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19.11.05 / Gemeinsam Schreien üben

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. November 2005

"Moment mal!"
Gemeinsam Schreien üben
von Klaus Rainer Röhl

Die bewaffneten Unruhen in den Satellitenstädten von Paris sind im wesentlichen Krawalle von Jugendlichen. Die meisten Täter sind unter 18 Jahren, und somit nur begrenzt straffähig. Ihre Waffen sind hauptsächlich Benzinbomben, auch Molotow-Cocktail genannt, die man gegen Personen oder Sachen einsetzen kann.

Die tödliche Waffe ist leicht herzustellen: Eine Flasche, die mit Benzin gefüllt wird und ein Stück Tuch als Verschluß und Docht. Trifft die angezündete Benzinbombe einen Gegenstand (Auto) - oder einen Menschen, brennt dieser lichterloh. Die Herstellung von Molotow-Cocktails wurde einer studentischen Öffentlichkeit zum ersten Mal im Januar 1968 in Berlin in einem "Lehrfilm" von Holger Meins (!) vorgeführt. Als Massenwurf gezielt gegen Polizeiautos eingesetzt wurden diese Bomben zuletzt in Frankfurt / M. einen Tag nach dem Bekanntwerden des Todes von Ulrike Meinhof am

9. Mai 1976. Beim Angriff auf die Polizeiwagen wurde ein Polizist fast verbrannt. Ein Verschulden unseres noch amtierenden Außenministers Joseph Fischer, der zu der radikalen Gruppe der Demonstranten gehörte, wurde ausgeschlossen. Später wurden in Berlin-Kreuzberg am 1. Mai regelmäßig Autos und Geschäfte durch Benzinbomben in Brand gesetzt, die dann ausbrannten. Diesen Vorgang nennen die vermummten Täter, stets zu Scherzen aufgelegt, "abfackeln".

In Frankreich hat das Abfackeln gerade erst richtig begonnen. Im großen Stil. Bevor die Krawalle in den Vorstädten von Paris explodierten, waren bereits im letzten halben Jahr 30000 Autos in Flammen aufgegangen, ein Schaden, der die Versicherungen zur Verzweiflung brachte, sie schlossen solche "Aufruhrschäden" seitdem vom Versicherungsschutz aus.

Juristisch handelt es sich bei den nächtlichen Brand-Attacken um Aufruhr, Sachbeschädigung, Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt, bis hin zu Totschlag und Mordversuch. Ein älterer Passant, der sich den Jugendlichen entgegenstellte, wurde bereits zu Tode geprügelt. Inzwischen haben sich die seit zwei Wochen andauernden Gewalt-Orgien von Paris aus über das ganze Land verbreitet, begleitet von einer immer höheren Anteilnahme der Medien, deren Fotografen und Kamera-Leute wie Brandbeschleuniger wirken, so daß unter den einzelnen Jugendgangs schon ein harter Wettbewerb ausgebrochen ist, wer am nächsten Tag mit dem größten Bild in der Tagespresse und im Fernsehen erscheint.

Während in Frankreich die anfängliche Sympathie für die meist farbigen Jugendlichen aus Nordafrika, die aber fast alle einen französischen Paß besitzen, schon lange abgenommen hat, ist die Empörung gegen den Innenminister und Einwanderersohn Nicolas Sarkozy, der die gewalttätige Minderheit öffentlich als Abschaum bezeichnete, abgeflaut. 70 Prozent der Franzosen stimmen, nach einer seriösen Umfrage, inzwischen Sarkozys Politik der Null-Toleranz zu.

Begleitet werden die immer noch die schrecklich frustrierende Ausgangslage der Immigratenkinder beklagenden französischen Linken von einem immer noch anschwellenden Chor deutscher Gutmenschen, die Verständnis für die unter unmenschlichen Umständen in den Ghettos lebenden Farbigen und Nordafrikaner sowie Wut, Zorn und Haß gegen deren vermeintlichen Peiniger lauthals bekennen. Den Vogel schoß diesmal aber nicht die linke "taz", oder das Organ der PDS, das "Neue Deutschland" ab, sondern die gemäßigt linksliberale Tageszeitung "Kölner Stadtanzeiger". Ausgerechnet in ihrer Sonnabend-Ausgabe vom 12. November erteilte sie einer jungen Mitarbeiterin das Wort zu den Pariser Brandanschlägen, nicht etwa auf der Leserbriefseite, sondern als Hauptkommentar. In ihm bekennt die hübsche, ganze 18 Jahre alte Angela Sommersberg (mit Bild), daß sie die kämpfenden Jugendlichen "beneidet". "Dafür, daß sie aufstehen und kämpfen." Haben wir das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen? Lesen wir es ganz: "Feuer war schon immer eine äußerst effektive Waffe. Vor Wut, vor Haß oder aus Rache sprühen die Funken. In Frankreich brennen Autos und Häuser. Jugendliche erheben sich gegen die Regierung, gegen die Gesellschaft, gegen die Verhältnisse. Heimlich beneide ich diese Jugendlichen. Dafür, daß sie kämpfen, sich nicht mehr in ein scheinbar vorgegebenes Schicksal ergeben."

Sie will, schreibt sie, manchmal auch gerne kämpfen, zumindest schreien. Doch sie beruhigt uns: "Doch ich schreie nicht und ich zünde auch keine Autos an. Denn ich habe etwas zu verlieren." Na ja. Dann kommt eine ganze Spalte Distanzierung von der "Gefährdung von Menschenleben".

Aber dann kommt der Pferdefuß: "Hier in Deutschland gibt es viele solcher Fälle aus - sozial schwächeren Schichten - wie es im Bürokratendeutsch heißt. Wußten Sie, was die Pisa-Studie ergeben hat? Daß genau diese Kinder in puncto Schulbildung nirgends so schlechte Chancen haben wie bei uns ... Die plötzliche Aufmerksamkeit für die französischen Jugendlichen kann den Schluß nahelegen, daß nur die Sprache der Gewalt verstanden wird. Auch bei uns. Bevor es soweit kommt, sollten wir alle mal das gemeinsame Schreien üben."

Hier schließt sich der Kreis zu den Molotow-Cocktails von 1976. Dem Tag nach dem Tod Ulrike Meinhofs. Ihr Tod war die letzte, furchtbare Konsequenz aus ihrem mißglückten Versuch, die für sie unerträglichen Verhältnisse zu ändern. Mit der Sprache der Gewalt. Die Entwicklung verlief langsam. Im Mai 1968 veröffentlichte sie den Artikel "Vom Protest zum Widerstand". Da heißt es, "Protest ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht." Von dieser Kolumne in "konkret" bis zur Gründung der Terroristen-Gruppe RAF brauchte es noch zwei ganze Jahre.

Angela Sommersberg, die Mitarbeiterin der Redaktion Rhein-Erft des "Kölner Stadtanzeigers" wurde erst 20 Jahre nach dem Leitartikel "Vom Protest zum Widerstand" geboren. Erfahrung läßt sich nur bedingt vermitteln.

Was wird später aus Angela Sommersfeld? Geht sie in die Banlieus? Wohl kaum. In den Untergrund? Nein, das wird ja bestraft. Das Risiko ist zu groß. Aber schreien will sie. Ganz laut. Möglicherweise wird dabei die Wahrheit überschrieen.

Die Wahrheit sagte zum Beispiel ein Farbiger aus den Banlieus im deutschen Fernsehen: "Gute Jobs? Welche Jobs wollen sie den Jungens denn geben? Die meisten von ihnen sind Dealer, sie verdienen mehr Geld in einer Stunde, als wenn sie den ganzen Tag in der Fabrik arbeiten wie ihre Eltern." Ein anderer, ebenfalls interviewter Marokkaner: "Wenn wir im Urlaub nach Marokko kommen, sehen wir, wie es drüben ist, und wir wollen wieder zurück hierher und wir sehen, daß unsere Brüder und Cousins und Freunde am liebsten hierher kommen und mit uns, die wir in den Banlieus leben, gerne tauschen würden." Die Wahrheit, die vielleicht noch nicht in alle deutschen Provinzen gedrungen ist, die aber inzwischen auch in liberalen Zeitungen und Zeitschriften Frankreichs zu lesen steht, ist: Das vielgerühmte französische Modell der Integration der Afrikaner ist gescheitert. Ebenso wie das vielgerühmte holländische Modell der Integration der Einwanderer aus den ehemaligen niederländischen Kolonien. Es ist nicht in der Krise oder braucht mehr Geld und einen neuen Minister oder ein "neues Denken", sondern es ist gescheitert. Es ist in der Bevölkerung nicht mehr mehrheitsfähig. Das zeigt die breite Ablehnung der EU-Verfassung, hinter der auch das tiefe Unbehagen über die Erweiterung der EU auf typische Auswanderungsländer wie Rumänien oder die Türkei stand.

Das Multikulti-Modell in Deutschland ist längst gescheitert. Obwohl hier die Massen der Einwanderer nicht in Hochhaus-Siedlungen eingepfercht und isoliert sind. Im Plattenbau hausen in einigen Teilen des Landes immer noch die "Ossis", während der Berliner Senat den Türken in Kreuzberg und Neukölln in den guten Zeiten Altbauwohnungen, Straßen und Plätze aufwendig saniert hat. Eine Integration hat das nicht bewirkt. Die zünden keine Häuser an. Sie nehmen sie täglich mehr in Besitz, Straße für Straße, wie die Sonnenallee in Neukölln, aus der längst das letzte deutsche Geschäft oder Restaurant verschwunden ist.

Das Mischungsverhältnis, bei dem Integration noch möglich ist, stimmt einfach nicht mehr. Nicht melting pot, sondern Abschotten heißt die Devise bei den meisten Türken in Berlin. Die Isolation ist perfekt seit auch das türkische Fernsehen flächendeckend in jede Wohnung kommt. Wie sollen die Kinder die Sprache des Landes sprechen lernen, wenn ihre Mütter sie nie sprechen.

Die Behauptung, man brauche nur bessere Schulen und Sprachkenntnisse für die türkischen Einwanderer und alle Arbeitsplatz-Probleme wären gelöst, ist erkennbar absurd. Es kommen ja keine hochqualifizierten Akademiker, Ingenieure, Fachleute und Beamte aus Istanbul und Ankara nach Deutschland, sondern landlose Bauern und Pächter aus Anatolien und von der Küste des Schwarzen Meeres, die nicht einmal richtig türkisch können, überwiegend Analphabeten, die familiär in frühmittelalterlichen Vorstellungen von der Rolle der Frau und halbfeudalem Stammesdenken befangen sind, und wenn in einer Schule in Kreuzberg, dem Wedding und Neukölln mehr als 90 Prozent der Schüler überhaupt kein Deutsch, oder nur sehr schlecht Deutsch können, läßt sich nichts mehr mischen und integrieren und auch die noch dort lebenden Gutmenschen melden ihre Kinder, unter irgendeinem Vorwand, von dieser Schule ab. Die Parallelgesellschaft wächst. Und damit die Probleme.

Nur kein Neid. Vielleicht geht Angela Sommersberg nach Abschluß ihrer Zeit bei dem "Junge Zeiten-Team" der Redaktion Rhein-Erft einmal zu den Grünen, den linken Sozialdemokraten oder gleich zur Linkspartei. Und hilft mit beim Aufbau einer neuen, besseren Welt. Vielleicht hilft das "gegen die Regierung, die Gesellschaft und die Verhältnisse". Schreien hilft nicht.

 

Dr. Klaus Rainer Röhl war bis 1973 Herausgeber der linken Zeitschrift "konkret" und bis 1968 verheiratet mit Ulrike Meinhof. Nach der Radikalisierung der 68er sagte er sich von allem kommunistischen und sozialistischem Gedankengut los und wurde zum erbitterten Gegner des Linksextremismus.


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