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19.11.05 / Auf der Suche / Auch Otto Mueller war Mitglied der legendären "Brücke"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. November 2005

Auf der Suche
Auch Otto Mueller war Mitglied der legendären "Brücke"
von Silke Osman

Die Kunstszene schätzt sie und ihre Werke noch heute, 100 Jahre nachdem sie sich zu der Künstlergruppe "Brücke" zusammengeschlossen haben. Ausstellungen mit Werken von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und, weniger bekannt, Fritz Bleyl legen derzeit beredtes Zeugnis von ihrem Schaffen ab - in der Berlinischen Galerie der Hauptstadt, in der Hamburger Kunsthalle und

im Museum Georg Schäfer zu Schweinfurt jeweils noch bis zum 15. Januar 2006. In der Kunsthalle Bielefeld sind vom 20. November bis zum 26. Februar Selbstbildnisse und Künstlerbildnisse von Kirchner zu sehen.

Wie selbstverständlich zählte auch Otto Mueller zum Kreis der "Brücke", wie Kirchner es in seiner "Brücke"-Chronik von 1913 ausdrücklich hervorhob. Der genaue Zeitpunkt der Aufnahme Muellers ist allerdings unbekannt, doch von 1911 an nahm er an allen Aktivitäten der Gruppe teil und rückte so in die vorderste Front der Auseinandersetzungen um die neue Kunst, die Kirchner und seine Freunde vertraten.

"Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt", hatte Kirchner 1906 als Programm der "Brücke" in Holz geschnitten. Experten sehen, daß Mueller allein schon vom Naturell her der Gruppe zugehörig war. Und doch gibt es Unterschiede: Während Otto Muellers Aktdarstellungen wie ein Bestandteil der Natur sind, sie geradezu unschuldig wirken, sind die der anderen "Brücke"-Künstler oft aggressiv-direkt. Auch hat bei Mueller ein Thema nie Eingang in sein Schaffen gefunden, das bei den anderen nicht wegzudenken ist: die Darstellung von Menschen in der Großstadt.

Wer war dieser Mensch, der mit seinen Bildern von Paaren, von Akten in der Natur ein so ganz anderes Bild des Expressionismus gezeichnet hat? - Keineswegs der Idylliker, wie ihn viele sehen möchten, eine Beurteilung, gegen die er sich selbst stets gewehrt hat. Betrachtet man seine Selbstporträts, von denen es eine stattliche Reihe gibt, oder die Bildnisse, die seine Künstlerkollegen von ihm schufen, so sieht man einen schmalen, dunkelhaarigen Mann mit hoher Stirn, in die eine verwegen wirkende Strähne fällt. Mit zusammengekniffenen Augen und manchmal ein wenig skeptisch blickend betrachtet er die Welt. Paul Fechter, der Mueller schon aus Dresden kannte, erzählt von Treffen mit dem Künstler vor dem Ersten Weltkrieg in seinem Berliner Stammlokal am Kaiserplatz. Fechter, der oft in Begleitung von Max Pechstein dort weilte, hatte so manchen Abend in dem Lokal verbracht. "Wir hatten es gern, wenn er kam und schweigend, rauchend, selten ein Wort verlierend mit uns am Tische saß ... Er sah ausgezeichnet aus, ein schmales, braungelbes, langes Gesicht unter dunkel schwarzem Haar, ein paar tiefliegende, dunkle, schmale Augen. Er stellte einen im feinsten Sinne kultivierten Zigeunertyp dar, der um so seltsamer wirkte, wenn er im Kreise einer Gesellschaft, in einem Sessel versunken, die Augen schloß und sich gewissermaßen aus dem Kreis der Allgemeinheit herausnahm ... Es war eine sehr eigene Welt, in der er mit sich, den Frauen und seinem Gefühl lebte ..."

Das Licht der Welt erblickte Otto Mueller als Sohn eines Steuerbeamten am 16. Oktober 1874 im schlesischen Liebau. In Görlitz besuchte er die Schule und ließ sich später zum Lithographen ausbilden. Von 1894 bis 1896 / 97 studierte er an der Dresdner Kunstakademie. Nach einem Aufenthalt in München und in Wolfratshausen kehrte er nach Dresden zurück, wo er seine spätere erste Ehefrau Maria, genannt Maschka, kennenlernte. Viel Zeit verbrachte er mit Gerhart, Carl und Ivo Hauptmann (seine Mutter war mit einer Tante Gerhart Hauptmanns aufgewachsen).

1908 zog Mueller nach Berlin, wo er ein Jahr später eine erste Ausstellung bei Gurlitt hatte. 1910 begegnete er den Künstlern der "Brücke", mit denen er von nun zusammenarbeitete und gemeinsame Malreisen unternahm. Auch nachdem sich die Gruppe aufgelöst hatte, blieben Mueller, Heckel und Kirchner freundschaftlich verbunden. Von 1916 bis 1918 war der Schlesier als Soldat einberufen, doch anders als die Künstler seiner Zeit, die am Ersten Weltkrieg teilnahmen, hat Mueller seine Erlebnisse nicht in seiner Kunst verarbeitet. 1919 wurde er dann an die Akademie in Breslau berufen, wo er

die Fächer Zeichnen, Anatomie und Aktzeichnen unterrichtete, zusätzlich leitete er eine Malklasse. "Wenn Sie Aktzeichnen können, können Sie alles zeichnen: Bäume, Frösche, Grillen!" soll Muellers Leitsatz gewesen sein. Zu seinen Schülern zählten später so bekannte Künstler wie Alexander Camaro und Johnny Friedländer oder Bruno Schmialek. Mit den Studenten ging er geradezu kollegial um: "Ich will Ihnen nur zeigen, wie ich es mache, ich verlange nicht, daß Sie es ebenso machen."

Ernst Schreyer weiß über Muellers Breslauer Aufenthalt zu berichten: "Wenn man ihn auf der Straße oder im Lokal traf - und es war selten, denn in Breslau verließ er nur ungern sein Atelier in der Akademie - so hatte seine fremdartige Erscheinung vor allem für den Uneingeweihten zunächst etwas Furchteinflößendes. Im Atelier, das in seiner malerischen Unordnung einem Zeltlager glich, trug er wohl auch das astrologische Pentagramm, das auf seinen Selbstbildnissen erscheint. Natürlich fehlte auch der schwarze Pudel als Begleiter nicht. Irgend etwas Unheimliches paarte sich mit unerschütterlicher Güte, so beschreibt ihn Ivo Hauptmann. Man hat den Eindruck, daß er seine Erscheinung in dieser Weise bewußt stilisierte. Er war mit seinem Lieblingsgegenstand, dem Zigeuner, auf diese Weise eins geworden." - 1926 / 27 gab Mueller eine Mappe mit neun Lithographien heraus, die sogenannte "Zigeunermappe", die seine Popularität begründete. Er selbst sah sich gern als halben "Zigeuner", hat aber nie mit dem fahrenden Volk zusammen gelebt.

In Breslau fühlte Mueller sich allerdings nicht wohl, wenn er auch zu vielen Kollegen an der Akademie ein gutes Verhältnis pflegte, mit Paul Holz etwa oder mit Johannes Molzahn. Die Stadt aber war ihm zu bürgerlich, zu "traurig" und "fade". Und so machte er sich immer wieder auf Reisen. Nach Bosnien und nach Ungarn, nach Rumänien und nach Bulgarien führten ihn seine Wege. 1930 noch reiste er nach Dalmatien. Ein Kuraufenthalt in Bad Salzbrunn schloß sich an. Am

24. September 1930 starb Otto Mueller in der Lungenheilstätte Obernigk bei Breslau an einem Lungenleiden, das er sich im Krieg zugezogen hatte.

"Mag sein Vorstellungskreis auch klein gewesen sein", schrieb Freund Kirchner an Carl Hagemann nach Muellers Tod, "so sind seine Werke doch immer von Qualität und wirklich freie Kunstwerke und echt, weil sie auf dem Boden seiner Weltanschauung frei und rein erwachsen sind." Aus heutiger Sicht urteilt Mario-Andreas v. Lüttichau in der Prestel-Monographie (2003) über Muellers Werk: "Seine künstlerische Motivation liegt weniger in der Beschreibung oder Kritik von Zuständen als vielmehr in der Suche nach dem Selbst, nach dem Menschlichen und ganz zentral in der Suche nach dem Wesen von Mann und Frau."

Otto Mueller selbst sah das Hauptziel seines Strebens darin, "mit größtmöglicher Einfachheit Empfindung von Landschaft und Mensch auszudrücken". "Meine Kunst ist unbezahlbar", schrieb er in jungen Jahren einmal an seine Eltern, "mein Gefühl geb ich für kein Erdengut her, mögen sich die anderen Menschen die Beine abrennen nach Geld, Ruhm und Ehre, ich mach nicht mit, leg mich lieber auf den Rasen unter blühende Blumen, laß mich vom Winde kosen, lausche auf das Getümmel der Menschen, der mich erheiternden Kraft und träume das Blaue vom Himmel."

"Wir hatten es gern, wenn er mit uns am Tisch saß ..." Otto Mueller: Zwei Mädchen in den Dünen (Farblithographie, 1920-24)


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