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05.11.05 / Macht EU Pause vom Denken?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. November 2005

Gedanken zur Zeit:
Macht EU Pause vom Denken?
von Wilfried Böhm

Es waren Zeichen einer Götterdämmerung der Europäischen Union (EU), die vom informellen Gipfel ihrer Staats- und Regierungschefs ausgingen. Die bösen Omina kamen stilgerecht aus dem eng mit der britischen Geschichte und dem seiner Royals verbundenen Gespensterschloß Hampton Court vor den Toren Londons, in das der britische Premier Tony Blair eingeladen hatte.

Dieser hatte sich eine gemütliche Gesprächsrunde vor dem Kamin des Schlosses vorgestellt, dort, wo sich vor mehr als 500 Jahren Heinrich VIII. von und mit seinen Ehefrauen entspannte. In dieser Atmosphäre gedieh denn auch britische Außenpolitik: Schon 1524 wurde hier ein Vertrag zwischen England und Frankreich geschlossen, der später Anlaß zu mannigfaltigen Festivitäten bot, obwohl immer wieder in den Gemächern des Schlosses mehrere Gespenster ihr Unwesen zu treiben geruhten.

Doch dieses Mal trafen sich die Repräsentanten der europäischen Politik nur für ganze acht Stunden und eher im Stile eines Herrenclubs. Zwanglos plauderte man über "die Herausforderung der Globalisierung" und "das europäische Sozialmodell"; eine konkrete Tagesordnung gab es nicht. Hätte es sie gegeben, so die dänische Zeitung "Politiken", wäre die Gipfelkonferenz "vermutlich zu einem Fehlschlag geworden". Drohte doch zum Beispiel Frankreichs Präsident Chirac mit seinem Veto, wenn bei der Festlegung der EU-Verhandlungslinie für die bevorstehende Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation die rund zehn Milliarden Euro gefährdet würden, die Frankreichs Landwirte zum großen Nutznießer der EU machen.

So war Hampton Court Ausdruck der tiefen Ratlosigkeit, von der die europäische Politik nach dem Fiasko des "Neins" der Franzosen und der Niederländer zum sogenannten europäischen "Verfassungsvertrag" befallen ist. In dieser miesen Lage wurde das riesige Gartenlabyrinth am europäischen Geisterschloß Hampton Court gewissermaßen zum Symbol für die Brüsseler Umverteilungsmaschinerie, zu der die EU mehr und mehr verkommen ist. Dazu paßt, daß Kommissionspräsident Barroso plant, einen neuen Milliardenfonds gegen die negativen Folgen der Globalisierung einzurichten. Die Auseinandersetzungen darüber dürften dazu angetan sein, die EU weiter zu paralysieren.

Kein Wunder, daß nach dieser Konferenz nahezu alle, die sich dazu äußerten, von einer "tiefen Krise der Europäischen Union" sprachen. Einhellig war die Meinung, daß die Mitgliedsstaaten noch nie zerstrittener waren als gegenwärtig.

EU-Kommissar Günter Verheugen, in Brüssel verantwortlich für Unternehmen und Industrie, hatte wie immer seine Nase im Wind. Hatte er doch gerade ein Buch unter dem Titel "Europa in der Krise" geschrieben. Er zeigte pflichtgemäß in mehreren Interviews seine Verbitterung über den Gipfel: "Europa steckt in einer tiefen Vertrauenskrise" und "der Gipfel hat gezeigt, daß die EU in wichtigen Punkten nicht handlungsfähig ist". Altaußenminister Hans Dietrich Genscher (FDP) machte seinem Altparteifreund Verheugen, der erst später zur SPD entfleuchte, die Freude, dessen Buch zu loben. Dabei formulierte er staatsmännisch, "daß die Krise der EU als Chance für eine Denkpause" genutzt werden müßte.

Wenn diese Denkpause als Pause zum Denken und nicht als Pause vom Denken genutzt wird, müßte sich die EU mit den Zahlen beschäftigen, die der britische Europaminister Douglas Alexander jüngst auf den Tisch gelegt hat: In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Produktionslücke zwischen Amerikanern und Europäern von drei auf zehn Prozent erweitert. "Wenn die EU ein amerikanischer Bundesstaat wäre, würde sie neben Alabama auf Platz 46 rangieren. 20 Millionen der insgesamt 450 Millionen Europäer seien arbeitslos, fast ein Fünftel davon junge Leute. Wenn sich die Bevölkerungsentwicklung fortsetzt, wird es 2050 doppelt soviel Amerikaner wie Europäer geben." Es wird also höchste Zeit, daß sich Europa vom Umverteilungswahn der Brüsseler Bürokratie trennt und sich zum ökonomischen Wettbewerb seiner demokratischen Nationalstaaten unter- und miteinander entschließt.

Die finanziellen Nettoleistungen an die EU sind für Deutschland eine schwere Belastung und ein Grund für die gegenwärtige wirtschaftliche Misere unseres Landes. Wird diese Politik fortgesetzt, schlachtet die EU die Kuh, die ihr über Jahrzehnte Milch gegeben hat. Das darf nicht geschehen. Die neue Bundesregierung wird nur erfolgreich sein, wenn sie in der EU entsprechend handelt.


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