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22.10.05 / "Skoro domoj" - nach Hause / Bundespräsident Köhler über das Symbol Friedland

© Preußische Allgemeine Zeitung / 22. Oktober 2005

"Skoro domoj" - nach Hause
Bundespräsident Köhler über das Symbol Friedland

Friedland im Oktober 1955 war ein Ort, in dem jeder dort lebende oder weilende Mensch Anteil nahm an dem Schicksal der Rußland-Spätheimkehrer. Friedland im Oktober 2005 ist ein Ort, in dessen Grenzdurchgangslager nicht einmal anläßlich der 50. Wiederkehr dieses nationalen Ereignisses und des Besuches von Bundespräsident Horst Köhler geflaggt wurde. Die Bevölkerung nahm von dem Gedenktag so gut wie keine Notiz.

Daß Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) präsent war, verdiente in doppelter Hinsicht Beachtung. Denn zunächst hatten die Veranstalter dieses Gedenktages Wulff unter Hinweis auf die herausragende Rolle von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) eingeladen und aus dessen Umfeld eine Absage erhalten. Gleiches geschah auch, als die Vertreter des Verbandes der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermißtenangehörigen sowie der Lagergemeinschaft Workuta um die Schirmherrschaft des niedersächsischen Ministerpräsidenten nachsuchten. Die geschichtsunkundige Umgebung von Wulff sei für die Ablehnungen verantwortlich, hieß es später. Erst als die Zusage von Bundespräsident Köhler feststand, sagte schließlich auch Wulffs Staatskanzlei zu.

In dem blumengeschmückten Speisesaal des Hauses Nummer 4 im Grenzdurchgangslager, an dessen Stirnseite neben der Bundesflagge, die Europafahne und die Fahne des Landes Niedersachsen standen, fand der Festakt statt. Das Polizeimusikkorps Niedersachsen umrahmte die Veranstaltung musikalisch - Vertreter der Bundeswehr in Uniform waren nicht anwesend - waren doch 1955 nicht weniger als 6557 ehemalige Soldaten in die Freiheit zurückgekehrt. Vor den etwa 600 Spätheimkehrern und ihren Familienangehörigen hielt Bundespräsident Köhler folgende Rede (Auszug):

"Friedland liegt im Herzen Deutschlands, und nicht nur geographisch. Das Lager Friedland ist seit 60 Jahren ein Symbol für die besten Eigenschaften unseres Landes: für Freiheit, für Mitmenschlichkeit und für Friedensliebe ... "Skoro domoj" - "bald nach Hause" - darauf haben Millionen sowjetische Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft gehofft und Millionen Landser in sowjetischen Lagern. Aber mehr als drei Millionen Rotarmisten sind in deutscher Gefangenschaft gestorben oder gar ermordet worden, und mehr als eine Million deutsche Soldaten sind in sowjetischer Gefangenschaft umgekommen. Die Zahlen lassen sich nennen, aber das Ausmaß der Leiden, für das sie stehen, das übersteigt jede Vorstellungskraft.

Kriegsgefangenschaft war überall ein hartes Los, und in vielen Staaten sind Gefangene schlecht behandelt worden bis hin zum Tode. Aber am schwersten waren nach dem Krieg die Bedingungen in der Sowjetunion - auch deshalb, weil dieses Land ja selber verheert war und in den ersten Nachkriegsjahren kaum für die eigene Bevölkerung sorgen konnte ... Skoro domoj - mit den Jahren wurde das Gefangenendasein ein wenig leichter. Die erste Postkarte nach Hause - nicht mehr als 25 Worte! -, die erste Postkarte aus der Heimat, dann sogar Pakete, Fotos, die staunend herumgezeigt werden - "So groß sind meine Kinder schon?"

Es gab auch schwere Rückschläge: Zehntausende Kriegs-gefangene wurden von den Sowjets zu hohen Haftstrafen verurteilt: fast immer willkürlich und meist wegen geringfügiger Vergehen oder komplett erfundener Anschuldigungen. Gab es da überhaupt noch Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat? ...

Zu der Erfolgsgeschichte unseres Landes gehört seit nun sechs Jahrzehnten auch das Lager Friedland. Es war für Millionen Menschen das Tor zur Freiheit - für die deutschen Gefangenen, Vertriebenen und Flüchtlinge ebenso wie für viele Menschen aus anderen Nationen. Sie alle fanden in Friedland Obdach und Hilfe, und das oft zum ersten Mal nach langer Not ... Friedland ist zu einem Symbol der Freiheit geworden, der glücklichen Wiederkehr und der Hoffnung - nicht zuletzt der Hoffnung, daß die Menschen aus der Vergangenheit lernen. Beherzigen wir also auch weiterhin die Botschaft, die die Heimkehrer aus der Gefangenschaft an der Friedland-Gedächtnisstätte angebracht haben: "Völker entsaget dem Haß - Versöhnt euch, dienet dem Frieden - Baut Brücken zueinander!"

Ministerpräsident Wulff schloß den Festakt mit folgenden Worten (Auszüge seiner Rede):

"Es gibt nur wenige Ereignisse, die sich so tief in die Seelen der Menschen eingegraben haben, wie diese Ereignisse vor 50 Jahren hier in Friedland.

Friedland war bis Mitte der 50er Jahre vor allem für diejenigen Menschen Ort der Hoffnung, die warteten. Mütter erhofften die Rückkehr der Söhne, Frauen die Rückkehr oder Hinweise auf das Schicksal ihrer Männer, Kinder ihre Väter. Wer kennt sie nicht, die Bilder wartender Frauen mit Plakaten, Kinder und Greise bei der Ankunft der Züge aus dem Osten? Tränen der Freude, aber auch der Enttäuschung.

Die Ankömmlinge wurden nach Hinweisen befragt, nach dem Verbleib der geliebten Angehörigen. Diese Bilder bewegen uns noch heute. Tief eingegraben haben sie sich bei denen, die diese Zeiten miterlebt haben.

In Friedland vereinen sich Freiheit, Hoffnung, Zuversicht und wahrlich gelebte Nächstenliebe.

Und noch etwas ist es, was hier spürbar wird: Tiefe Dankbarkeit!"

Fotos: 

Voller Unglaube: Ein elfjähriges Mädchen sieht erstmals seinen heimgekehrten Vater

Im Gespräch: Bundespräsident Köhler mit Spätheimkehrer Will Seelmann-Eggebert


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