ich werde keiner Entscheidung meiner Partei im Wege stehen, die die Fortsetzung meines Reformweges und die Bildung einer stabilen Regierung garantiert." Mit diesen Worten hoher Tragweite hat der Kanzler sich selbst auf den Status eines Kanzlerkandidaten zurückgeführt und zur Verhandlungsmasse im großen Koalitionspoker reduziert: welch ein Gegensatz zum Schröder des 18. September, der an jenem Wahlabend noch als von Hybris verblendet daherzukommen schien. Auf manche Beobachter wirkte seine jetzt ausgesprochene scheinbar selbstlose Ankündigung eines Rückzugs auf Raten wie die späte und von der normativen Kraft der Fakten erzwungene Rückkehr des Anstands in die Politik - Dresden sei Dank.

Der Kanzler, der seinen Genossen während seiner Regierungszeit stets fremd war und erst im Neuwahlkampf zu ihnen zurückfand, hat nur vordergründig sein weiteres Schicksal in die Hände seiner Partei gelegt. Natürlich mußte er spüren, wie in den letzten Tagen sein Rück-halt im eigenen Lager zu schwinden begann, als mit Klaus Wowereit, Henning Scherf und Kurt Beck fast schon reihenweise SPD-Ministerpräsidenten auf Distanz gingen. Sicher auch erkannte der Kanzler die geschichtliche Dimension, als Joschka Fischer, noch bevor der neue Bundestag konstituiert war, seinen Abschied in den parlamentarischen Vorruhestand ankündigte - an diesem Tag und nicht am 18. September begann Schröders Götterdämmerung.

Tatsächlich ist der scheidende Kanzler, der in der rot-grünen Ära vergebens danach trachtete, Deutschland zu bewegen, inzwischen nur noch eine geführte Figur im politischen Schachspiel. Denn in der SPD haben sich längst die Kräfte unumkehrbar verschoben: Schon bei den ersten Sondierungsgesprächen mit der Union war Müntefering ihr Hauptakteur, und Schröder stand in seinem Schatten. Bei der Dresdner Wahlkampf-Abschlußkundgebung gar diente der Noch-Kanzler als Münteferings Vorredner - symbolträchtig.

Unterdessen hat Deutschland begriffen und akzeptiert, daß die große Koalition nicht, wie vor Neu- und Nachwahl stereotyp behauptet, der "kleinste gemeinsame Nenner", sondern der letztverbliebene Ausweg aus der drohenden Unregierbarkeit ist. Die Realpolitiker in der SPD wiederum wissen inzwischen nur zu gut, daß die Bürger der Partei jede weitere Verweigerungshaltung spätestens bei einer von ihrer Linken in dramatischer Verkennung der Stimmung im Land ernsthaft gewünschten Neuwahl gnadenlos quittieren würden - schonungsloser gewiß als noch am 18. September.

Daß das Präsidium der Sozialdemokraten auch nach Schröders angedeutetem Verzicht auf persönliche Ambitionen zunächst unverdrossen erklärte, an ihm als Kanzler festzuhalten, hat ausschließlich taktische, längst aber keine dogmatischen Gründe mehr: Es geht darum, den Preis für eine große Koalition zu verteuern.

Wolfgang Clement, von Schröder einst als Superminister ins Kabinett geholt und dort in den kardinalen Politikfeldern Wirtschaft und Arbeit ohne jede Fortüne geblieben, warnte 48 Stunden nach Dresden die Union: "Sondierungen, bis die SPD klein ist, wird es nicht geben." Clements verbaler Kraftakt klang wie Pfeifen im Walde.

Die SPD-Führung wird, wenn Angela Merkel Kanzlerin ist, ihrer Basis belegen müssen, daß dennoch - wie im Wahlkampf versprochen - eine "schwarze Republik" verhindert wurde. Nach Dresden kann es für die SPD schon aus numerischen Gründen nicht mehr um "Augenhöhe" mit der Union gehen, sondern nur noch um Gesichtswahrung und Posten: So viele Minister wie möglich und einen im Amt verbliebenen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse: Dann wäre zumindest der formal zweite Mann im Staate rot.

Thierse für Schröder? Ein fast schon tragisch zu nennendes Finale für den Staatsmann aus Hannover. Oder aber auch sein letzter Dienst als Parteisoldat, der er von seiner Persönlichkeitsstruktur her Zeit seiner Karriere eigentlich nie hatte sein wollen.

Die Union wird sich in diesen Stunden, schon um die Koalitionsgespräche nicht zu gefährden, vor Schadenfreude zu schützen haben. In diesem Sinne, wer mag da von Spott sprechen, wünschte ihr Düsseldorfer Regierungschef Jürgen Rüttgers, mit dessen Wahlsieg im Mai Schröders langes Finale eingeläutet wurde, dem Kanzler und Kanzlerkandidaten auf Abruf einen "Abschied in Würde".


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