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05.11.05 / Raus aus der dunklen Ecke Europas / Rumänien hat bezüglich seines geplanten EU-Beitritts die gelbe Karte aus Brüssel erhalten, doch es gibt auch Fortschritte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. November 2005

Raus aus der dunklen Ecke Europas
Rumänien hat bezüglich seines geplanten EU-Beitritts die gelbe Karte aus Brüssel erhalten, doch es gibt auch Fortschritte
von Ernst Kusclar

Trotz "beachtenswerter Fortschritte" hat die Europäische Kommission vergangene Woche ins Auge gefaßt, den EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens um ein Jahr auf den 1. Januar 2008 zu verschieben. Die Nachricht löste in Rumänien verständlicherweise keinen Jubel aus, die Reaktionen in der Presse fielen gemäß ihrer politischen Ausrichtungen aus. Die in Hermannstadt erscheinende deutschsprachige "Hermannstädter Zeitung" bemerkte unter dem Titel "Weder ja noch nein, trotz positivem Bericht": "Rumäniens Fortschritte im Beitrittsprozeß wurden optimistisch betrachtet", diese Fortschritte wurden "im Bereich der Justizreform registriert sowie im Bereich der Gewährung von staatlichen Subventionen". Obwohl das Land bei der "Anpassung der europäischen Gesetze nachgeholt" habe, habe man die Korruption immer noch nicht "im Griff".

Das siebenbürgische Hermannstadt, dessen wirtschaftliche Entwicklung dem Durchschnitt des Landes weit voraus ist, fürchtet nun um seinen baldigen Zugang zum europäischen Markt. Bürgermeister Klaus Johannis, ein Siebenbürger Sachse, beteuert gegenüber der Preußischen Allgemeinen Zeitung: "Die Korruption in der Stadtverwaltung ist ausgemerzt, einfach weil ich das nicht toleriere." Auf die diesbezügliche Laxheit der rumänischen Justiz und auf die mögliche Existenz alter Seilschaften angesprochen, sagte er, die Ursachen seien schwer zu erklären. "Leider reagiert die Justiz noch nicht, aber man bemüht sich. Alte Seilschaften gibt es vielleicht, aber auch die Strukturen müssen verbessert werden."

Das Blatt "Adevarul" (Die Wahrheit) titelt seinen Kommentar "Sieben rote Ampeln bis zur Europäischen Union", womit die einzelnen Beanstandungen der Europäischen Kommission gemeint sind: "Die rumänischen Behörden müssen gesteigerte Anstrengungen in den Bereichen freier Güterverkehr, freier Personenverkehr, freier Kapitalverkehr, Landwirtschaft, Konkurrenzverhalten, Fischereiwesen, tierärztliches Kontrollwesen an den Tag legen." "Entschiedene und dingende Aktionen" seien in der "Grenzkontrolle, der Anwendung des Schengen-Abkommes und der Unterschlagungen sowie der Korruption" notwendig. Bürgermeister Johannis meint dennoch: "Der EU-Beitritt ist noch 2007 zu schaffen. Trotz einer Menge Kritik und Warnungen ist es (der jüngste Bericht der EU-Kommission über Rumänien) der beste Fortschrittsbericht seit der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen." Der EU-Zug ist nach Johannis' Auffassung für Rumänien also keineswegs abgefahren.

Während die ultra-nationalistischen Zeitung "Tricolorul" (Die Trikolore) der "Partei Großrumäniens" Pessimismus verbreitet und in ihrem Artikel Rumänien als "Korruptions-Europameister" und den Bericht der Kommission als "äußerst hart" bezeichnet und der rumänischen Regierung "schwere Zeiten" ankündigt, zitiert die in Bukarest erscheinende "Allgemeine Deutsche Zeitung" (ADZ) die rumänische Ministerin für Europäische Integration, Anca Boagiu, mit den Worten: "Ich wäre enttäuscht, würden wir nicht solche Hinweise bekommen ... Diese Informationen sind eine echte Unterstützung für unsere Aktivitäten." "Der Warnbrief ist kein Folterwerkzeug, der Warnbrief ist eine Hilfe, ein Instrument zur Ausrichtung der Bemühungen eines Staates." Auch die ADZ bemängelt tägliche Meldungen über neue Korruptionsfälle quer durch alle Berufsgruppen: Zöllner, die sich am Ex- und Import bedienen, Unternehmer, die seit Jahren Steuersünder sind; Politiker, die EU-Mittel verschwenden, und nicht zuletzt Juristen, die keine Beweise finden können.

Dennoch sind die meisten Rumänen optimistisch. Sie begreifen die mögliche Beitrittsverschiebung als Chance. "Viele Investoren kommen nach Hermannstadt", so der als "deutscher Kennedy" gefeierte Bürgermeister Klaus Johannis, "um rechtzeitig zum Beitritt schon vor Ort zu sein; es gibt auch Rücksiedler, zahlenmäßig zwar nicht viele, aber für uns sind sie wichtig. Manche kommen als Investoren, manche als Vertreter meist deutscher Firmen und manche als Rentner zurück. Wir haben Investoren aus vieler Herren Länder, aber zahlen- und investitionsmäßig überwiegen die Deutschen."

Das hat seine Gründe: Der Wirtschaftsraum Hermannstadt ist auch dank des Einsatzes des Siebenbürger Sachsen Johannis einer der am stärksten entwickelten in Rumänien. Der Deutsche, der seit sieben Jahren im Amt ist, wußte die günstigen Verkehrsanbindungen, die seit dem 12. Jahrhundert in der Stadt verankerte Handwerkertradition, die seit dem 18. Jahrhundert existente Industrietradition und die relativ weite Verbreitung der deutschen Sprache in der Region als Wirtschaftsfaktoren zu nutzen. Auch ist der Physiklehrer kein Freund der langen Diskussionen, bei ihm wird gehandelt. "Mach es deutsch", sagen die Rumänen auch, wenn etwas besonders gut werden soll. Ein Image, das der 46jährige gerne nutzt. Auch verweist er auf den besonderen Beitrag der noch hier lebenden Siebenbürger Sachsen, "der durch die geringe Anzahl nicht quantitativ, sondern eher qualitativ zu werten ist, etwa durch den guten Einsatz in Schule, Verwaltung und Kirche". Von 23 Sitzen im Stadtrat hält das Deutsche Forum 16, obwohl nur 2000 Deutsche in der 170000 Einwohner zählenden Stadt leben, haben sie heute wieder starken Einfluß im Ort.

Als allein 1990 mehr als 100000 Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben aus Rumänien nach Deutschland zogen, dachte kaum jemand an eine Rückkehr. Zwar waren sie nicht wie in anderen sozialistischen Staaten besonderen Repressalien als Deutsche ausgesetzt, aber das Gefühl eines bitteren Unrechts überwog. Heute indes überwiegt auch bei den Fortgezogenen der Wunsch, Rumänien möge bald der EU beitreten.

Die Geschichte hat es nie gut mit den Rumänen gemeint: vom 16. Jahrhundert an ununterbrochene Türkenherrschaft im alten Rumänien südlich und östlich der Karpaten bis 1877, dann das Antonescu-Regime, darauf die Sowjets und schließlich das Ceausescu-Joch - da fällt die Gewöhnung an Rechtsstaatlichkeit, an Recht und Gerechtigkeit vielen noch immer schwer. Mit dem EU-Beitritt endlich aus der dunklen Ecke Europas herauszutreten - diese Hoffnung eint dennoch die große Mehrheit.

Herrmannstadt: Die heute zu Rumänien gehörende Stadt hat eine sehr wechselvolle Geschichte  Klaus Johannis (Foto)


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