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22.10.05 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 22. Oktober 2005

Der Charme des alten Rom / Die Deutschen sind auf alles gefaßt - nur nicht auf einen guten Ausgang dieser Koalition
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Neue Regierungen seien am Anfang immer etwas chaotisch, beruhigen uns alte Kenner der Szene. Es sei völlig normal, daß erst einmal viele durcheinander reden, bis sich alles einrenkt. Oder auch nicht einrenkt, wie uns die Schröderzeit gelehrt hat: Da ging es - von wenigen, kurzen Pausen abgesehen - immer munter weiter mit dem Zirkus, als würde seine Regierung nie erwachsen.

Gut schröderianisch gab sich der designierte Finanzminister Peer Steinbrück mit seinem Überraschungsvorschlag, die Autobahnen an Private zu versilbern. Zwischen 100 und 213 Milliarden seien die auf dem Markt wert, wollen Experten ausgerechnet haben. Gekostet haben sie ein Vielfaches. Aber was soll's: Seit Steinbrück seinem Vorgänger Eichel offenbar in die Bücher geschaut hat, weiß er nur noch eins: Geld muß her, egal wie.

Und was sollen die privaten Investoren mit den 13000 Kilometern Asphalt anfangen? Die wollen damit doch Geld verdienen! Und wie? Daß er mit dem Privatisierungsvorschlag gleichzeitig eine Pkw-Maut gefordert habe, weißt Steinbrück als "frei erfunden" zurück. Wir suchen also milliardenschwere Konsortien, die bereit sind, ihre Taschen zu leeren für Straßen, die alle Personenkraftfahrer weiterhin umsonst benutzen dürfen. Da hakt die Phantasie, obwohl nach sieben Schröderjahren gewaltig weiterentwickelt, dann doch aus.

Die "Lausitzer Rundschau" hat einen Weg gefunden, das Steinbrücksche Mysterium zu lüften. Wir sollten mal in den früheren Haushalten des von ihm bis Mai regierten Nordrhein-Wetsfalen blättern, um die "politische Akrobatik" des neuen Finanzmannes zu studieren. Wer nach der Lektüre von Horrorgeschichten schlecht schläft, sollte diesem Rat lieber nicht folgen. Der NRW-Haushalt ist nur etwas für starke Nerven, denen die Atmosphäre von Abgrund und Katastrophe nichts anhaben kann.

Damit bleibt die Frage offen: Wie macht man ohne Maut Geld mit einer Autobahn? Vielleicht könnte Berlin die Raststättenbesitzer enteignen und die Läden an die neuen Autobahnbetreiber verschenken? Reicht nicht: Von den Einnahmen aus Würstchenverkauf und Klo-Groschen kann man nicht einmal einfache Fahrbahnreparaturen finanzieren, sondern höchstens in zehn, zwanzig Jahren die Schilder mit der Aufschrift "Vorsicht Straßenschäden, 40 km/h" bezahlen. Schneller könnte über die Löcherpisten ohnehin keiner mehr fahren, wenn die neuen Eigentümer kein Geld mehr aufbringen für Instandsetzung. Das erinnert an die damals halbfertige Autobahn Dresden-Görtlitz zu DDR-Zeiten. Auch dort galt offiziell Tempo 40. Die Geräusche, die von unten in die Kabine drangen, bewegten jeden Fahrer allerdings dazu, sich alles oberhalb von Schrittgewindigkeit aus dem Kopf zu schlagen.

Kurzum: Der Vorschlag mit dem Autobahnverkauf war wohl nur "so eine Idee" von der Art, wie wir sie von der abgetretenen Regierung kennen. Solche Ideen sprießen derzeit in verwirrender Vielfalt. So kommt es, daß der künftige Wirtschaftsminister Stoiber in einer Sonntagszeitung Steuersenkungen im Energiebereich fordert, welche sein Finanzkollege Steinbrück in dem selben Blatt nur eine Seite weiter kategorisch ausschließt.

Die designierte Kanzlerin ringt um ihre Autorität. Sie hatte sich kurzfristig eingebildet, das Sagen zu haben, und wollte Michael Glos von der CSU an dessen Parteichef vorbei ins Verteidigungsministerium lotsen. Stoiber konnte das gerade noch vereiteln. Seehofer müsse nach Berlin, sonst brauche er selbst gar nicht hinzugehen, soll er gepoltert haben. Das war mißverständlich. In Wahrheit fürchtete Stoiber, daß er irgendwann in Hof aus dem Zug geholt und nicht mehr nach Bayern hineingelassen wird, wenn er den Seehofer unkontrolliert dort zurückläßt. Seehofer war zu gefährlich, deshalb mußte er mit an die Spree, wo Stoiber ihn beaufsichtigen kann. Daß sich Merkel und Seehofer nicht riechen können, kommt dem scheidenden bayerische Ministerpräsident gewiß nicht ungelegen.

So wurde in den letzten Stunden vor der Verkündung der Unionsminister noch einmal neu gemischt, wobei als neuer Verteidigungsminister der Hesse Franz Josef Jung auftauchte. Vom Militär versteht er genausoviel wie seine Vorgänger bei deren Amtsantritt: Er hat, abgesehen vom Wehrdienst 1968/69, von dem Thema in der Zeitung gelesen. Von daher weiß er, daß jene, welche die Vorschriften für die Bundeswehr erlassen, vom Soldatenalltag auch keine Ahnung haben, und erkannte: Mit denen werde ich gut zurechtkommen.

Über jene "Fachleute in den Schreibstuben" machte sich diese Woche der "Focus" her. Dabei erfuhr der Leser, mit welchen Fährnissen sich die über die Welt verstreuten Verbände herumschlagen müssen. Nein, es ist nicht die Rede von Selbstmordattentätern, Buschräubern oder wenigstens Heimweh. Kommandeure im Auslandseinsatz haben sich erneut darüber beschwert, daß die heimischen "Fachleute" von ihnen verlangen, auch im Kosovo, am Hindukusch oder sonstwo die deutschen Vorschriften zur Mülltrennung, Anmeldung von Gefahrguttransporten, Betongüteüberwachung und gar zur Abgasuntersuchung einzuhalten. Wenn die vorschriftsmäßige, ökologische Entsorgung von Müll am Ort überhaupt nicht möglich sei, müsse er sogar nach Deutschland zurücktransportiert werden, heißt es.

Da werde halt nach den Richtlinien entschieden, soll ein General die Hengstparade der Amtsschimmel verteidigt haben. Eine Vorschrift zum Arbeitsschutz sieht vor, daß technisches Bodenpersonal auf Flugplätzen "warnfähige" Jacken trägt mit Leuchtschrift und Reflektoren. Dergestalt aufgebrezelt leuchten die Männer heller als ein Garde-Kürassier im goldenem Brustpanzer - damit sie sie besser sehen können, die Piloten in den Flugzeugen, die Lotsen im Turm und die Taliban im Gebirge gegenüber. Vorgesetzte am Einsatzort dürfen zwar von den Vorgaben abweichen. Dann tragen sie aber die Verantwortung für den Regelverstoß und müssen sich rechtfertigen, wenn etwas schiefgeht. Die "Fachleute" sind in jedem Falle fein raus. Für die Umsetzbarkeit ihrer Vorgaben ist offensichtlich niemand verantwortlich.

Den scheidenden Verteidigungsminister Peter Struck haben diese Dinge nicht interessiert. Seinem Nachfolger Jung gab er die stolzen Worte mit auf den Weg: "Er muß so gut sein wie ich." Hoffentlich muß die Truppe nicht fürchten, er könnte sogar noch "besser" werden.

Die Deutschen sind derweil auf alles gefaßt - nur nicht auf einen guten Ausgang dieser Koalition. Die Debatten im Volk atmen den Charme des alten Rom. In der dekadenten Metrope des untergegangenen Imperiums wurden öffentlich Ehen geschlossen mit dem verkündeten Vorsatz, den Partner bei nächster Gelegenheit um die Ecke zu bringen und zu beerben. Der interessierte Pöbel schloß daraufhin Wetten ab, wer das tödliche Rennen macht.

Mit ähnlicher Aufmerksamkeit wird nun in Deutschland darüber spekuliert, wer als "Sieger" aus dem "Koalition" getauften Kampf zwischen Merkel, Müntefering und Stoiber hervorgehen dürfte und wann es wohl knallt - in einem Jahr? Oder erst in zweien? An vier glaubt so gut wie keiner.

Dem ersten Anschein nach hat Merkel die schlechtesten Chancen; sie wirkt wie eingekeilt zwischen den beiden Männern. Die Behutsameren warnen indes davor, die CDU-Chefin zu unterschätzen. Ihre Sache sei es nicht, sofort und heftig dazwischenzuschlagen. Sie warte lieber leise ab, bis die Lage günstig scheint.

Die Frau ist aus diesem Grunde vielen nicht geheuer. US-Präsident Bush hat - wer hätte das gedacht - seinen Widersacher Schröder zum Abschied öffentlich gelobt und ankündigt, er wolle mit ihm "in Kontakt bleiben". Über wen möchte der Herr im Weißen Haus den künftigen deutschen Altkanzler wohl ausfragen?

 In der Kabinettsküche Zeichnung: Götz Wiedenroth


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