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05.11.05 / Karlche, herst de Grillen? / Unterhaltsames von der Kurischen Nehrung

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. November 2005

Karlche, herst de Grillen?
Unterhaltsames von der Kurischen Nehrung
von Eva Pultke-Sradnick

Jetzt waren sie schon vier Tage hier und konnten sich nicht genug wundern, wie es auf der Kurischen Nehrung aussah. "Kannst nuscht sagen, im Dorf isses ja einigermaßen gepflegt", meinte Anna.

Diesen Tag hatte sich das Ehepaar Brieskau schon ein bißchen weiter in den Wald getraut. Angst mußte man eigentlich nicht haben. Anna taten die Füße weh. Es war heiß und drückend unter den Bäumen. Karl sagte nichts. Das war auch kein gutes Zeichen.

"Jetzt könnte hier ja ein Haus stehen, wo man essen und trinken könnte", meinte Anna. "Vielleicht noch mit geräucherten Flundern oder Aal und kleinem Schnaps", ergänzte Karl gnirrend. "Oder wenigstens ein Topfchen Kaffee mit einem Stück Kuchen", sagte Anna, sich dabei die Sandalen ausziehend. "Alles voller Sand, Erbarmung, ich gehe barfuß." "Verzag man nicht", sagte Karl tröstend, da hinten sieht es so aus, als ob da eine Bank steht. Da werden wir uns verpusten, wir haben doch nuscht zu versäumen. Anna nahm die Brille ab und wischte sich mit der Hand über die Augen. "Was müssen wir zwei Alten auch noch reisen. Nu haben wir den Salat. Aber laß man, wir haben im Leben schon soviel überstanden, da werden wir das bißchen hier auch noch schaffen". Karl gnurrte nur, daß dies aber das Schwerste sei. "Die Heimat so verloddert".

Nun saßen sie auf der Bank, ausruhend und traurig zugleich. Ihr Ziel, ihre Heimat Ostpreußen noch einmal zu sehen, hatten sie erreicht. "Sieh mal, Karl, da hinten raucht es. Sollte da vielleicht wer wohnen, mitten im Wald? Aber sicher gibt es von der anderen Seite einen besseren Weg". "Bestimmt", spottete Karl, "das ist der von deinem lieben Gottche. Aber hast recht, laß uns mal hingehen, siehst da den kleinen Trampelweg?" Sie stapften durch den Sand, und Anna feixte, daß sich schon mancher im Wald verirrt hätte, denn es kam überhaupt kein Haus in Sicht.

Doch dann lud ein geschnitztes Täfelchen im Haus "Blaue Welle" zu Kaffee und Schmandwaffeln ein. "Ich werd' verrückt", japste Anna, "eine Oase mitten in der Wüste. Bloß 100 Meterchens Fußmarsch". Karl stimmte an: "links, links, rechts ist die Chaussee, links 'ne Pappel, in der Mitte Pferdeappel. Ei, wenn uns jetzt ein Elch begegnen würde?"

Tatsächlich, ein nicht zu großes Holzhaus mit Garten, Blumen, Kürbis und einem Hund. Ein Katzchen rollte sich unter einem Bäumchen. Tische standen da, nicht viel, vier an der Zahl. Bunte Deckchen lagen drauf, in der Vase waren ein paar Dünengräser. Bequem aussehende Sessel aus Birkenstämmchen standen einladend darum. "Meine Zeit, Karlchen, ist das hier scheen, hier bleiben wir". Der Hund kam zutraulich näher und da stand dann auf einmal ein Mann, so um die 40, mit lachenden Augen und einem "Tach auch". Guten Tag sagten auch Brieskaus. Sie waren erstaunt und froh, es war alles etwas unwirklich. "Gibt's Kaffee?" fragte Karl kurz, in der Annahme, daß es Sprachschwierigkeiten geben könnte. "Alles was Sie wollen", lachte der Mann, "Waffelchen auch?" Anna verdrehte die Augen, "womeglich mit geschlagnem Schmand?" - "Selbstverständlich, alles da." "Öck war verröckt", sagte Anna, "da göwt ett nich, sönd Se etwa von ons to Hus?" "Öck bönn ut Marbach, wo de Schiller her ös, bi Ludwigsburg, on miene Fru ös von hier, ut Pillkoppe." "On denn könne Se platt", Anna schüttelte ungläubig den Kopf. "E bätke", meinte er, "vonne Grotöllre her, de weäre von hier, vonne Nehrung, wi sproke meistens platt, wenn wi under ons weäre."

Er stellte sich vor. Er hieß Kurt Karausch und seine Frau Rita. Sie kamen ins Gespräch. Warum aber hier so allein und überhaupt? Es war nicht ganz leicht, als Deutscher im heutigen Ostpreußen leben und arbeiten zu dürfen. Sportlich, in sich ruhend, zufrieden mit der Welt, so saß Kurt in seinem Sessel. "Haben Se das aber scheen hier!" Anna sagte es zum zweiten Mal im unverkennbaren Königsberger Dialekt. Dort hatte sie am Stadtrand gewohnt. "Kannst denken, du bist gar nicht weg gewesen ... und denn die Luft, die is so wie frieher, so trocken und wie knisternd, könntst rein heulen. Karlche, heerst de Grillen zirpen, ei, da, da, da hopst grad einer mang de Gilken. Und Sie wohnen hier mit Ihrer Familie ganz all unter de Russen?" "Na ja," meinte Karausch gelassen, "es ist doch meine Heimat. Alle meine Vorfahren wurden hier geboren, haben hier gelebt und liegen hier auf dem Friedhof. Ich fühl' mich nicht fremd. Wir haben zu essen und zu trinken. Kennen Sie die Geschichten von Hermann Sudermann? Auch bei ihm in der Elchniederung war man arm, aber glücklich, weil die Sonne schien, das Kornchen trocken unter Dach und Fach gekommen war. Und jeden Tag konnte man Gott danken, daß man gesund war und lebte." "Na ja, da hätt' ich nich leben wollen, war auch viel Schlimmes dabei", meinte Anna. "So schlimm ist es hier aber nicht." Karausch lachte. "Wir haben's doch gut hier. Wir haben uns die kleine Gastwirtschaft eingerichtet, haben sogar vier Zimmer für Gäste. Die See gibt uns jeden Tag frischen Fisch, die Kuh liefert Milch, die Hühner Eier und die Ziege den Käse. Ohne meine Rita könnte ich das natürlich nicht und ich fahre zur Arbeit nach Königsberg. Und ohne meine Eltern und Geschwister, die in Deutschland wohnen, wäre das auch nicht gegangen. Es braucht hier alles seine Zeit. Denn was bei Euch in zwei Tagen geht, das kann bei uns dauern, wenn überhaupt."

"Haben Sie vielleicht noch so ein paar Schmandwaffelchen übrig?" ließ sich Karl Brieskau vernehmen. "Ich weiß, meine Frau schimpft nachher mit mir, aber ich muß doch sagen, sie kocht sonst sehr gut, solche röschen Dingslamdeis, aber ich meine Waffelchens versteht sie doch nicht so zu machen." Jetzt kam Ritas Stimme aus der Küche: "Die sind über'm Herdfeuer mit Birkenholz gebacken. Kommen Sie doch morgen wieder, da mach' ich Glumskuchen." "Darüber ließe sich reden", schmunzelte Karl, und Anna nickte zustimmend. Sie hatte sehnsüchtige Augen: "Wenn ich nicht schon so ein altes Mädchen wäre und mein Karl nicht so ein alter Knaster, dann würden wir auch hier siedeln. Und was machen Sie im Winter, kommen da auch Leute?" - "Kaum" - "und die Kälte?" Anna fragte vorsichtig.

"Na ja", sagte Rita lachend: "Ohrenschitzer, Pelzche an und Mauchens ieber, Ösenhandschkes und gefitterte Stiefel." - "Und viel Holz und Torf vor der Tür", ergänzte ihr Mann, "dann kann man aushalten. Die Ziege und die Hühner muß man schon mal ins Haus nehmen." "Und Ihre Kinder?" Anna war wißbegierig. "Sind auch groß geworden, sind zur Zeit gerade bei den Großeltern in Deutschland." Rita wischte eine Träne weg. "Könnte schon passieren, daß sie da bleiben wollen. Aber kannst ihnen ja nicht verdenken, hier ist ja für sie keine Zukunft."

Nachdenklich saßen die beiden Brieskaus und tupften die Krümel von ihren Tellern. "Und wie lange vorher muß man sich anmelden, wenn man bei Ihnen den Sommer verbringen möchte?" fragte Karl. "Na, das wär gut im Winter, denn kann man sich einrichten." Karl linste zu seiner Anna rüber, denn dieses sollte ja ihre letzte große Reise sein, aber wenn man es so richtig bedachte ... Anna lächelte verträumt.

Foto: Idyllisches Nordostpreußen: Fischerhäuser in Nidden


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