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15.10.05 / Dem Geheimnis dahinter auf der Spur / "Wie gotische Fenster im Gegenlicht": Franz Marc schuf Ikonen der Klassischen Moderne

© Preußische Allgemeine Zeitung / 15. Oktober 2005

Dem Geheimnis dahinter auf der Spur
"Wie gotische Fenster im Gegenlicht": Franz Marc schuf Ikonen der Klassischen Moderne
von Silke Osman

Einen Dichter durch die Farbe nannte ihn Theodor Däubler (1876-1934), einer der Inspiratoren des literarischen Expressionismus. Franz Marc war aber auch ein Künstler, der sich durchaus bildhaft mit Worten ausdrücken konnte, etwa in seinen "100 Aphorismen", die 1915 erschienen, als der Maler längst an der Front in Frankreich war. Da beschreibt er unter dem Titel "Das zweite Gesicht" seine Visionen von Formen und Farben. "Ich war von seltsamen Formen umkreist, und ich zeichnete, was ich sah: harte, unselige Formen, schwarze, stahlblaue und grüne, die gegeneinander polterten, daß mein Herz vor Weh schrie; denn ich sah, wie alles uneins war und sich im Schmerz störte. Es war ein schreckliches Bild ... Meine ausschwärmende Sehnsucht sah ein anderes Bild, das tiefe Bild: Die Formen schwangen sich in tausend Wänden zurück in die Tiefe. Die Farben schlugen an die Wände, tasteten sich an ihnen entlang und entschwanden in der allerletzten Tiefe. Jeder schrie vor Sehnsucht, der dies Bild sah. Unsre Seelen zogen den Farben nach in die letzte Tiefe. Wie unsagbar sind alle diese Dinge. Wie unsagbar schön."

Unsagbar schön sind denn auch die Bilder, die Franz Marc geradezu im Eiltempo geschaffen hat. Nur wenig Zeit war ihm vergönnt, die Meisterwerke entstehen zu lassen, die jetzt die Besucher der Ausstellung im Münchner Lenbachhaus nicht zuletzt durch Farben in unerhörter Leuchtkraft begeistern. Diese Ikonen der Klassischen Moderne sorgen derzeit für lange Schlangen an den Museumskassen. Als sie vor bald 100 Jahren entstanden, waren die Betrachter eher verstört, entsetzt oder gar empört, hatten sie doch eine solche Farbigkeit noch nie zuvor gesehen. Denn wo gab es schon rote, gelbe oder blaue Pferde?

Dabei hatte Franz Marc als ganz braver Schüler der Münchner Akademie bei Gabriel von Hackl und Wilhelm von Diez begonnen. Es sah keineswegs danach aus, als würde er einmal zur sogenannten Avantgarde gehören. Artig malte er ein Bildnis der Mutter, kleine Landschaften und Naturstudien. Eine Reise nach Frankreich, auf der er Werken der französischen Impressionisten begegnete, mag ihn schließlich veranlaßt haben, das Akademiestudium aufzugeben und auf eigene Faust weiterzulernen. Vermehrt tauchte nun das Tiermotiv in seinem Schaffen auf. Auf der Rückreise von einem Ostseeaufenthalt mit seiner ersten Frau Marie Schnür fertigte er 1907 im Berliner Zoo erste systematische Tierstudien an. Von der Studie zum Meisterwerk aber war es noch ein steiniger Weg, ein Weg, den der Besucher der Münchner Ausstellung an hervorragenden Beispielen verfolgen kann.

Das Tier, und hier neben Rehen, Hunden, Katzen, Kühen, Stieren und Tigern vor allem das Pferd, wird Franz Marc nun stets in seinem Œuvre begleiten. "Ich empfand schon sehr früh den Menschen als häßlich", schrieb er später einmal an seine zweite Frau Maria Franck, "das Tier schien mir schöner, reiner; aber auch an ihm entdeckte ich so viel Gefühlswidriges und Häßliches, so daß meine Darstellungen instinktiv immer schematischer, abstrakter wurden." 1908 war in dieser Hinsicht ein bedeutendes Jahr für Marc, entstanden doch im Sommer die ersten nahezu lebensgroßen Pferdebilder von seiner Hand. Diese fielen jedoch nicht nach seiner Zufriedenheit aus, so daß er sie zerschnitt und Teile der Leinwand zur Abdichtung seines Dachbodenateliers in Sindelsdorf verwandte. In dieser Zeit entstehen auch erste Darstellungen von Pferden in roter Farbe. Auch eine erste plastische Arbeit schuf Marc, zwei Pferde aus Bronze, die als das erste publizierte Werk von Marc gilt. Die Arbeit erschien 1910 in dem von Reinhard Piper herausgegebenen Buch "Das Tier in der Kunst". Dort konnte Marc seine künstlerischen Ansichten und Absichten auch erläutern: "Meine Ziele liegen nicht in der Linie besonderer Tiermalerei. Ich suche einen guten, reinen und lichten Stil, in dem wenigstens ein Teil dessen, was wir moderne Maler zu sagen haben werden, restlos aufgehen kann. Ich suche mein Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge zu steigern, suche mich pantheistisch einzufühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft - suche das zum Bilde zu machen, mit neuen Bewegungen und mit Farben, die unseres alten Staffeleibildes spotten ... Ich sehe kein glücklicheres Mittel zur Animalisierung der Kunst, wie ich es nennen möchte, als das Tierbild. Darum greife ich danach." - Mit "Animalisierung der Kunst" meinte Marc, so Christian von Holst einmal, "daß Kunst das Wesen der Dinge zur Anschauung zu bringen, in den Kern des Lebens vorzudringen hat. Es geht darum, hinter dem äußeren Schein dem Geheimnis des Seins auf die Spur zu kommen."

In diese Zeit des Suchens fiel auch Marcs intensive Beschäftigung mit der Farbe, der er bestimmte Symbolwerte zuwies. "Jede Farbe muß klar sagen, ,wer und was sie ist' und muß dazu auf einer klaren Form stehen", schrieb er 1911 an Maria Franck. Und: "Niemals werde ich um dekorativer Wirkung willen einen Busch blau machen, sondern nur um das Pferd, das sich von ihm abhebt, in seiner ganzen Wesenheit zu steigern." Und so sind denn auf Marcs Bildern rote, gelbe und blaue Pferde zu finden. Leuchtend "wie gotische Kirchenfenster im Gegenlicht" (Christian von Holst) ziehen die kräftigen Farben den Betrachter in ihren Bann. Weltberühmt ist heute das "Blaue Pferd" aus dem Jahr 1911, in der herben Farbe der Männlichkeit, des Geistes dargestellt. Kritiker sahen darin gar ein Selbstbildnis Marcs.

1911 war es auch, da Franz Marc begann, sich neuen Plänen zuzuwenden. Seinem Freund August Macke (1887-1914) erklärte er: "Sobald mein Speicher alle diese Bilder und Riesenschwarten ausgespien haben wird, fange ich die Malerei ganz von vorne wieder an. Es muß mir gelingen, beim Arbeiten den umgekehrten Prozeß durchzusetzen als bisher, wo ich von ganz komplizierten Form- und Farbvorstellungen bei jeder Arbeit ausging und diese bei jedem Bilde langsam, mit unsäglicher Anstrengung erst reinigte, vereinfachte und ordnete. Ich will wie ein Kind anfangen, vor der Natur mit drei Farben und ein paar Linien meinen Eindruck zu geben, und dann hinzutun an Formen und Farben, wo es der Ausdruck fordert, daß also der Arbeitsprozeß nur ein Hinzutun, niemals ein Wegnehmen ist. Nur wir Maler wissen, wie blödsinnig schwer das ist." Bald schon waren Marcs Motive reduziert auf das Wesentliche der künstlerischen Aussage, und alles war auf eine dichte, einfache Form gebracht. Und nicht viel später tauchten die Tiermotive ein in glitzernde Bildprismen, in Linienbündel und Rauten, der Künstler beeinflußt vom französischen Kubismus.

Neben den großformatigen Gemälden dürften aber auch die graphischen Arbeiten Marcs von besonderem Interesse sein, vor allem die wenigen von eigener Hand gemalten Postkarten. So schrieb er am 31. August 1913 auf einer Karte, die eine Feder- / Aquarellzeichnung einer Schweineherde zierte, an Erich Heckel: "Lieber Herr Heckel! Dank für ihren Kartengruß; wir sitzen seit 3 Wochen in Ostpreußen, Gendrin bei Abelischken auf dem Gut des Bruders meiner Frau und leben fein, reiten, jagen, Billardspielen, essen und schlafen! ..." Bei diesem Besuch erhielt Marc, der Tierfreund, von seinem Schwager Wilhelm eine Ricke geschenkt, die er sich in seinen Wohnort Sindelsdorf schicken ließ. Zwei weitere Rehe ergänzten im Herbst das Gehege. Und - wer weiß? - vielleicht ist eins der dargestellten Rehe die Ricke aus dem Kreis Gerdauen.

Die Pferde aber bestimmten das Leben des Künstlers, der als einer der bahnbrechenden Pioniere der modernen Malerei gilt und der viel zu früh sterben mußte. Künstlerfreund August Macke (wie Marc später ein Opfer des Ersten Weltkrieges) schrieb 1910 aus Bonn: "Ich freue mich, wenn Du arbeitest. Gib deiner Zeit Tiere, vor denen man noch lange steht. Die Hufschläge Deiner Pferde mögen hallen bis in die fernsten Jahrhunderte." - Bis ins 21. Jahrhundert ist der Hall gedrungen, davon legt die Münchner Ausstellung beredtes Zeugnis ab.

Blaues Pferd: Markenzeichen von Franz Marc


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