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19.11.05 / Eine Zeile in einem Kirchenbuch / Dokumentation sowjetisch-polnischer Kriegsverbrechen in Sachsen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. November 2005

Eine Zeile in einem Kirchenbuch
Dokumentation sowjetisch-polnischer Kriegsverbrechen in Sachsen

Ursprünglich wollte der Historiker Theodor Seidel nur zum Massaker an deutschen Kriegsgefangenen in Niederkaina bei Bautzen vom April 1945 recherchieren, doch je mehr er sich mit dem Thema beschäftigte, desto größer wurde auch die Zahl der Massaker. Und es handelte sich bei den Opfern keineswegs nur um deutsche Kriegsgefangene.

In "Kriegsverbrechen in Sachsen - Die vergessenen Toten von April/Mai 1945" erinnert der Autor an die Situation in Sachsen. Er führt bekannte, von Deutschen verübte Kriegsverbrechen an, um dann darauf hinzuweisen, daß das Echo, was die Deutschen nach Veränderung der Machtverhältnisse traf, vor allem für die Zivilbevölkerung ohne Gnade war.

Da das Thema Kriegsverbrechen an Deutschen jedoch während der DDR-Zeiten absolut tabu gewesen ist, da sie ja größtenteils von Sowjets, also den neuen Verbündeten, oder Polen verübt worden waren, fiel es dem Autor schwer, Belege für diese Kriegsverbrechen zu finden. In Kirchenbüchern wurde er jedoch fündig. Chronologisch zitiert er aus diesen Quellen: "Nochten wurde am 21. April von polnischen Truppen besetzt. Todesursachen: ,Von plündernden Soldaten erschossen', ,Von Polen in Wohnung erschossen' und ,Von trunkenem russischen Offizier erschossen, als sie ihre Tochter vor Vergewaltigung schützen wollte'. Todestage und Opfer: 23. April: 2; 23./24. April: 1; 26. April: 4; 1. Mai: 1. Unter den Opfern befanden sich zwei Frauen im Alter von 44 beziehungsweise 71 Jahren und vier Männer im Alter von 65, 70, 71 beziehungsweise 75 Jahren." Ort für Ort häufig Zahlen des Todes mit winzigen Anmerkungen wie "Vor Schule erschossen", "Von Russen erschlagen", "Bauchschuß". Letzteres steht hinter dem Todesvermerk eines kleinen Mädchens, das mit seinen Eltern per Boot über einen Fluß übersetzte und vorwitzig ans Ufer sprang. Ein hervorragendes Ziel für die Soldaten der Roten Armee.

Aber nicht nur in Kirchenbüchern fand Theodor Seidel Anhaltspunkte für seine Untersuchungen, auch in anderen Aufzeichnungen in den Pfarrämtern gab es Hinweise auf die Ereignisse in den letzten Kriegstagen. Manche Pfarrer hielten sogar detailliert fest, was sich genau ereignet hat. Für den Historiker ein Glücksfall.

Es ist unbezweifelbar ein Verdienst des Autors, die wenigen Quellen, die von den Verbrechen an vor allem alten Menschen und Kindern zeugen, dokumentiert zu haben. Und manchmal sind es gerade die kurzen Anmerkungen, die nur Ort, Todesursache, Alter und Geschlecht der Ermordeten angeben, die so schockieren. Gerade sie zeugen davon, wie wenig das Leben in Zeiten des Krieges wert war, und wie wenig von den Menschen, die so grausam aus dem Leben gerissen wurden, bleibt: eine Zeile in einem Kirchenbuch. Doch immerhin diese hat Theodor Seidel nun für alle Interessierten zugänglich gemacht. R. Bellano

Theodor Seidel: "Kriegsverbrechen in Sachsen - Die vergessenen Toten von April / Mai 1945", Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2005, broschiert, 209 Seiten, 19 Euro


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