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19.11.05 / "Ein bißchen wie Sherlock Holmes" / Der Historiker Kersten Radzimanowski berichtet im Interview über seine Vorgehensweise bei der Familien- und Heimatforschung

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. November 2005

"Ein bißchen wie Sherlock Holmes"
Der Historiker Kersten Radzimanowski berichtet im Interview über seine Vorgehensweise bei der Familien- und Heimatforschung

Es gibt Menschen, die sammeln Briefmarken oder Bierdeckel, andere Münzen oder Murmeln. Was sammeln Sie?

Kersten Radzimanowski: Ich sammele Erinnerungen. Dabei begebe ich mich auf die Spur nach den Vorfahren, forsche nach den Ahnen und ihren Lebensumständen. Ich möchte wissen, was die "redlichen Preußen" zu ihrer großen zivilisatorischen Leistung motivierte, wie frühere Generationen ihr Leben bewältigten.

Woher stammt Ihr Name?

Radzimanowski: Zurückverfolgen konnte ich ihn bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Er findet sich zu dieser Zeit an mehreren Orten Ostpreußens, vor allem im oberländischen Kreis, in den späteren Kreisen Mohrungen, Preußisch-Holland und Osterode.

Sind Sie nur an der eigenen Familiengeschichte interessiert?

Radzimanowski: Mir scheint es ein Wesenzug der Preußen zu sein, nicht nur sich selbst zu sehen, sondern sich als Teil einer größeren Gemeinschaft zu verstehen, in der der Starke den Schwachen schützt und Starker wie Schwacher ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Es gab einen Defa-Film, der mich sehr beeindruckt hat. Sicherlich werden Sie ihn gar nicht kennen. Sein Titel: "Einer trage des anderen Last". Mir scheint, daß dieses Motto ein zutiefst preußisches Axiom ist.

Noch einmal zurück zur Spurensuche. Wie kommt man denn nun seinen Vorfahren auf die Fährte?

Radzimanowski: Ein bißchen ähnelt es dem Vorgehen von Sherlock Holmes. Puzzleteile sind zusammenzusetzen, viele Dinge, von denen man in der Familie gehört hat, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Dabei stößt man immer wieder auf neue Verbindungen, unbekannte Beziehungen. Vor dem geistigen Auge entstehen die Lebensläufe von Menschen, die unter nicht immer leichten Umständen ein zumeist zufriedenes Leben führten.

Nun ist Ostpreußen heute kein Teil der Bundesrepublik Deutschland. Wie kommen Sie an Ihre Dokumente?

Radzimanowski: Polen wie Rußland und Litauen, die heute Ostpreußen verwalten, haben große Teile der Archivalien vernichtet. Ostpreußens Geschichte konnten sie damit nicht auslöschen. Ich wie andere Familienforscher mußten in diesen Fällen nach Ersatzlösungen suchen, um doch das eine oder andere Lebenszeichen der Vorfahren zu finden - sei es im preußischen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin-Kreuzberg oder auch im Bundesarchiv für Lastenausgleich in Bayreuth. Gerade im Lastenausgleichsarchiv ist das schwere Leid der Vertriebenen, der Verschleppten und Ermordeten sehr genau dokumentiert. Nur die katholische Kirche hat ihre diesbezüglichen Archivalien an Polen ausgeliefert.

Können Suchende auf die Unterstützung ausländischer Behörden zählen?

Radzimanowski: Formal ja. Aber in der Praxis stellen sich oft erhebliche Schwierigkeiten in den Weg.

Nicht selten werden zudem die Daten der Dokumente - im Falle Polens - nachträglich polonisiert. So versucht man, Geschichte umzuschreiben und zu beweisen, daß die ostpreußische Bevölkerung polnisch war. Die von den Besatzungsmächten erzwungene Volksabstimmung zum Versailler Diktat 1920 hat diesbezüglich einen ganz anderen Beweis geliefert. Im ostpreußischen Abstimmungsgebiet haben sich über 97 Prozent für die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich und im ganzen Abstimmungsgebiet (Ost- und Westpreußen) ganze 15871 Stimmberechtigte für Polen und 460054 für Deutschland entschieden. Gerade einmal drei Prozent votierten nach dem verlorenen Krieg für eine Zugehörigkeit zu Polen, einem Vasall der Siegermächte.

Wer wie Sie Menschenschicksalen in Ostpreußen in den verschiedenen Jahrhunderten nachgeht, verfügt gewiß über eine Vielzahl von Informationen. Wie geben Sie Ihr Wissen weiter?

Radzimanowski: Regelmäßig berichte ich in den Mohrunger Heimatkreis-Nachrichten, informiere über meine Forschungsergebnisse. Vor allem jedoch bin ich publizistisch als Geschichtsschreiber des Oberlandes tätig. Meine "Schwalgendorfer Chronik", das "Oberländische Heimatbuch" und das demnächst erscheinende Porträt der Region zwischen Saalfeld und Deutsch-Eylau "Wir vom Geserich" wollen Kultur und Brauchtum, die zivilisatorische Leistung der deutschen Siedler wie auch ihren Arbeitsethos und ihre Mitmenschlichkeit insbesondere der jungen Generation vermitteln.

Kommt das denn heute bei jungen Menschen, bei Leuten meiner Generation überhaupt noch an?

Radzimanowski: Ehrlich gesagt, die Situation ist widersprüchlich. Die offizielle Bildungspolitik läßt Ostpreußen links liegen. Aber wie es im Leben so ist, was verschwiegen oder verboten ist, macht gerade neugierig. Es tut sich was. Junge Deutsche verlangen kompetente, sachgemäße Information über Ostpreußen und keine Geschichtsverdrehung aus Gründen "politischer Korrektheit". So gibt es Grund zur Hoffnung. Auch für Preußen in Ost und West.

 

Kersten Radzimanowski erblickte 1948 im brandenburgischen Altlandsberg als Nachkomme ost- und westpreußischer Vorfahren das Licht der Welt. Mit seinem 1977 beendeten Studium der Geschichte wuchs das Interesse an Familien- und Heimatforschung. Aus dem Hobby wurde ein Beruf, fast Berufung. Der seit 35 Jahren verheiratete Vater dreier Kinder arbeitet als freier Publizist.

Das Gespräch führte Christoph Berkholz.


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