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19.11.05 / Die Familien zahlen die Zeche / Kürzungen, Kleingedrucktes und gebrochene Versprechen - gesellschaftpolitische Analyse des Koalitionsvertrags

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. November 2005

Die Familien zahlen die Zeche
Kürzungen, Kleingedrucktes und gebrochene Versprechen - gesellschaftpolitische Analyse des Koalitionsvertrags
von Jürgen Liminski

In der CDU kursieren Beschwichtigungspapiere. Sie sollen nachweisen, daß der Koalitionsvertrag die Handschrift der Union trägt. Für Teile der Union mag das auch stimmen, etwa die Merkel-Anhängerschaft. Sie setzt auf die Macht des Faktischen, und das bedeutet zunächst einmal: die Macht des Amtes. Ein Programm ist das nicht. In dem Papier liest man recht häufig Formulierungen wie "die große Koalition übernimmt die Forderung der Union" oder "die Union hat ihre Position durchgesetzt, daß ..." Leider bezieht sich das überwiegend auf die Außenpolitik. Bei den anderen Politikfeldern heißt es schon vorsichtiger: "Die Union tritt dafür ein, daß ..." oder "die Union setzt auf ..."

Ganz schwammig wird es bei der Familienpolitik. Da heißt es zum Beispiel: "Es spiegelt die Handschrift der Union, daß vereinbart ist zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen ..." Geprüft werden soll da unter Umständen und wenn es keinem weh tut und es auch nichts kostet und man dafür auch Lob erwarten kann, ob "das letzte Kindergartenjahr gebührenfrei angeboten werden kann". Das wird dann noch nahezu ultimativ - was für ein Wagnis! - mit einem Ziel verbunden. Dieses Ziel "muß sein, durch pädagogische Maßnahmen sicherzustellen, daß alle Kinder bei Schuleintritt über die notwendige Schulreife verfügen". Was denn sonst?

Im Wust solcher papierfüllender Banalitäten sucht der CDU-Wähler vergeblich nach Punkten, die irgendwie das "groß" in der Einheitskoalition aus CDU, CSU und SPD rechtfertigen. Schon gar nicht findet er die markigen Worte der künftigen Kanzlerin wieder, die im Wahlkampf eine Steuerreform zum 1. Januar 2007 versprach, deren "Eckpunkte" sein sollten: "einfacher, niedriger, gerechter". Nichts von alledem. Dieses Programm schröpft alle, am meisten die kleinen Leute, die Familien und Rentner. Selten hat es ein so familienfeindliches, kurzsichtiges Programm gegeben, ohne jegliche Aussicht auf eine tragfähige Zukunft. Der Satz "Wir wollen mehr Kinder in den Familien und mehr Familie in der Gesellschaft" ist reiner Hohn.

Beispiel Eigenheimzulage: Sie wird ersatzlos gestrichen. Abgesehen davon, daß die Ausgaben für diesen Posten wegen sinkender Kinderzahlen sowieso in den nächsten Jahren gesunken wären, entzieht man den Familien zweierlei: ein Stück Altersvorsorge - bei der miserablen Rentenerwartung bietet ein Eigenheim schon ein gewisses Minimum, immerhin muß man statistisch im Schnitt für den Wohnraum etwa ein Drittel des Einkommens veranschlagen - und ein Stück Geborgenheit.

Oder Beispiel Rente mit 67: Das Renteneintrittsalter soll ab 2012 bis 2035 auf 67 erhöht werden. Damit trage man der längeren Lebenszeit und den Folgen des demographischen Defizits Rechnung. Aber hier sind Milchmädchen am Werk. Denn bis 2035 wird sich die durchschnittliche Lebenserwartung um drei Jahre verlängert haben, den Rentenkassen bleibt also ein Minus von einem Jahr, ganz davon abgesehen, daß in der Zwischenzeit, etwa ab 2010, die geburtenstarken Jahrgänge, die Baby-Boomer, ins Rentenalter kommen, gleichzeitig die Zahl der sozialpflichtigen Erwerbstätigen noch weiter sinkt und niemand weiß, wie man die Renten dann bezahlen soll. Das ist Politik gemäß dem "Nach-mir-die-Sintflut-Prinzip".

So aber wird sie die Republik, diese Insel der Seligen - man könnte auch sagen: unser Tal der Ahnungslosen - überschwemmen. Daß die Beitragssätze zur Rentenversicherung im nächsten Jahr auf 19,9 Prozent des Einkommens steigen, müßte ein Warnsignal sein. Aber auch das Übergehen solcher Warnungen gehört zur Sintflut-Mentalität dieser SPD-lastigen Regierung. Die Sätze werden noch weiter steigen und damit auch die Senkung der Lohnnebenkosten (bei der Arbeitslosenversicherung) zur Makulatur machen.

Dann das Beispiel Steuererhöhungen: Die Mehrwertsteuer wird ab 2007 angehoben und eine Reichensteuer eingeführt. Mit anderen Worten: Alle werden abgezockt, die Armen wie die Reichen. Es gibt keinen ernst zu nehmenden Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland, der das gutheißt. Wer seriös nachrechnet, kommt zu dem Schluß: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer trifft am stärksten die Armen, das neue Hartz-IV-Proletariat und die Familien. Sie bluten sowieso schon, weil die Reformgesetze von Rot-Grün die Schwelle des Existenzminimums gesenkt haben, so daß die Mehrausgaben für Hartz IV nicht nur zurückzuführen sind auf die handwerklichen Fehler des Gesetzes, Stichwort neue Bedarfsgemeinschaften, sondern auch auf die voranschreitende Verarmung. Und die Reichen? Es gibt einige, die sich gekonnt in Szene setzen und die drei Prozent von ihren Millionen für die Imagewerbung nutzen. Das Gros jedoch wird schlicht im Ausland investieren, mithin Arbeitsplätze in Deutschland abbauen. Die höhere Mehrwertsteuer aber schöpft die ohnehin geringe Kaufkraft der Bürger oder die Kapitalkraft der Unternehmen ab. Beides ist Gift für Konjunktur und Arbeitsmarkt.

So könnte man fortfahren und die SPD-Siege weiter auflisten, etwa das Elterngeld, das ja immerhin auch ein Tippelschritt in die richtige Richtung ist, bei dem aber nach den großen Fanfarenstößen das Kleinlaute folgt, zum Beispiel daß das Elterngeld nicht ein Jahr, sondern nur zehn Monate gewährt wird, wenn der zweite Elternteil es nicht wahrnimmt. Was der Staat gewinnt, wenn er den Vater (das dürfte der Regelfall sein) zwei Monate in die Elternzeit zwingt und damit einen Ausfall seiner sozialpflichtigen Abgaben in Kauf nimmt, bliebe noch auszurechnen. Für die Eltern bedeutet es in den meisten Fällen eben zehn und nicht zwölf Monate Elterngeld, zumal es auch auf 1800 Euro begrenzt ist. Zum Kleingedruckten gehört auch die klammheimliche Kürzung der Bezugsdauer des Kindergeldes um glatte zwei Jahre, früher bis zum 27., demnächst nur noch bis zum 25. Lebensjahr. Das bringt dem Staat 3600 Euro pro Kind. Wird das irgendwo kompensiert? Allenfalls beim Kinderzuschlag für Geringverdiener, der aber sowieso fällig gewesen wäre, nur unter dem Etikett Sozialhilfe, eine Mehrausgabe für den Staat ist das also nicht. Und war da nicht vor ein paar Monaten noch im Brustton des Gutmenschen mal die Rede von einer Erhöhung des Kindergeldes? Offenbar eine Sinnestäuschung von Eltern. Die Lebenswirklichkeit ist, daß die zwei Jahre Kindergeldkürzung vor allem Studenteneltern treffen. Nun werden die meisten von ihnen selber dafür arbeiten, sprich das Studium verlängern und so ihre Wettbewerbsfähigkeit noch weiter schmälern.

All diese aufgezwungenen Verzichtsleistungen hätten Familien noch ertragen, wenn tatsächlich der steuerliche Freibetrag von 8000 Euro pro Kopf und Familie, wofür viele die CDU gewählt haben, eingeführt worden wäre. Aber nichts da. Dafür wurden ideologische Posten gebilligt, wie die Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Dem Kindeswohl dient das nicht, allenfalls den Betrieben, und das auch nur auf kurze Sicht. Die Geburtenquote wird es auch nicht steigern, denn nur 14 Prozent der Kinderlosen gaben erst vor einem Jahr in einer großen Umfrage von Allensbach an, daß sie Kinder bekämen, wenn die Betreuungssituation besser wäre. 47 Prozent dagegen würden ihren Kinderwunsch realisieren, wenn die finanzielle Hilfe - man sollte besser sagen: die Honorierung der Erziehungsleistung - durch den Staat gesichert wäre. Auch das könnte man mit einem Erziehungslohn für die Mutter oder eine Tagesmutter einrichten, so machen es übrigens die meisten skandinavischen Länder. Das würde, so haben Experten ausgerechnet, den Arbeitsmarkt um 0,5 bis 1,5 Millionen Arbeitslose erleichtern. Aber dafür braucht man ein Konzept, eine Vision und keine ideologischen Barrieren oder oberflächliches Mainstream-Denken.

Das ist das Hauptproblem dieses Programms: Es ist keins. Es ist nur eine Ansammlung von Einzelmaßnahmen zum Sparen. Gespart wird bei den Familien.

Heute darf man Augustinus und sein Wort vom Räuberstaat bemühen: Eine ungerechte Regierung sei nichts anderes als eine staatlich organisierte Räuberbande. Nicht wenige Bürger wird dieses Gefühl umschleichen, wenn sie an die "vereinigte Sozialdemokratie" (so nennt der Chefredakteur der "Welt" seit ein paar Tagen die große Koalition) denken.

Mit "Mut und Menschlichkeit" - so ist das großkoalitionäre Sammelsurium von Maßnahmen überschrieben - hat das Ganze für die Familien jedenfalls nichts zu tun.

Mehr Kinder? Die große Koalition bietet jungen Paaren statt mehr weniger Unterstützung.


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