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29.10.05 / Revolte der Wirklichkeit / Lech Kaczynski wird neuer Präsident Polens: Sorgen der Nachbarn scheinen übertrieben

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Oktober 2005

Revolte der Wirklichkeit
Lech Kaczynski wird neuer Präsident Polens: Sorgen der Nachbarn scheinen übertrieben
von Stephan Raabe

Lech Kaczynski von der national-konservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) hat die Stichwahl zum Amt des Präsidenten der Republik Polen klar gewonnen. Laut amtlichem Endergebnis liegt er mit 54,04 Prozent deutlich vor seinem Konkurrenten Donald Tusk von der liberal-konservativen "Bürgerplattform" (PO) mit 45,96 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 50,99 Prozent, das ist deutlich schlechter als bei den vergangenen Präsidentenwahlen (2000: 61,12 ; 1995: 68,33), als sich Kontrahenten aus verschiedenen politischen Lagern gegenüberstanden. Die erste Runde der Präsidentschaftswahl vor zwei Wochen hatte Tusk mit 36,3 Prozent noch vor Kaczynski mit 33,1 Prozent gewonnen.

Mit den Ämtern des Staatspräsidenten und Ministerpräsidenten sind die entscheidenden politischen Schaltstellen nun in der Hand der PiS, die allerdings für die Regierung auf eine Koalition angewiesen ist, die sie mit der PO bilden will. Kaczynski betonte am Wahlabend die Notwenigkeit der Abrechnung mit der Vergangenheit auf der einen Seite und die Einigkeit der Nation auf der anderen Seite. Er wolle gute außenpolitische Beziehungen pflegen, aber gleichzeitig die polnischen Interessen "verteidigen".

Seine ersten Auslandreisen plant er in die USA und zum Vatikan. Der Amtsantritt ist für den 23. Dezember vorgesehen.

Wie schon bei den Parlamentswahlen vor fünf Wochen haben die Meinungsumfragen, die fast bis zuletzt Tusk vorne gesehen hatten, getrogen. In einer Revolte der Wirklichkeit haben die Wähler die Umfrageergebnisse erneut ad absurdum geführt. Kaczynski hat sich mit Unterstützung einer Phalanx des rechten politischen Spektrums - der Parteien Selbstverteidigung, Liga der Katholischen Familien, Volkspartei, des nationalkatholischen Rundfunksenders "Radio Maria", der Gewerkschaft Solidarnosc - mit seinem sozial-etatistischen, konservativ-nationalen Programm einer Vierten Republik durchgesetzt.

In Deutschland muß man jetzt etwas weniger polemisch die politische Realität in Polen zur Kenntnis nehmen. Wenn noch am Freitag im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen" davon zu lesen war, das Land scheine "wie gelähmt in der Angst vor den Brüdern Kaczynski", dann zeugt dies von einer sehr einseitigen Wahrnehmung des Landes und einer Dämonisierung der Kaczynski-Brüder. Eine Mehrheit hat sich in Polen in demokratischen Wahlen für eine politische Führung durch die Brüder ausgesprochen, allen Unkenrufen im In- und Ausland zum Trotz. Die polemische Qualifizierung der Kaczynskis und ihrer Partei als Populisten in den deutschen Medien ist wenig sachgerecht: Die PiS ist eine national-konservative zum Teil etatistisch-sozial zum Teil regelrecht wirtschaftsliberal ausgerichtete Partei, betrachtet man ihr Steuerkonzept, das im wesentlichen einen Satz von 18 Prozent vorsieht.

Wenn sie zum Beispiel in den ARD-"Tagesthemen" als "antideutsch und stark nationalistisch" bezeichnet wird, steht das vor allen Dingen mit zwei Punkten in Zusammenhang: Zum einen hat Lech Kaczynski als Oberbürgermeister von Warschau als Antwort auf Restitutionsforderungen von einer kleinen Minderheit von deutschen Vertriebenen und mit Blick auf das geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin die Frage von Kriegsreparationen Deutschlands an Polen wieder aufgeworfen; zum anderen hat er im gleichen Kontext die Schäden der fast völligen Zerstörung Warschaus im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Truppen als Beispiel für das von Polen erlittene Schicksal berechnen lassen und will dies Deutschland notfalls auch in Rechnung stellen. In diesen Fragen ist die Tonart aus den Reihen der PiS schärfer als etwa bei der PO. Bei alldem sollte man jedoch nicht übersehen, daß es in der Ablehnung jeglicher deutscher Besitzansprüche wie auch gegenüber dem Projekt "Zentrum gegen Vertreibungen" in Polen einen parteiübergreifenden Konsens gibt. Das betrifft im Hinblick auf eine Koalition von PiS und PO im übrigen auch die Kritik an der geplanten russisch-deutschen Gasleitung durch die Ostsee, die Skepsis gegenüber einer zu starken französisch-deutschen Dominanz in der EU und die angestrebte deutlichere Akzentuierung polnischer Interessen. Was die nationale polnische Interessenvertretung angeht, scheint man in Deutschland mit einem anderen Maß als etwa gegenüber England und Frankreich zu messen, die gemeinhin nicht zimperlich in der Durchsetzung ihrer Ansprüche auf dem europäischen Parkett sind.

Festzustellen ist allerdings, daß Deutschland und Europa sich mit Polen unter der Führung der PiS auf einen kritischeren Partner einstellen müssen, der nicht einfach im Umgang sein wird. Auch für die deutsche Volksgruppe in Polen ist eher mit einem etwas schärferen Gegenwind zu rechnen.

In einigen strategischen Fragen der Außenpolitik wie der transatlantischen Partnerschaft und der Ostpolitik gibt es jedoch gute Anknüpfungspunkte, ebenso auf dem Feld der innenpolitischen Reformen. Die Brüder Kaczynski stehen nun in der Pflicht, die ihnen übertragene Verantwortung wahrzunehmen. Da werden sie von manchem Wahlkampfgetöse, das das Auftreten in der Vergangenheit geprägt hat, Abschied nehmen.

Wahlsieger: Lech Kaczynski beruhigt seine begeisterten Anhänger Foto: AP


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