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12.11.05 / "Er ist einer von uns" / Während die Medien Benedikt XVI. kritisieren, jubeln die Gläubigen ihm zu

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. November 2005

"Er ist einer von uns"
Während die Medien Benedikt XVI. kritisieren, jubeln die Gläubigen ihm zu
von Franz Salzmacher

Schon um acht Uhr morgens bildet sich eine Schlange vor Sankt Peter. Es ist Ende Oktober und die Saison ist längst vorüber. Aber die größte Kirche der Welt füllt sich wie zur Osterzeit. Ein Teil der Schlange zieht sich hinein in die Krypta unter dem Petersdom, wo einige Dutzend Päpste ihre Ruhestätte haben, bis hin zum Grab von Johannes Paul II. Alte, Kranke, Junge, Priester, ganze Familien und natürlich Pilgergruppen - alle ziehen sie vorbei, nicht wenige mit glänzenden Augen. Eine Frau wischt sich eine Träne weg, ein Priester bittet die Grabhüter, seinen Rosenkranz kurz auf die schlichte Platte zu legen, eine ältere Dame kann den Blick nicht vom Grab dieses Papstes abwenden, den sie vielleicht ein gutes Drittel ihres Lebens mit ihrem Gebet begleitet hat. Um diese Zeit ist der Andrang noch nicht so groß, eine Stunde später werden die Hüter die Gläubigen bitten müssen, höchstens drei, vier Sekunden zu verweilen und ihr Gebet an anderer Stelle fortzusetzen, damit der Stau nicht zu groß wird. In einiger Entfernung aber in Sichtweite kniet eine Gruppe von Schwestern, eine größere Pilgergruppe beendet die Messe vor dem Grab des ersten Stellvertreters, Johannes Paul II. ruht keine 20 Meter vom heiligen Petrus entfernt. Es herrscht die Aura des Heiligen. Es ist als ob sich Himmel und Erde berührten und in vielen Herzen geschieht das auch. Hier in Sankt Peter fallen das Zentrum der Christenheit und das Zentrum jedes Christenlebens zusammen.

Das geht nun schon seit April so. Johannes Paul II. ist noch in den Herzen lebendig. Aber Benedikt XVI. steht keineswegs im Schatten seines Vorgängers. Wie ein Magnet zieht auch er die Menschen an. Eine einfache Generalaudienz am Mittwoch auf dem Petersplatz - ohne Seligsprechung noch besondere Anlässe - bringt nicht selten 50000 und bis zu 120000 Menschen zusammen. Videre Petrum, sie wollen Petrus sehen. Er symbolisiert in diesen unruhigen Zeiten die Hoffnung, daß es gut gehen kann, daß bei allen Ka-tastrophen, Gewalt und Krieg die Menschlichkeit nicht stirbt. Er verkörpert die Gestalt des Humanum. Ecce homo, scheint die Welt zu rufen, jene Kleinen und Demütigen, die den Glauben an die Herrscher in den Palästen, an ihre Versprechungen und hohlen Phrasen weitgehend verloren haben und die in dem Stellvertreter die Verheißung eines besseren Lebens wahrnehmen.

Aus aller Welt kommen die Pilgergruppen, die meisten aus Italien. Im grünen Büstentalar präsentieren sich die "Amici di San Rocco Scilla" neben einer Gruppe Studenten aus Neapel und einer weiteren aus New York. Die Stadtsparkasse Schmallenberg und das Klinikum Traunstein sind ebenso vertreten wie der Lions Club aus Verona und die Gruppe der Großeltern mit ihren Enkeln aus Betancour. Das Volk Gottes schart sich um den Oberhirten, videre Petrum. Ihre Namen sind Ausdruck der Volksfrömmigkeit: "Madre di bambino Gesu", "Mutter des heiligsten Rosenkranzes der Ureinwohner", "Mutter der Wunden"; der Kirchenchor von Rheinböllen ist da, eine Pilgerschar aus Dünkirchen mit ihrem Bischof, die Kolping-Familie von Mühlheim, ein evangelisches Dekanat, eine katholische Erziehergemeinschaft - das Bayerische Pilgerbüro spricht von einem anhaltenden "Rom-Boom".

Es stört offenbar niemanden, daß Zeitungen kurz zuvor noch über Unmut im Vatikan berichtet haben, weil Benedikt XVI. sich sehr zurückhalte, kaum jemanden empfange, die Distanz zum Volk suche und auch die "prima fila", die erste Reihe der Gläubigen abgeschafft habe, die nach der Audienz zum Stuhl des Kirchenoberhaupts kommen, ihn begrüßen und beschenken dürfen. Die prima fila gibt es nicht mehr, in der Tat, aber der Grund ist ein anderer: Benedikt XVI. geht jetzt selber zu den Gläubigen. Und danach zu den Kranken und Kindern in den unteren Reihen. Er spricht mit ihnen, streichelt Kindern über den Kopf, tröstet und segnet Rollstuhlfahrer und ihre Pflegeschwestern, schüttelt Hände hinter den Absperrungen, hört zu und hat ein aufmunterndes Wort für jeden, der ihn ansprechen kann. Vor der Audienz war sein Wagen mit dem Nummernschild SCV - 1 durch die Menge gefahren, offen, ohne Panzerglas, unter dem Jubel der Gläubigen und unter den angestrengten Blicken der Leibwächter. Sie sind die Leidtragenden der neuen Situation, nicht das Volk.

Man hat sich daran gewöhnt, daß vor allem die linksliberalen Medien von Zeit zu Zeit versuchen, den Papst mittels Gerüchten in Diskredit zu bringen. Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Dieser Papst hat im ersten halben Jahr seines Pontifikats doppelt so viel Menschen versammelt wie sein Vorgänger.

"Er ist einer von uns, unser Freund", sagt begeistert ein junger glatzköpfiger Taxifahrer. Sie lieben seine natürliche, fast schüchterne Art, sein charmantes "Grazie", seine einladenden Gesten, seine nahezu linkisch-grüßende Hand, seine tiefgründigen aber für jedermann verständlichen Worte, zum Beispiel die Schlußfolgerung der Katechese an diesem Mittwoch: "Wenn wir Christus nachfolgen, machen wir alles richtig." Und das Gebet für die Opfer von Katastrophen in diesen Tagen, für alle, die "geistlicher und physischer Not" ausharren müssen. "Wir können uns das Phänomen nicht so recht erklären," meint ein Vaticanisti, der seit mehr als zwei Jahrzehnten die römische Szene beobachtet. Vermutlich sei es so, daß sich die Hoffnung hier Bahn breche, sagt er. "Wie sollen wir das nur im Winter machen, die Halle Paul VI. faßt nur 10000 Menschen", fragt er sich halblaut und schaut sinnig auf die Tauben, die vor dem tiefblauen Firmament die Christus-Figur auf der Fassade von Sankt Peter umsegeln.

Vor diesem Hintergrund darf man auch den Antrag des militanten Atheisten und Grünen-Abgeordneten Hans Christian Ströbele sehen. Er hat in einer Anfrage an die Bundesregierung seine "große Sorge" darüber bekundet, ob "wir noch Papst sind", denn der Papst habe ja die Staatsangehörigkeit des Vatikans und deshalb habe Benedikt XVI. seine deutsche Staatsangehörigkeit aufgeben müssen.

Soviel kann man sagen: Benedikt XVI. ist ein Bezugspunkt für alle Menschen guten Willens. Insofern gehört Ströbele schon nicht mehr dazu. Und daß sich der Altachtundsechziger nun auf einmal um Deutschland sorgt, hat mehr mit der Heuchelei und doppelten Moral von Pharisäern zu tun als mit echtem Patriotismus.

Und es ist wie damals: Während die Pharisäer der Politik den Menschen nur schwere Lasten aufbürden, wirkt die Frohe Botschaft des einen und seines Stellvertreters heute befreiend. Das dürfte das Geheimnis des Phänomens vom Petersplatz sein.


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