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29.10.05 / Sie hatten beide gebaut / Unterhaltsam-nachdenkliches von einer Rast an der Autobahn

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Oktober 2005

Sie hatten beide gebaut
Unterhaltsam-nachdenkliches von einer Rast an der Autobahn
von Willi Wegner

Während einer Rast am Rande der Autobahn kamen dieser Tage zwei Männer ins Gespräch. Ein älterer und ein jüngerer. Sie sahen beide nicht sehr glücklich aus - und wahrscheinlich war es das, was sie einander näherbrachte. "Stimmt etwas nicht mit Ihrem Wagen?" fragte der ältere der Männer. "Dank der Nachfrage, nein - alles in Ordnung", sagte der jüngere. "Oder macht Ihnen das Wetter zu schaffen?" "Nein. Aber, wissen Sie, ich habe gebaut. Das heißt, ich baue noch!" "Und?" "Ich baue schon seit drei Jahren", sagte der jüngere Mann. "Ein Haus. Ein Eigenheim. Aber es wird und wird nicht fertig. Die Preise, verstehen Sie? Sie laufen einem glatt davon... Da haben Sie den guten Willen, etwas Bleibendes zu schaffen, aber man bittet Sie immer wieder zur Kasse, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, mein Herr: Bauen Sie nie!!" "Ihr Rat kommt leider zu spät", erwiderte der ältere Mann resigniert. "Sie bauen ebenfalls?" "Ich habe gebaut! Aber das ist schon lange her. Sehr lange. Inzwischen sind schon allerlei Reparaturen und Ausbesserungen angefallen... Ach, sind Sie mal so nett und helfen Sie mir, den Wasserkanister aus dem Wagen zu heben? Mein Kreuz will nicht mehr so recht."

Gemeinsam hoben die beiden Männer den Wasserkanister aus dem Kofferraum des Wagens. "Und wohin damit?" fragte der jüngere Mann. "Dort an den Rand der Schonung", sagte der ältere Mann, "gleich neben die große Birke." Zu zweit machten sich die Männer auf den Weg. "Sie stammen nicht aus dieser Gegend," fragte der jüngere Mann, "wie ich an Ihrem Nummernschild erkennen konnte?" "Nein", erwiderte der ältere Mann. "Seit ich das letzte Mal hier war, sind viele Jahre vergangen. Sehr viele Jahre." "Was haben Sie denn für ein Haus gebaut?" fragte der jüngere Mann mit neu erwachtem Interesse. "Überhaupt kein Haus!" "Sondern?" "Schon mal was von RAD gehört?" "Natürlich! Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschland. ARD. Fernsehen, 1. Programm..." "Nein, mein lieber junger Freund", erwiderte der ältere Mann, "das meine ich nicht." "Sondern?" "Nicht ARD, sondern RAD. Was ich meine, war der sogenannte Reichsarbeitsdienst, der RAD. Für den habe ich gebaut. Zwölf Monate lang. Vor vielen, vielen Jahren. Und zwar hier, genau hier, an diesem Streckenabschnitt. Als ich nun vor einigen Tagen in der Zeitung las, daß man vielleicht von uns ohnehin schon benzinpreiserhöhungsgeplagten Pkw-Fahrern eine Straßenbenutzungsgebühr erheben will, da hat es mich einfach mal wieder hergetrieben..."

Die beiden Männer hatten inzwischen den Rand der Schonung erreicht. "... und nun habe ich vorhin an dieser Stelle einen kleinen Ableger gesetzt", fuhr der ältere Mann traurig fort. "Hoffentlich geht er an. Schade, daß hier kein Bach vorbeifließt, das wäre ideal. Aber vielleicht genügt es, daß er jetzt erst einmal gut gegossen wird." Er öffnete den Kanister. Der jüngere Mann meinte: "Sie könnten öfter herkommen und gießen." "Ja, aber das kostet Benzin, und Benzin wird ja immer teurer!" Er überlegte, der ältere Mann, und er sah nun noch älter aus. "Aber Sie haben recht", sagte er, " ich werde öfter herkommen, auch wenn die Benzinpreise weiter steigen. Dann essen wir eben weniger. Hauptsache, es wird hier immer schön nachgegossen."

Der junge Mann betrachtete das grüne Etwas neben dem Stamm der Birke und fragte: "Was soll denn das überhaupt werden? Auch eine Birke?" "Nein", antwortete der alte Mann. "Eine Trauerweide!"


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