20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
05.11.05 / Ein Freispruch wäre zu weit gegriffen / Neues Buch über das Unternehmen Barbarossa und die Verantwortung der Wehrmacht

© Preußische Allgemeine Zeitung / 05. November 2005

Ein Freispruch wäre zu weit gegriffen
Neues Buch über das Unternehmen Barbarossa und die Verantwortung der Wehrmacht

Frei-spruch für die Deutsche Wehrmacht" heißt eine neue Bucherscheinung mit dem Untertitel "Unternehmen Barbarossa erneut auf dem Prüfstand". Das Buch behandelt das Unternehmen Barbarossa von der Planung über den gleichzeitigen Aufmarsch der deutschen und der sowjetischen Armee, über die Besonderheit des Rußlandfeldzugs als Ideologie- und Rassenkrieg, den Ablauf, die spezifische Kampfführung der Roten Armee, das Verhalten der Wehrmacht in Rußland, ihre Abgrenzung zu den SS-Einsatzgruppen und dem SD bis zu der Frage "Was ist bei Barbarossa schiefgelaufen?" Das Buch - obwohl das Thema alt - ist lesenswert, weil der Autor Andreas Naumann ihm neue Seiten abgewinnt und sie gut lesbar darstellt.

Der Autor bezieht sich dabei nicht nur auf die deutsche Literatur aus anerkannter Feder, sondern - und das ist oft viel aufschlußreicher - auch auf sowjetische Autoren wie die Marschälle Bagramjan, Shukow, Wassilewski und andere wie Gorodetski, Suworow und Wolkogonow. Er macht deutlich, wie sich das Unheil Schritt für Schritt zusammenbraute und wie der Zweite Weltkrieg, in dem es von deutscher Seite ursprünglich nur um die Menschenrechte der deutschen Minderheit in Polen und um die Heimkehr der Danziger Bevölkerung in ihr Mutterland ging, sich gegen Hitlers Willen erst auf Norwegen-Dänemark, dann auf England-Frankreich und dann auf Jugoslawien-Griechenland ausgedehnt haben soll, ehe Hitler den Entschluß gefaßt habe, Rußland anzugreifen. Naumann stellt dar, wie sich die Politisierung und der Rassenkrieg ganz langsam, oft durch die Hintertür, im Polenfeldzug 1939, dann in der Sowjetunion wie ein Krebsgeschwür in die deutsche Kriegsführung hineinfraß. Auch wenn Naumann glaubhaft nachweist, daß Völker- und Judenmord nie in die Befehlsgebung der Wehrmacht Eingang gefunden haben, so bestanden die Polizeiverbände und der Sicherheitsdienst SD der SS auch aus Deutschen. Was hier die Wehrmacht entlastet, entlastet deshalb leider nicht unser deutsches Volk.

Das Buch zeigt, wie auf deutscher und auf sowjetischer Seite synchron die Meinung entstand, daß die jeweils andere Macht zur Gefahr für das eigene Land heranwachse. Im Dezember 1940 wurde sowohl in Moskau als auch in Berlin im Beisein von Stalin hier und Hitler dort, in Planspielen untersucht, wie man einen Krieg gegen das andere Lager würde führen können. Mitte Juni 1941 waren dann drei Millionen deutsche plus 600000 verbündete Soldaten und auf der Gegenseite 5,3 Millionen sowjetische Soldaten an den Fronten aufmarschiert. Dem folgt sehr überzeugend auf gut 80 Seiten die Schilderung der Indizien, die zweifelsfrei belegen, daß Stalin und sein Generalstabs-chef Shukow die 5,3 Millionen sowjetischen Soldaten bis zum Juni 1941 zum Angriff und nicht zur Verteidigung haben aufmarschieren lassen.

Ein heikler Teil des Buches befaßt sich mit den deutschen Kriegsverbrechen in den eroberten Teilen der Sowjetunion. Naumann stellt die begangenen Verbrechen der Einsatzgruppen der SS neben die Verbrechen, die den deutschen Streitkräften darüber hinaus von vielen deutschen Zeitgeschichtlern angelastet worden sind, obwohl sie nachweislich von Soldaten, Milizionären oder Partisanen anderer Nationen begangen worden sind.

Da gab es die Beseitigungsaktionen der abziehenden Sowjets, die Hunderttausende von "inneren Feinden" aus der eigenen Bevölkerung liquidiert hatten, ehe sie das Baltikum und die Ukraine an die Deutschen und Bessarabien an die Rumänen verloren. Da gab es in großem Umfang Racheakte der verschiedenen Völker aneinander, bei denen Letten, Litauer, Esten, Weißrussen, Ukrainer und Rumänen gleich zu Beginn des Krieges ihre alten und neuen Rechnungen an ihren Peinigern von gestern beglichen und an denen, die sie dafür hielten: an Russen und an Juden. Da gab es die kriegsvölkerrechtswidrige Einbeziehung der Zivilbevölkerung in den Krieg durch die Sowjetunion, den Partisanenkrieg. Die Partisanen und ihre Unterstützer wurden von der Wehrmacht und den Einsatzgruppen der SS mit harter Hand bekämpft, sehr zum Schaden der hineingezogenen Zivilbevölkerung. Und da war als schlimmstes die Ermordung von Juden, die immer grauenhaftere Züge annahm. Der reguläre Krieg der Streitkräfte, die Pogrome der von den Sowjets freigekommenen Völker an ihren vormaligen Unterdrückern, der Partisanenkrieg und die Mordaktionen an Juden bildeten ein verworrenes Gemenge, das Naumann anhand einer großen Zahl von Beispielen darstellt. Ein Kapitel, das jeder Besucher der sogenannten Reemtsma-Ausstellung gelesen haben sollte.

Auch wenn Naumann hier viele Vorwürfe gegen die Wehrmacht entkräften kann, und wenn er auch nachweist, daß die Wehrmachtsgerichtsbarkeit die Bevölkerung in den besetzten Gebieten wirksam vor Übergriffen der deutschen Soldaten geschützt hat, bleibt dem deutschen Leser doch die bittere Einsicht, daß die Verbrechen der Einsatzgruppen der SS leider trotzdem auf das deutsche Konto gehen.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 15 Jahren und dem Ende der Bedrohung aus dem Osten ist das Interesse des deutschen Fachpublikums an den großräumigen und brillant geführten militärischen Landoperationen der deutschen Wehrmacht vollends erloschen. Statt dessen rückt das Interesse an der deutschen Schuld in Rußland in den Mittelpunkt. Mit der Wiedervereinigung haben die Vertreter des prosowjetischen Antifaschismus, der ein Staatsdogma der DDR war, ein neues interessiertes Publikum in der alten Bundesrepublik gefunden. So sind die "Verbrechen der Wehrmacht" in der Sowjetunion seit der Angliederung der DDR ein Publikumsrenner in der alten Bundesrepublik geworden. Da nimmt es nicht Wunder, daß Andreas Naumann dem Partisanenkrieg in der Sowjetunion gut 100 Seiten widmet, auf denen er diese Kriegsform außerhalb des Kriegsvölkerrechts darstellt und analysiert. Hier kommt viel Blut und Schuld zutage; Blut und Schuld auf beiden Seiten, aber auch manches, vielen Lesern unbekannte Großereignis wie zum Beispiel die komplette Zerstörung des Stadtkerns der ukrainischen Hauptstadt Kiew durch sowjetische Partisanen (24. bis 29. September 1941) in einer Sprengstoff- und Feuerorgie oder das unerschrockene Eintreten der Heeresgenerale von Gienanth, von Roques und von Unruh bei Hitler für das Wohl der Ukrainer.

Es bleibt zum Schluß die Frage, ob das Buch wirklich einen Freispruch für die Wehrmacht bringt. Freispruch ist ein Terminus aus dem deutschen Strafrecht, genauso wie die mildernden oder strafverschärfenden Umstände. Das Buch wäre richtiger - wenn auch weniger griffig - "Die mildernden Umstände für die Deutsche Wehrmacht" betitelt worden. 

Gerd Schultze-Rhonhof, Andreas Naumann: "Freispruch für die Deutsche Wehrmacht - Unternehmen Barbarossa erneut auf dem Prüfstand", Tübingen, gebunden, 736 Seiten, 29,80 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren