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29.10.05 / Niedergang einer Filmlegende / Filmstudios Babelsberg: Wie Europas Hollywood zum Dienstleister abstieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Oktober 2005

Niedergang einer Filmlegende
Filmstudios Babelsberg: Wie Europas Hollywood zum Dienstleister abstieg
von Frank Sauerland

Sechs Monate ist die neu aufgestellte Studio Babelsberg Aktiengesellschaft alt, schon möchte sie frisches Geld haben. Deutschlands Filmproduktionsgesellschaft mit der großen Vergangenheit gab jetzt bekannt, daß sie ihr Kapital erhöhen will durch die Ausgabe weiterer Aktien. Unternehmenssprecherin Michaela Niemeyer erklärte gegenüber der Preußischen Allgemeinen Zeitung: "Wir hoffen, dadurch 4,5 Millionen Euro neues Kapital zu erhalten." Organisiert wird die Kapitalerhöhung von der Weserbank aus Bremerhaven.

Erst in der Woche zuvor hat die Studio Babelsberg AG die filmtechnischen Dienstleistungen der Firma Taurus Media Technik übernommen. Taurus Media Technik gehörte zur insolventen Gruppe des Medienunternehmers Leo Kirch.

Mit einem Fehlbetrag von 2,5 Millionen Euro im Jahr 2005 für Studio Babelsberg rechnete deren Geschäftsführer Dr. Carl Woebcken zunächst. Im Mai äußerte er sich optimistischer: "Wenn es weiter läuft wie bisher, wird das Minus bei nur 1,8 Millionen Euro liegen." Nun hofft Sprecherin Niemeyer sogar, daß Studio Babelsberg Ende des Jahres knapp die Gewinnzone erreicht.

Niemeyer: "Filmunternehmen aus aller Welt stellt Studio Babelsberg seine Ateliers zur Verfügung." Buchen können Produzenten bei Studio Babelsberg auch Berliner Drehorte (neudeutsch "Location Scouting"), Kostüme, Filmcrew, Kopierwerk und Endfertigung mit Schnitt und Tonmischung.

Ein umfassendes Service-Paket. Doch: "Studio Babelsberg produziert selbst keine Filme mehr", so Niemeyer. "Wir sind Dienstleister für andere."

Und wir sind Zeugen des Niedergangs einer Filmlegende. Zuletzt versuchte der deutsche Filmemacher Volker Schlöndorff, Babelsberg zu alter Größe zurück-zuführen. Schlöndorff war von 1992 bis 1997 Geschäftsführer der Studio Babelsberg GmbH, wechselte dann in den Vorstand. Der Mischkonzern Vivendi kaufte das Filmunternehmen, wollte Babelsberg als Produzenten großer Filme etablieren - und erlitt Schiffbruch:

"Das brachte keinen Gewinn", urteilt Niemeyer. Vivendi verkaufte an die Filmbetriebe Berlin Brandenburg GmbH, an denen unter anderem der heutige Babelsberg-Geschäftsführer Woebcken beteiligt ist.

Der Aufstieg von Babelsberg ist mindestens so atemberaubend wie der Niedergang. 1912 zieht der Kameramann und Erfinder Guido Seeber mit seiner Bioscop-Filmgesellschaft aus einem Berliner Dachatelier nach Babelsberg. Für die erfolgreichen Produktionen mit der dänischen Schauspielerin Asta Nielsen wird auf dem Babelsberger Gelände ein Atelierhaus aus Glas gebaut. Am 18. Dezember 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, gründen deutsche Produzenten auf Initiative von General Erich Ludendorff die Universum Film AG (UFA) mit einem Startkapital von acht Millionen Mark. UFA und Bioscop fusionieren vier Jahre später, und die UFA macht Babelsberg zum Zentrum der deutschen Filmindustrie.

Meisterwerke entstehen: "Die Nibelungen" (1922/24, Fritz Lang), "Faust" (1926, Friedrich Wilhelm Murnau). 1926 wird für Fritz Langs Großfilmproduktion "Metropolis" das inzwischen "Marlene Dietrich Halle" genannte Großatelier hochgezogen. 1929 folgt das erste deutsche Tonfilmatelier, "Tonkreuz" genannt wegen seiner gekreuzten Bauform: "Melodie des Herzens" mit Willy Fritsch entsteht dort, der erste deutsche komplett vertonte Spielfilm.

Der deutsche Film aus Babelsberg erreicht Weltgeltung, konkurriert mit Hollywood. Und dorthin gehen auch die Stars: Marlene Dietrich einen Tag nach der Premiere ihres Welterfolgs "Der blaue Engel" am 2. April 1930. Der UFA-Produzent Erich Pommer und Regisseure wie Lang, Lubitsch, Siodmak, Wilder, Zinnemann verlassen Deutschland, das auf dem Weg ins Dritte Reich ist, und machen Hollywood endgültig zum strahlenden Fixstern am Kintopp-Himmel.

In Deutschland selbst wird der Abstieg Babelsbergs kaum bemerkt. Propagandaminister Joseph Goebbels arisiert und verstaatlicht die Filmindustrie. Der Produktionsmotor dreht hochtourig im kulturellen Leerlauf. Tausend Filme spucken die Babelsberger Hallen aus während des Tausendjährigen Reiches, das von 1933 bis 1945 dauert: Lustspiele, Durchhaltefilme. Mit der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 wird das Babelsberger Vermögen von den Sowjets beschlagnahmt und bis 1953 zwangsverwaltet. Babelsberg liegt nun in der DDR, die frisch gegründete Defa macht hier die Filme. Nach der Wiedervereinigung 1990 ersteht Studio Babelsberg neu; Weltgeltung wird es wohl nie mehr beanspruchen können: Heute werden auf dem Gelände im Auftrag von Fernsehsendern Telenovelas wie "Bianca" und "Julia" am Fließband gedreht.

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Für November hat sich Hollywood-Regisseur Paul Verhoeven angesagt. Er will in den Berliner Studios einige Aufnahmen seines Weltkriegs-Thrillers "Black Book" drehen. Hollywood besucht Babelsberg, wenigstens für einige Drehtage.

Frank Sauerland , Journalist, veröffentlichte das Buch "Hollywood für Sparfüchse" im UVK-Verlag, Konstanz.


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