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05.11.05 / "Moment mal!" / Das hätte selbst Gysi nicht besser gekonnt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. November 2005

"Moment mal!"
Das hätte selbst Gysi nicht besser gekonnt
von Klaus Rainer Röhl

Die parlamentarische Linke in der neugewählten SPD-Fraktion hat vor einer Woche, am 27. Oktober, ein Papier mit dem Titel "Leitplanken" vorgestellt, in dem sie ihre Meinung zu den laufenden Verhandlungen über die "Große Koalition" bekannt gibt. Wohlgemerkt, es waren nicht die außerparlamentarische Linke oder ATTAC oder die umbenannten PDS-Kommunisten. Sondern die parlamentarische Linke, die neuen Abgeordneten der SPD. Wie sich herausstellt, werden die Grenzen zwischen den Linken langsam fließend. Alle spüren Aufwind. Alle haben gute Laune. Bei fünf Millionen Arbeitslosen und 35 Milliarden Schulden. Die "Leitplanken", ein Begriff, den man nicht zufällig der Straßenverkehrsordnung entnommen hat, sollen nun der Partei - und uns - mit einem ziemlich groben Zaunpfahl zeigen, wo es langgehen soll bei den Verhandlungen mit der Union und wo es, nach dem Willen einer knappen Hälfte der SPD-Abgeordneten, nicht weitergehen darf.

Find ich toll, den Gedanken der "Leitplanken". Solche Gedanken sollten wir auf der anderen Seite der Barrikade uns vielleicht auch machen. Es geht auch anders, aber so geht es auch, sagt Brecht in seiner wunderschön gemeinen Paradoxie. In der Dreigroschenoper. Da geht es übrigens auch schon um die Wurst. Und um den Kapitalismus, der an allem schuld ist. Aber Brecht hat meistens recht: Es geht auch anders.

Keine Koalition um jeden Preis. Da ist den Genossen Sozialisten voll zuzustimmen. Vielleicht lebt Deutschland besser ohne eine große Koalition.

Auch die Union. Denn von dem Wahlprogramm der Unionsparteien ist in den bisherigen Koalitionsvereinbarungen nichts übriggeblieben.

"Münte" hat ganze Arbeit geleistet. Selbst die parlamentarischen Linken der SPD, sonst gegenüber ihren Parteibossen eher kritisch, loben ihre Verhandlungsführer und jubeln: "Die konservativ-postliberalen Kräfte in der CDU und der CSU sind auf dem Rückzug!" Fein beobachtet. Da freuen sich die SPD-Linken.

Fragen wir uns einmal, welche wichtigen Kernpunkte des Wahlkampf-Programms der CDU/CSU gesichert sind? Bisher, selbst mit angestrengt gutem Willen betrachtet, keine. Das Weiterlaufen der modernen Kernkraftwerke und der Ausbau der Forschung an der Zukunftstechnik Kernfusion, der ultimaten Lösung aller Energie-Probleme, ist bereits so gut wie vom Tisch. Statt dessen soll, nach dem Willen der SPD, immer noch die ganz auf Zuschüsse angewiesene "Windkraft", sollen Solarenergie und Diesel aus Raps propagiert und gefördert werden. Was in der Realität nichts weiter bedeutet, als daß wir weiter CO2 ausstoßende Kohlekraftwerke bauen müssen und darauf angewiesen sind, daß Putin uns nicht den Gashahn zudreht. Auf gut deutsch: Wir beziehen weiter den Strom aus der Steckdose: Französischen, slowakischen, finnischen - Atomstrom!

Die Gesundheitspolitik der Union ist bereits preisgegeben. Das wichtigste Vorhaben der CDU/CSU, die geplante Steuersenkung zur Verbesserung der Unternehmensgewinne, ist vom Tisch. Und damit die Hoffnung auf schnelle Wirtschaftsbelebung und Entstehung neuer Arbeitsplätze. Dafür garantiert nun ein sozialdemokratischer Finanzminister, der sich unbesorgt über das 35-Milliarden-Loch in der Kasse gibt. Er allein weiß, wie Rumpelstilzchen, wie Stroh zu Gold gesponnen wird: Durch einen gigantischen letzten Schlußverkauf des Bundesvermögens, die bereits ins Gespräch gebrachte Privatisierung der Autobahnen. Und dann? In den nächsten Jahren? Kommt dann doch die Mehrwertsteuer oder eine neue Sondersteuer, der "Kon-Soli". Entstehen so Arbeitsplätze?

Über die Arbeitslosigkeit machen die Linken nur vage Vorgaben: "Die Beschäftigung ist zu stärken." Aber ausschließlich durch staatliche Förderung: Besser könnten Lafontaine und Gysi es auch nicht formulieren: "Erhöhung der privaten und öffentlichen Investitionsquote. Ein Investitionsprogramm für Arbeit, Bildung, Umwelt und kommunale Infrastrukturen. Dazu gehören Mindestlöhne, die Erweiterung des Entsenderechts (gegen billige ausländische Arbeitskräfte). Eine Lockerung des Kündungsschutzes lehnen wir ab."

Für die übrigen Bereiche, die noch nicht ausverhandelt sind, gilt die Regel, soviel Sozialismus wie möglich, soviel Privatwirtschaft wie (noch) nötig. Der Staat soll mehr Geld ausgeben als je zuvor, dafür aber mehr Kontrollen auf allen Gebieten des Lebens ausüben. So sollen alle Häuser und Wohnungen einen "Energiepaß" erhalten, um den Energieverbrauch der Hausbesitzer zu kontrollieren. Nach dem gläsernen Bankkonto das gläserne Haus. Der gläserne Patient, die Chipkarte mit chiffrierten Angaben über den Versicherten, ist schon in Arbeit.

Von dem vor der Wahl von der Union zugesagten "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin ist kaum noch die Rede. Während jede ethnische und psycho-soziale Randgruppe und jeder aus Afrika oder Asien kommende Wirtschafts-Flüchtling sozusagen herzlich willkommen geheißen und dieses Problem breit ausgeführt wird, werden die 15 Millionen Vertriebenen, die 2,2 Millionen ermordeten Bewohner des deutschen Ostens und die knapp 800000 Bombenopfer nicht einmal erwähnt. Mit keinem Wort. Die Vertriebenen können sich noch glücklich preisen, wenn man sie in Zukunft wegen ihrer Königsberger Klopse, des schlesischen Himmelreichs und des Danziger Goldwassers wenigstens noch zur multikulturellen Vielfalt zählen wird. Ihre Geschichte, ihr Schicksal und ihre Identität sollen dem Staat weiterhin, wie unter Rot-Grün, keine zentrale Gedenkstätte wert sein.

Worauf steuern wir nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen zu? Auf eine sozialdemokratische Regierung mit CDU-Beteiligung. Mit einer Kanzlerin, deren Richtlinienkompetenz durch die Koalitions-Vereinbarungen ausgehöhlt ist und deren Handlungsspielraum zwischen Außenministerium auf der einen Seite und dem alles entscheidenden Finanzministerium auf der anderen Seite hoffnungslos eingeklemmt ist. Angela Merkel darf allenfalls zwischen den einzelnen Ministerien, deren Beamtenapparat nach sieben Jahren rot-grüner Regierung auf lange Sicht unkündbar parteiverfilzt ist, moderieren und bei Staatsbesuchen die Gäste empfangen wie die englische Königin. Zu allem anderen braucht sie ein Koalitionspapier.

Sie kann, wenn es Ärger gibt und sie von ihrer Richtlinien-Kompetenz Gebrauch machen und tatsächlich einmal den politischen Kurs Deutschlands bestimmen will, wie es im Grundgesetz steht, weder einen Minister entlassen noch einen ernennen, eines der wichtigsten Rechte eines Bundeskanzlers. Sie hat eigentlich keine Richtlinien-Kompetenz mehr, sondern eben eine Leitplanken-Kompetenz. Der Posten des Kanzlers verliert unter diesen Umständen an Bedeutung. Die Frage, ob die Union ihn stellt oder nicht, damit auch. Den anderen CDU- oder CSU-Ministern geht es nicht besser. Kein Wunder, daß Stoiber noch immer zögert, nach Berlin zu gehen. Er hat keine Chance und, nach dem sicheren Ende des Debakels, auch keine Chance mehr in München. Weg vom Tisch. In dem durchaus nicht als Scherz gemeinten SPD-Papier wird überdeutlich, wozu die Union zur Zeit mit ins Boot steigen darf: Um "sozialdemokratische Politik zu gestalten"!

Stellen wir uns also auch einmal die Leitplanken-Frage: Brauchen wir eine große Koalition um jeden Preis? Sind ein Kanzlerposten und ganze vier Ministersessel es wert, wenn damit in einem künftigen Deutschland die "Kernpunkte sozialdemokratischer Politik" und des Wahlmanifestes der SPD als gesichert gelten? Es geht auch anders, aber so geht es nicht.


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