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29.10.05 / Ein in Ausnahmetalent tritt ab / Jörg Schönbohm will sich 2007 nicht mehr in Brandenburg zur Wahl stellen / Annegret Kühnel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Oktober 2005

Ein in Ausnahmetalent tritt ab
Jörg Schönbohm will sich 2007 nicht mehr in Brandenburg zur Wahl stellen
Annegret Kühnel

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm hat angekündigt, 2007 nicht mehr für den CDU-Landesvorsitz zu kandidieren. Sein Ministeramt will er bis zu den Landtagswahlen 2009 behalten. Umstände und Zeitpunkt seiner Entscheidung tragen die Zeichen von Resignation. Der 68jährige gab sie bekannt, unmittelbar nachdem der hessische CDU-Politiker Franz-Josef Jung zum designierten Verteidigungsminister berufen worden war. Schönbohm hatte sich Hoffnungen auf das Amt gemacht. Laufbahn, Format und Erfahrung hätten ihn dazu befähigt wie keinen anderen. Zugleich hätte er der brandenburgischen Landespolitik ohne Gesichtsverlust den Rücken kehren können. Schönbohm scheiterte, wie so oft, an ungeschriebenen Regeln des Politikgeschäfts, diesmal am Regionalproporz.

Seit den letzten Landtags- und Bundestagswahlen, bei denen die Union auf Ergebnisse um die 20 Prozent kam, hatte es in der Partei offene Kritik an ihm gegeben. Von einer Demoralisierung der Parteibasis war die Rede. Schönbohm sei es nicht gelungen, in Brandenburg als politischer Sympathieträger populär zu werden. Das spricht nicht automatisch gegen ihn. Für einen Politiker agierte er einfach zu geradlinig und unabhängig.

Schönbohm wurde 1937 in Neu Golm in der Mark Brandenburg geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen seine Eltern nach Westdeutschland. Zunächst wollte er Lehrer für Philosophie und Geschichte werden, schlug dann aber die Offizierslaufbahn ein. Sie begann in einem Artillerieregiment. Nach seiner Generalstabsausbildung wechselte er zwischen Truppenkommandos und Stabsverwendungen. So wurde er Adjutant von Verteidigungsminister Manfred Wörner und schließlich Inspekteur des Heeres. Schönbohm verbindet analytische Fähigkeiten mit praktischen Interessen und innerer Unabhängigkeit. In der Wiedervereinigungsphase war der Generalleutnant Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost. In dieser Funktion integrierte Schönbohm mit viel Feingefühl einen Teil des verbliebenen NVA-Personals in die Bundeswehr. Er hatte die Devise ausgegeben: "Deutsche kommen zu Deutschen."

Als einer von zwei Generalen in der Geschichte wurde er beamteter Staatssekretär auf der Hardthöhe, ehe er in die Politik wechselte. 1996 wurde der CDU-Politiker Schönbohm Innensenator in Berlin. Er machte sich schnell einen Namen, indem er klarstellte, daß es für keinen Schimpf, sondern Ehre bedeutete, als Mann von Gesetz und Ordnung ("law and order") zu gelten. Bald war er als Nachfolger des blassen Eberhard Diepgen im Amt des Regierenden Bürgermeisters im Gespräch. Damit brachte er die "Betonfraktion" gegen sich auf, die die Berliner CDU seit den 60er Jahren fest im Griff hatte. Schönbohm, der heute in Klein Machnow wohnt, ging 1998 nach Brandenburg, um den desolaten Landesverband der CDU aufzurichten. Seit 1999 ist er Innenminister einer großen Koalition. Auch von Potsdam aus hat er sich immer wieder zu politischen Grundsatzfragen geäußert.

Obwohl er und sein Bruder Wulf Schönbohm, der in den 80er Jahren in der CDU-Zentrale zu Heiner Geißlers "Denkfabrik" gehörte, der gleichen Partei angehören, vertreten beide oft gegensätzliche Ansichten: Während Wulf Schönbohm als Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Türkei sich zum Beispiel vehement für den Beitritt des Landes zur EU einsetzte, bezeichnete sein Bruder Jörg in einem aufsehenerregenden Artikel in der "Berliner Zeitung" die Multikulti-Ideologie als das letzte Gefecht der abgewirtschafteten Linken.

Beruflich mußte Schönbohm sich nichts mehr beweisen, und materiell ausgesorgt hat er längst. Wenn er trotzdem über die Pensionsgrenze hinaus politische Ämter wahrnimmt, dann aus Pflichtgefühl und aus Freude an politischer Gestaltung. Als Innenminister eines großen Flächenlandes, dem nur geringe Mittel zur Verfügung stehen, ist er mit gräßlichen Auswüchsen von Gewaltkriminalität konfrontiert. Die Ursachen sieht er in einer tiefgehenden sozialen Verwahrlosung. Als er dafür eine von der SED herbeigeführte "Proletarisierung" verantwortlich machte, verletzte er eines der größten Tabus im wiedervereinigten Deutschland. Es ist eine bemerkenswerte Konstellation: Während das linke Spektrum die Rettung in immer neuen staatlichen Sozial- und Erziehungsprogrammen erblickt - auch zur Versorgung der eigenen Klientel -, glaubt Schönbohm, der konservative Preuße, nicht an die Allmacht des Staates, sondern fragt nach gesellschaftlicher und individueller Verantwortung und nach einem tragfähigen Wertefundament.

Der CDU-Kreisvorsitzende von Märkisch-Oderland, der Schönbohm-Kritiker Dierk Homeyer, meinte nach der Bundestagswahl: "Die CDU muß einfach sympathischer werden. Da haben wir große Defizite. Wir müssen Politik mit den Menschen machen. Jeder Versuch, sie zu erziehen, fährt gegen die Wand." Daß Politiker wie Schönbohm im politischen Alltag kaum Chancen haben, ist eines der größten Probleme dieses Landes.


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