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19.11.05 / Ein Buch in Rankes Sinne / Stefan Schell beantwortet die Frage, ob der Angriff auf die Sowjetunion ein Präventivschlag war

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. November 2005

Ein Buch in Rankes Sinne
Stefan Schell beantwortet die Frage, ob der Angriff auf die Sowjetunion ein Präventivschlag war

Verur-sachte der Drang nach "neuem Grund und Boden" gemäß "Mein Kampf" den Angriff auf die Sowjetunion? Eindeutig nein, sagt Stefan Scheil mit seinem "1940/41 - Die Eskalation des Zweiten Weltkriegs". Der 42jährige freiberufliche Historiker, wegen seiner umfangreichen Dissertation zur Entwicklung des politischen Antisemitismus der Sympathie für Hitler unverdächtig, will im Sinne Rankes zeigen, "wie es eigentlich gewesen" ist. Zu Vorgeschichte und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hat er bereits zwei Werke veröffentlicht und besonders anhand interner Dokumente bewiesen, daß es den immer vorausgesetzten "unbedingten Willen zum Krieg" Hitlers überhaupt nicht gab, es ihm auch nicht um die Beherrschung Europas, sondern um Deutschlands Existenz als relativ mächtiger Industriestaat ging. Als Zeugen hierfür zitiert er zu Anfang seines neuesten Werks den amerika-nischen Hauptankläger Robert H. Jackson, der in Nürnberg eine von Anfang an völkerrechtswidrige deutsche Aggression verurteilt sehen wollte, jedoch feststellte: "Die Deutschen werden mit Sicherheit unsere europäischen Alliierten anklagen, eine Politik verfolgt zu haben, die den Krieg erzwungen hat ... weil die ... Dokumente des Auswärtigen Amts ... alle zum selben Schluß kommen: `Wir haben keinen Ausweg; wir müssen kämpfen; wir sind eingekreist; wir werden erdrosselt." Im Prozeß waren deshalb Erörterungen der Kriegsursachen verboten. Der so produzierten deutschen Alleinschuld widersprechen jedoch die Akten als auch Memoiren der Zeitzeugen. Daher läßt Scheil ohne viel Interpretation die Quellen sprechen. Er schreibt flüssig, seine Zitate stehen im Kontext, seine scharfsinnige Argumentation zu politischen, völkerrechtlichen und militärischen Fragen ist überzeugend.

Zu wünschen wären Angaben zu zitierten Personen im Text, vollständigere Funktionsbezeichnungen im Register und Fußnoten statt gesonderter Anmerkungen.

Entgegen der bei uns maßgebenden Weltkriegsdarstellung, die zu Lasten Deutschlands Handlungsstränge ausläßt, unübersehbare Quellen ignoriert, verfälscht oder als nichtexistent deklariert, zeigt Scheil, daß Hitler schon das Problem Danzig gütlich lösen wollte. Weltkrieg-Premier Lloyd George sah damals die britische Regierung als Kriegstreiber. Chamberlain fand Hitlers Vorschläge keineswegs auf Krieg ausgerichtet. Nachdem dessen Friedensangebot an den stellvertretendem US-Außenminister Sumner Welles vor dem Frankreichfeldzug von London und Paris abgelehnt worden war, wurde auch in den USA ein exterminatorische Haß auf Deutschland bestimmend, das Roosevelts One-World-Sicht entgegenstand.

Im Frühjahr 1941 zählte das britische Außenamt 16 deutsche Friedensangebote inklusive der Freigabe besetzter Länder und der Wiederherstellung Polens. Doch Churchill wollte zur Vernichtung Deutschlands "Europa in Brand stecken" und bereits am 8. Juli 1940 "eine totale Verwüstung, eine Ausrottung der Nazi-Heimat durch massive Bombenangriffe". Obschon offiziell neutral, griff die US-Flotte zunehmend ein. Im Mai/Juni 1940 besetzte Stalin die baltischen Länder. Kurz nachdem Hitler den Krieg im Westen für beendet erklärt und die Verringerung des Heeres verfügt hatte, proklamierte Großbritannien eine Hungerblockade gegen den Kontinent, später auf alliierter Seite als "A genocide sponsored by Great Britain" bezeichnet. Tags darauf erzwang Stalin von Rumänien Bessarabien und die Bukowina. Churchill bot ihm ein Bündnis und Anerkennung der Territorialgewinne an. Um ein Kriegsende zu erzwingen, lud Hitler Stalin und Molotow nach Berlin ein. Molotow kam im November 1940 und erklärte das Abkommen zur Abgrenzung der Interessensphären für "ausgeschöpft", kündigte so faktisch den Nichtangriffspakt. Deutschland sollte unter anderem Finnland, Ostseeausgänge, Donauraum, den Balkan und die Türkei als sowjetische Interessensphäre mit Stützpunktrechten anerkennen, das heißt, seiner Erdrosselung zustimmen.

Die Rüstung Moskaus lief auf Hochtouren, es massierte seine Truppen im Westen. Im Dezember erfolgte die Weisung "Barbarossa". Im März 1941 trat das US-Pacht-Leihgesetz in Kraft. Die westlichen Militärbezirke der Sowjetunion machten mobil und sollten bis Mitte Juni einsatzbereit sein.

Die USA beschlagnahmten in ihren Häfen alle Schiffe der Achsenmächte und froren ihre Guthaben ein. Auf dem Balkan erforderten von den Sowjets gestützte anglo-amerikanische Aktivitäten, der eigenmächtige Angriff Italiens auf Griechenland und dortige britische Truppenanlandungen ein deutsches Eingreifen. Anfang Mai rief Stalin vor Absolventen von 16 Militärakademien zur Offensive gegen Deutschland auf und übernahm die Regierung. Deutsche Friedenssignale verhallten: die Hess-Mission, ein weiteres Angebot an London, ein Interview Hitlers durch einen US-Botschafter Anfang Juni im "Life Magazine".

Der sowjetische Aufmarsch war schon lange als erdrückend offensiv erkannt. Aus deutscher Sicht gab es nur noch eine Chance: den Angriff am 22. Juni 1941.

Scheil belegt mit über 1200 Quellenverweisen bis ins Detail, daß dies eine Verzweiflungstat war. Warum wären auch alle Volksdeutschen aus den sowjetisch besetzten Gebieten "heim ins Reich" geholt worden, wenn es einen "Plan" zur Eroberung gegeben hätte? Manfred Backerra

Stefan Scheil: "1940/41 - Die Eskalation des Zweiten Weltkriegs", Olzog-Verlag, München 2005, geb., Fotos, Dokumente, Karten, 528 Seiten, 34 Euro


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